Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Moschee-Bau im Leipzig-Gohlis: Streit im Paradies
> Leipzig gibt sich weltoffen. Der Konflikt um eine Moschee zeigt aber ein
> anderes Bild. Am Samstag trafen Gegner, Befürworter und Neonazis
> aufeinander.
Bild: Ein Halbmond am Himmel von Leipzig? In der Sachsen-Metropole leider für …
LEIPZIG taz | Die, um die es geht, sind gar nicht da. Im Leipziger
Stadtteil Gohlis stehen sich am Samstag vier Parteien gegenüber: Anwohner,
Linke, Rechtsextreme und die Polizei. Sie streiten um den geplanten Bau
einer Moschee einer Brache an der kargen Georg-Schumann-Straße. Doch die
Muslime selbst fehlen.
Ein paar hundert zumeist junge Menschen warten an einer Ecke, viele von
ihnen aus den Szenevierteln Connewitz und Plagwitz, hinter ihnen die bunt
bemalte Fassade der Erich-Kästner-Grundschule. Schräg gegenüber harren etwa
hundert Menschen aus, Anwohner aus Gohlis, hinter ihnen die an diesem Tag
geschlossenen Gohlis-Arkaden. Auf der dritten Ecke formiert sich die
Einsatzleitung der Polizei rund um fünf schwere Einsatzwagen. Sie alle
fokussieren die vierte Ecke und warten auf das Eintreffen eines Lkw der
rechtsextremen NPD, die zu einer Kundgebung gerufen hat. High Noon in
Leipzig. Ohne die Ahmadiyya-Gemeinde, um deren Moschee es geht.
Der rechte Tross lässt auf sich warten, doch er kommt. Etwa einhundert
formieren sich in einem Block hinter brusthohen Plakaten. Was sie zu sagen
haben, ist kaum zu hören. Zu ohrenbetäubend ist der Lärm der
Gegendemonstranten. Aber im Großen und Ganzen geht es um den Untergang der
deutschen Kultur, die vom Islam unterwandert werde. Die „Maria statt
Scharia“-Plakate stammen noch aus dem kürzlich geführten Wahlkampf der NPD.
Interessanter sind die Diskussionen vor den Gohlis-Arkaden. Hier stehen die
Anwohner. Teilweise unentschlossen, wie sie sich positionieren sollen. Die
NPD hat sich ihres Anliegens angenommen, man könnte auch sagen: Die
Neonazis haben es instrumentalisiert. Eine ältere Dame trägt ein bemaltes
Blatt Papier in der Hand, das sagt, sie sei nicht für die NPD, aber
trotzdem gegen die Moschee: „Ich will einfach genau dieses Theater hier
nicht“, sagt sie zu ihren Gründen und zeigt auf die Kreuzung.
Von einigen anderen, vor allem älteren Menschen, die sich als Anwohner
bezeichnen, hört man die Argumente, mit denen bereits vorher im Internet
Stimmung gemacht wurde: Der Islam sei nicht weltoffen, warum sollte man es
selbst sein. Man könne als Katholik ja auch nicht einfach eine Kirche in
einem arabischen Land bauen. Und sowieso bräuchte man doch zunächst eine
neue Kita für die eigenen Kinder.
Viele Medien im In- und Ausland überbieten sich seit einiger Zeit darin,
ein paradiesisches Bild der ostdeutschen Großstadt zu zeichnen. Nirgends
fehlen Beschreibungen der vielfältigen, kreativen Kunst- und Kulturszene,
der sanierten und vom Krieg verschonten Bausubstanz mit dem schönen
Gründerzeitgürtel und den Wächterhäusern, der riesigen Naherholungsgebiete.
