# taz.de -- Aktivistin über Frauenrechte in Ägypten: „Eine eindeutige Niede… | |
> Mit der Empowerment-Bewegung auf dem Tahrirplatz hat in Ägypten sexuelle | |
> Gewalt neue Dimensionen erreicht. Die Aktivistin Heba Morayef über | |
> Diskriminierung. | |
Bild: „Keine Belästigung“: Graffiti in Kairo. | |
taz: Frau Morayef, wie verlief das Jahr 2013 für Sie als Direktorin von | |
Human Rights Watch in Kairo? Inwieweit hat der Militärputsch in Ägypten | |
Ihre Arbeit beeinflusst? | |
Heba Morayef: Für uns hat sich nicht wirklich viel verändert. | |
Menschenrechtsorganisationen befanden sich bereits unter dem Mubarak-Regime | |
in einer ungeschützten Situation. Ende 2011 gab es dann Razzien bei einem | |
Dutzend NGOs, Kollegen wurden verhaftet und 2012 folgte ein großer Prozess | |
gegen NGOs. Das heißt, wir haben uns an diese unberechenbaren Umstände | |
gewöhnt. Insofern hat der Putsch nichts verändert. | |
Die Lage um Frauenrechte scheint sich indes verschärft zu haben. Laut einem | |
Gender-Ranking der Thomas-Reuters-Stiftung, bei dem die Situation von | |
Frauen in 22 arabischen Ländern verglichen wurde, landete Ägypten auf dem | |
letzten Platz, also hinter Ländern wie Saudi-Arabien. Wie kommt das? | |
Solche Vergleiche zwischen Staaten lehnen wir bei Human Rights Watch | |
grundsätzlich ab. Einer der Gründe dafür ist, dass die daraus gezogenen | |
Folgerungen eher unzuverlässig sind. Auch methodologisch finde ich es | |
fragwürdig, eine Diskussion zu führen, in der es darum geht, ob Ägypten nun | |
besser ist als Saudi-Arabien oder umgekehrt. Das Thema Frauenrechte muss | |
man umfassender begreifen. Natürlich ist es ein offensichtlicher Fakt, dass | |
Ägypten in dieser Hinsicht fortschrittlicher ist. Dazu muss man nur das | |
Arbeitsrecht für Frauen betrachten oder die Möglichkeiten für Frauen, am | |
öffentlichen Leben teilzunehmen. | |
Wenn man sich nun aber gezielt mit Gewalt gegen Frauen auseinandersetzt, | |
dann muss man schon sagen, dass in Ägypten im vergangenen Jahr | |
fürchterliche Dinge passiert sind. Vor allem sexuelle Gewalt im | |
öffentlichen Raum hat 2013 nochmals eine neue Dimension erreicht. | |
Jasmin al-Baramawy hat im vergangenen Jahr als eine der ersten Frauen | |
öffentlich über ihre Vergewaltigung auf dem Tahrirplatz gesprochen. Hat | |
sich der Umgang mit dem Thema sexuelle Gewalt in den ägyptischen Medien | |
dadurch verändert? | |
In der Tat gibt es mehr ägyptische Frauen, die bereit sind, über das Thema | |
in der Öffentlichkeit zu sprechen. Das ist ein noch sehr junges Phänomen. | |
Die Debatte über sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, vor allem in | |
der Innenstadt von Kairo, gibt es mindestens schon seit 2006. Dass die | |
Frauen nun aber bereit sind, ihr Gesicht zu zeigen, hat auch mit der neuen | |
Intensität der Gewalt und mit dem Fokus auf den Tahrirplatz zu tun. Hinzu | |
kommt natürlich, dass es seit Januar 2011 eine allgemeine | |
Empowerment-Bewegung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen gibt. Dennoch | |
darf man nicht vergessen, dass es sich hierbei immer noch um eine winzige | |
Minderheit der Frauen handelt. Die Mehrheit der ägyptischen Frauen schweigt | |
unter dem von der Gesellschaft reproduzierten Schamfaktor. | |
Ist es also noch zu früh, um von einer ägyptischen Frauenbewegung zu | |
sprechen? | |
Nein, das würde ich nicht sagen. Zwar ist die ägyptische Frauenbewegung in | |
den letzten drei Jahren wesentlich stärker geworden, was auf alle Fälle mit | |
der Eroberung des öffentlichen Raums zusammenhängt, doch hat es die | |
Frauenbewegung schon vorher gegeben, sie ist älter als die | |
Menschenrechtsbewegung. Über die Jahre wurden viele kleine Siege erzielt, | |
etwa im Jahr 2005, als ägyptischen Frauen das Recht zugestanden wurde, | |
ihren Kindern die eigene Nationalität zu geben. Früher bekam das Kind | |
automatisch die Nationalität des Vaters. Es ist immer auch eine Schlacht um | |
Verständnis, man muss einen Überblick über das ägyptische Recht behalten | |
und alle Möglichkeiten ausreizen. | |
Vor dem Militärputsch gab es große Bedenken an der von den Muslimbrüdern | |
propagierten Rolle der Frau. Inwiefern haben sich die Frauenrechte | |
innerhalb des einen Jahres unter Mursi tatsächlich verändert? | |
Die Verfassung, die unter Mursi entstanden ist, war eine eindeutige | |
Niederlage. Und zwar nicht nur für Frauenrechte, sondern für Menschenrechte | |
im Allgemeinen. Es wurde vehement versucht, religiöse und moralische Werte | |
in die Legislatur zu integrieren. Am deutlichsten hat sich das an dem | |
Umstand bemerkbar gemacht, dass wir daran gescheitert sind, die rechtliche | |
Gleichstellung von Mann und Frau in die Verfassung zu bekommen. Hinzu kam | |
dann noch die Art des Diskurses. Zwar hat die Mursi-Administration stets | |
behauptet, dass sie Gewalt gegen Frauen verurteile. | |
Während der Gespräche im Parlament jedoch offenbarte sich, dass die | |
Regierung keinerlei Bewusstsein für Menschenrechte hatte. Sie verstanden | |
nicht, dass die Diskriminierung von Frauen eben nicht nur Beschimpfung oder | |
körperliche Gewalt bedeutet, sondern schon bei den eingeschränkten Rechten | |
für Frauen bei Scheidung und Sorgerecht sowie den rhetorischen Bezügen auf | |
die Scharia beginnt. Auch wurde häufig die Schuld den Opfern zugeschoben. | |
War die Mursi-Regierung für einen Dialog mit Menschenrechtlern bereit? | |
Relativ. Es gab hartnäckige Weigerungen, über Themen zu diskutieren, die | |
nach Ansicht der Muslimbrüder und Salafisten zum privaten Familienleben | |
gehören, wo das männliche Haupt des Haushalts nach eigenem Ermessen | |
bestimmen sollte. Es gab zwar heftige Reaktionen, während die Verfassung | |
erarbeitet wurde, jedoch hat dies nichts daran geändert, dass die | |
endgültige Gesetzgebung wichtige Punkte außer Acht gelassen hat. | |
Man weigerte sich zum Beispiel, in der Verfassung die Definition des Kindes | |
als unter 18-Jährige festzuhalten, was eindeutig damit zu tun hatte, dass | |
das Verheiraten von jungen Mädchen erlaubt bleibt. Zudem fehlte ein Gesetz, | |
das den Menschenhandel explizit verbot. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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