# taz.de -- Demonstrationsrecht in Ägypten: Spontaner Protest künftig illegal | |
> Voranmeldung, Bannmeilen, Vermummungsverbot: In Ägypten kassiert ein | |
> neues Gesetz die jüngst gewonnenen Versammlungsfreiheiten gleich wieder | |
> ein. | |
Bild: Protest unter ägyptischer Flagge: Dank des neuen Gesetzes kann er leicht… | |
BERLIN taz | Einen Tag nach Inkrafttreten eines neuen Demonstrationsrechts | |
haben ägyptische Sicherheitskräfte nicht angemeldete Kundgebungen | |
aufgelöst. Studenten der al-Azhar-Universität in Kairo und der Universität | |
Assiut südlich der Hauptstadt riefen Parolen gegen die Armee und die | |
Polizei. Anlass der Versammlungen war die Auflösung von zwei Camps der | |
Muslimbrüder vor 100 Tagen, die damit gegen die Absetzung von Präsident | |
Mohammed Mursi am 3. Juli protestierten. Die Sicherheitskräfte setzten | |
Tränengas ein und vertrieben die Demonstranten. | |
Das neue Gesetz, das am Sonntag in Kraft trat, sieht unter anderem vor, | |
dass Demonstrationen 48 Stunden vorher angemeldet werden müssen. Das gilt | |
für alle Kundgebungen mit mehr als 10 Personen sowie für alle | |
Veranstaltungen im Zusammenhang mit Wahlen. Vermummung ist künftig | |
verboten, für öffentliche Gebäude soll eine Bannmeile festgelegt werden. | |
Kundgebungen in Gotteshäusern oder deren Umgebung sind ebenfalls untersagt. | |
Moscheen waren häufig der Ausgangspunkt für Demonstrationen nach dem | |
Freitagsgebet. Zuwiderhandlungen werden mit zum Teil drakonischen Geld- | |
oder Haftstrafen belegt. | |
Die Sicherheitskräfte erhalten weitgehende Befugnisse, die teils sehr | |
dehnbar formuliert sind. So können sie beispielsweise eingreifen, wenn „der | |
Gang der Justiz beeinflusst“ wird, wenn die „Interessen der Bürger“ | |
beeinträchtigt werden könnten oder wenn der Verkehr behindert wird. Und | |
wenn nur ein einziger Demonstrant einen Stein wirft oder einen Polizisten | |
attackiert, haben die Sicherheitskräfte das Recht, nach vorheriger Warnung | |
die Versammlung „angemessen“ aufzulösen bis hin zum Einsatz von | |
Schrotmunition oder, bei Gefahr für Leib und Leben, auch mit scharfer | |
Munition. | |
Das Gesetz enthält zweifelsohne Punkte, die in vielen Ländern üblich sind, | |
wie etwa die Anmeldung einer Demonstration oder die Existenz von | |
Bannmeilen. Im ägyptischen Kontext jedoch führte dies zu einem Aufschrei | |
der Empörung von Menschenrechtsorganisationen. Immerhin hatten die | |
ÄgypterInnen Anfang 2011 das Recht auf Meinungsfreiheit und den | |
öffentlichen Raum für sich erkämpft. Demonstrationen und Platzbesetzungen | |
waren seither Gang und Gäbe. | |
## Human Rights Watch: Gesetz ist „sehr restriktiv“ | |
Doch Kritik kommt nicht nur aus Ägypten. Die Menschenrechtsorganisation | |
Human Rights Watch (HRW) bezeichnete das Gesetz in einer Stellungnahme vom | |
Dienstag als „sehr restriktiv“. Damit könnten weiterhin Demonstrationen | |
gewaltsam niedergeschlagen und Wahlkämpfe behindert werden. | |
HRW geht auch auf einen Bericht des UN-Sonderberichterstatters für | |
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ein. Zur Frage der Anmeldung einer | |
Demonstration heißt es darin, die Frist sollte höchsten 48 Stunden betragen | |
und nur für große Veranstaltungen oder solche, die den Verkehr behindern, | |
gelten. | |
Als besonders problematisch bezeichnete HRW die Möglichkeiten des | |
Innenministeriums, Veranstaltungen im Zusammenhang mit Wahlen zu untersagen | |
oder aufzulösen. Das Gesetz eröffnet beispielsweise die Möglichkeit, die | |
Versammlung einer mißliebigen Partei zu verbieten, die ihre Kandidaten für | |
Wahlen nominieren möchte. | |
Hier wird deutlich, wo der Hase lang läuft. Sicher gibt es zahlreiche | |
Ägypter, die der Proteste müde sind und eine Wiederherstellung von „Ordnung | |
und Sicherheit“ begrüßen würden, egal, um welchen Preis. Politisch | |
bezeichnend ist aber, zu welchem Zeitpunkt das Gesetz in Kraft trat: | |
unmittelbar nach der Aufhebung des Ausnahmezustands, der im Sommer verhängt | |
worden war, und vor dem Referendum über eine neue Verfassung, das in der | |
zweiten Januarhälfte stattfinden soll, gefolgt von Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen. | |
26 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
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