Was oft fehlt, sind Beschreibungen der anderen Bezirke – Grünau,
Volkmarsdorf, Schönefeld oder Wahren. Stadtteile, in denen der Hype noch
nicht angekommen ist. Wo noch keine Immobilienfirmen werben und die
Menschen nicht kreativ und künstlerisch mit Arbeitslosigkeit und Armut
umgehen. André Herrmann beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Hype um
die Heldenstadt und sammelt Texte und Beobachtungen in seinem
[1][Hypezig-Blog]. „Ich würde gerne sehen, dass die Leute merken, es ist
eine ganz normale Stadt, die auch ihre Probleme hat.“
Einen gewissen Größenwahn wie bei der Olympiabewerbung vor zehn Jahren,
Wohnungsleerstand in den äußeren Stadtteilen oder Gewalt im Fußball. Oder
eben der Streit um den Moschee-Bau in Gohlis, der die Zerrissenheit
zwischen weltoffener und weltabgewandter Stadt besonders deutlich
hervortreten lässt.
## Die unbekannten Gegner
Das zweistöckige Gebäude wird etwa zehn Meter hoch werden, versehen mit
zwei zwölf Meter hohen Zier-Minaretten. Die umstehenden Gebäude sind höher.
Viele Anwohner waren von Anfang an nicht glücklich mit der Entscheidung der
Stadt, aber in den vergangenen zwei Wochen eskalierte die Situation. Eine
Bürgerinitiative formierte sich weitgehend anonym. Wer genau dahinter
steht, kann bis heute nur vermutet werden. Doch ihr Anliegen formulierten
sie umso deutlicher: „Keine Moschee in Leipzig“. Vor zwei Wochen startete
sie eine Online-Petition. Eine dazu gehörige Facebook-Gruppe machte
Stimmung, inklusive rechter Hetze und islamophober Vorurteile.
Das wollte [2][Martin Meißner] nicht auf sich sitzen lassen: „Der Rassismus
und die Dummheit, die in einigen Argumenten preisgegeben wurde, hat mich
einfach gestört“, begründet der in Gohlis aufgewachsene Leipziger seine
Gegenpetition. „Ich glaube nicht, dass es schlechte Menschen sind, die das
schreiben. Aber wenn man sich die Argumente durchliest, ist es teilweise
schwierig, einen ruhigen Puls zu behalten.“
Auch Blogger Andrè Herrmann findet, „Demokratie muss es aushalten, dass es
Leute gibt, die so eine Moschee nicht wollen, aber die Gründe sind doch
Quatsch, die Ängste irrational.“ Viele Leute hätten keine Lust, sich
tatsächlich zu informieren.
Auch Rashid Nawaz hat die kritischen Stimmen vernommen. Gelassen und wenig
überrascht habe er das registriert.
Nawaz, seit Mitte der 1990er Jahre im sächsischen Freiberg lebend, ist der
Regionalvorsitzende der Ahmadiyya-Gemeinde für Sachsen und Berlin. In der
Hauptstadt hat die Gemeinde 2007 eine Moschee errichtet. Auch dort hat es
einen aufsehenerregenden Streit gegeben, die Argumente der Gegner waren
ähnliche.
An diesem Samstag nutzt Nawaz eine kleine Veranstaltung in der
Friedenskirche vor den Demonstrationen, um aufzuklären. Leipzigs
Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte gesprochen und den Neubau
verteidigt, der Superintendent der evangelischen Kirche in der Stadt,
Martin Henker, und Petitions-Gründer Martin Meißner. Auch die anderen
demokratischen Parteien – ausgenommen die CDU – waren dabei.
„Die Menschen haben berechtigte Fragen, wir würden ihnen die gerne
beantworten und ihre Ängste nehmen“, betont Nawaz freundlich den Dialog und
erzählt etwas über die Ahmadiyya. Zum Beispiel, dass die aus Pakistan
stammende Reformgemeinde selbst innerhalb der islamischen Welt um
Anerkennung kämpft. Oder dass es die erste richtige Moschee in Sachsen für
250 Mitglieder wäre. Bislang würde man Häuser als Gebetsräume nutzen. Am
Donnerstag will die Stadt die Anwohner in Gohlis und Leipziger Bürger zum
Moscheebau informieren.
## Ach, der gute Ruf
„Die ganze Diskussion schadet dem guten Ruf der Stadt auf jeden Fall“,
findet André Herrmann, „die Ressentiments sind sozusagen der schwarze Fleck
auf der medialen weißen Weste.“ Er findet, es wäre wichtig, die Debatte
offen zu führen. Genauso sieht es Martin Meißner, der der
Pro-Moschee-Petition bewusst seinen Namen gegeben habe, weil er die Hetze
der Gegenseite, die sich als Mitte der Gesellschaft ausgebe, peinlich fand.
Die Lage an der Ecke vor den Gohlis-Arkaden bleibt weitgehend ruhig. Am
Abend zieht der rechte Tross weiter nach Schneeberg. Dort im Erzgebirge
geht es gegen ein geplantes Asylheim. Viele Leute in Schneeberg schließen
sich dem Tross an. Wie schon vor ein paar Wochen kommen mehr als tausend
Menschen in der Kleinstadt zusammen, die an einem Fackellauf teilnehmen.
3 Nov 2013
## LINKS
[1] http://hypezig.tumblr.com/
[2] http://www.weltnest.de/Blog/203/moschee-in-gohlis-so-sieht-eine-demokratisc…
## AUTOREN
John Hennig
## TAGS
Leipzig
Moscheebau
Ahmadiyya
Schwerpunkt Neonazis
NPD
Moschee
Leipzig
Flüchtlinge
Rechtsextremismus
Moschee
NPD
CDU
Demonstrationen
Moschee
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Moschee-Bau in Leipzig: Totes Ferkel auf Bauplatz gefunden
Im Leipziger Stadtteil Gohlis soll eine Moschee gebaut werden. Nun wurde
dort ein totes Ferkel gefunden, auf dem „Mutti Merkel“ geschrieben stand.
Geplanter Moscheebau in Leipzig: Beschwerden abgewiesen
Die Ahmadiyya-Gemeinde will in Leipzig eine Moschee bauen. Einige Nachbarn
legten Einspruch ein. Diesen wurden nun als unbegründet abgewiesen.
Ressentiments gegen Flüchtlinge: Leipziger Schule
Weil Grundschüler ein Flüchtlingsheim besuchen sollten, zog eine Mutter vor
Gericht – und scheiterte. Eine ominöse Bürgerinitiative mischt mit.
Kommentar NPD-Proteste in Schneeberg: Die Stunde der Demagogen
In Ländern, in denen bald gewählt wird, demonstriert die NPD gegen
Flüchtlinge. Auch die Bewohner Schneebergs werden instrumentalisiert.
Geplante Moschee in Leipzig: Anschlag mit Schweineköpfen
Unbekannte haben das Gelände verunstaltet, auf der die Moschee gebaut
werden soll. Sie spießten Schweineköpfe auf Holzpflöcke. Die Stadt ist
entsetzt.
Podiumsdiskussion zur Zukunft Sachsens: Rechte Visionen willkommen
Die Landeszentrale für politische Bildung lädt die NPD zur
Podiumsdiskussion „Sachsen 2030“. Die demokratischen Parteien wollen
trotzdem teilnehmen.
Streit um Bau einer Moschee: Leipzigs antimuslimische Union
In Leipzig soll eine Moschee gebaut werden. Die örtliche CDU ist gespalten.
Dabei steht die Bundespartei in dieser Frage klar zum Grundgesetz.
NPD-Aufmarsch im Erzgebirge: Unter bürgerlichem Deckmantel
NPD und Kameradschaften protestieren als angeblich unorganisierte Bürger
gegen Flüchtlinge – in Schneeberg folgten ihnen über 1.500 Menschen.
Kölner Zentralmoschee: Ohrfeige für Günter Wallraff
Der türkische Islamverband Ditib reagiert auf Kritik: Der Kölner Bau gehe
voran, von „rückwärtsgewandter Verkitschung“ könne keine Rede sein.
Wahlkampftour der Rechtspopulisten: „Pro“ gegen Muslime und die taz
Die rechte Kleinstpartei „Pro Deutschland“ startet eine Wahlkampftour gegen
vermeintliche Islamisten und Linksextreme. Auch die taz bekommt Besuch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.