| # taz.de -- Pädagogin zu Lehrer-Schüler-Verhältnis: „Viele Kinder werden m… | |
| > Bemerkungen von Lehrern können Schüler nachhaltig verletzen. | |
| > Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel über Feingefühl, Macht und | |
| > verbale Gewalt. | |
| Bild: Wenn ein Kind verletzt wird, zeigt es „sich sichtbar in der Körperhalt… | |
| taz: Frau Prengel, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit | |
| Lehrer-Schüler-Beziehungen – ein in der Bildungsforschung relativ | |
| unterrepräsentiertes Feld. Sie sprechen sogar von einem „weitgehend | |
| tabuisierten Thema“. Warum ist das so? | |
| Annedore Prengel: Es gibt zwar einzelne Wissenschaftler, die sich damit | |
| beschäftigen – aber in größeren, institutionalisierten Projekten findet das | |
| Thema kaum Beachtung. Viele, die bildungspolitisch tätig sind, fürchten, | |
| wenn man sich der Beziehungsebene zuwendet, das Ausblenden von Aspekten der | |
| systematischen Benachteiligung, die in Ressourcen oder Strukturen begründet | |
| liegt – ein Ausblenden von institutioneller Gewalt also. | |
| Spätestens seit dem ersten „Pisa-Schock“ hätten sich doch aber auch die | |
| Bildungspolitiker sehr für die Qualität von Klassenraumbeziehungen | |
| interessieren müssen: Was nützt eine neue Multimediatafel, wenn der Lehrer | |
| nicht gut ist? | |
| Die Schulleistungsforschung beschäftigt sich ja auch mit Interaktionen | |
| zwischen Lehrern und Schülern – aber eben meistens nur am Rande. Das wird | |
| dann unter dem Punkt „unterstützendes Lehrerhandeln“ zusammengefasst, steht | |
| aber selten im Mittelpunkt des Interesses. Das erachte ich als falsch. | |
| Zusätzlich zur fachlichen und didaktischen Kompetenz muss der | |
| Beziehungsfähigkeit einer Lehrkraft der gleiche Stellenwert eingeräumt | |
| werden. Ohne eine konstruktive pädagogische Beziehung wird soziales, aber | |
| auch kognitives Lernen behindert. | |
| Für die Langzeitstudie INTAKT haben Sie etwa 15.000 pädagogische | |
| Interaktionsszenen aus rund 120 Schulen ausgewertet. Gut ein Viertel der | |
| Szenen werten Sie als „leicht“, 6 Prozent als „schwer verletzend“. Was | |
| heißt das? | |
| Handlungsmuster werden als sehr verletzend gewertet, wenn sie in einem | |
| mehrstufigen Auswertungsprozess als eindeutig schädlich und unzulässig | |
| eingeordnet wurden. Tatsächlich ist es oft nicht ganz einfach, die | |
| emotionale Qualität einer Szene klar zu kategorisieren. Nehmen Sie zum | |
| Beispiel die Aussage einer Lehrerin: „Den Herren der Schöpfung liegt das | |
| Multitasking ja nicht.“ | |
| Ein Spruch, ein Klischee, aber doch keine seelische Verletzung … | |
| Ja. Ich würde es zunächst der Kategorie „schwer einzuordnen“ zuordnen. Ab… | |
| dann sind da noch andere Faktoren, etwa der Ton, den die Lehrerin | |
| anschlägt. Klingt er sehr zynisch? Dann kann so etwas von einem Jungen | |
| vielleicht als stark verletzend wahrgenommen werden. Ist es der missglückte | |
| Versuch, humorvoll zu sein? Klingt es freundlich? Dann ist auch nicht jedes | |
| Klischee, das eine Lehrkraft bringt, gleich verletzend. Man kann bei der | |
| Interpretation von Interaktionen ja auch übermoralisieren, und das ist dann | |
| auch problematisch. | |
| Sind solche eher ambivalenten Äußerungen nicht auch im Rahmen dessen, was | |
| menschliche Kommunikation nun mal ausmacht – manches kommt, ganz platt | |
| gesagt, anders oder in anderer Qualität an, als es gemeint war? | |
| Sicher. Lehrer-Schüler-Beziehungen haben ja auch immer ein Machtgefälle | |
| durch die Generationenhierarchie. Darum kann man auch in anerkennenden | |
| Interaktionen Ambivalenzen erkennen. Aber uns geht es in unserem Projekt | |
| darum, klare ethische Maßstäbe für gutes Lehrerhandeln zu formulieren. Es | |
| fehlt an einem fachlich fundierten Diskurs, wann Sprache in pädagogischen | |
| Settings zu Gewalt wird. Es geht darum, herauszufinden: Was ist zum | |
| Beispiel noch ein angemessenes Maß an Kritik – und wo beginnt eine | |
| unzulässige Verletzung? | |
| Auch das kann subjektiv empfunden werden. | |
| Eine Verständigung über Grenzen ist möglich. Es gibt Worte, die in der | |
| Pädagogik ganz klar hochproblematisch sind. Vergleichen Sie es mit | |
| ärztlichen Kunstfehlern. Wenn ein Kind, wie wir beobachtet haben, in die | |
| Ecke gestellt wird, weint, und der Lehrer sagt: „Steh nicht rum wie ein | |
| Gartenzwerg“, und die ganze Klasse lacht – dann ist das eine Form von | |
| verbaler Gewalt. Oder eine Lehrerin sagt: „Du hast ja ganz verknotete | |
| Finger, dich müssen wir uns noch mal neu backen.“ Auf den ersten Blick mag | |
| da vielleicht kein verletzendes Wort drin sein, aber die Aussage ist doch: | |
| „Du bist falsch, so wie du bist.“ | |
| Wie reagieren Kinder, die verletzt werden? | |
| Viele Kinder werden mutlos. Das zeigt sich sichtbar in der Körperhaltung: | |
| Das Kind starrt nach unten, es lässt die Schultern hängen. Manche weinen. | |
| Oder das Kind reagiert aggressiv, es schreit, explodiert förmlich – auch | |
| wenn das seltener vorkommt. Meist haben wir eine Form des Erstarrens | |
| beobachtet. In jedem Fall aber behindern seelische Verletzungen die | |
| Lernaktivität eines Kindes, das ist in Beobachtungen unmittelbar sichtbar. | |
| Kinder stecken Verletzungen aber auch unterschiedlich gut weg. Nicht jedes | |
| trägt einen bleibenden Schaden davon oder ist traumatisiert, weil es etwa | |
| im Sportunterricht am Reck bloßgestellt wurde. | |
| Trauma ist natürlich ein großes Wort, und da gibt es viele Schattierungen. | |
| Aber Verletzungen schaden jedem Kind. Wenn zum Beispiel ein Kind beim | |
| Vorsingen lächerlich gemacht wird und daraufhin langfristig vermeidet, | |
| überhaupt zu musizieren, dann ist das zumindest eine langfristige | |
| Beeinträchtigung. Das gilt für alle Fächer und Lernbereiche und ist | |
| keineswegs banal, sondern für Lebensentwürfe und Bildungswege folgenreich. | |
| Wann mache ich meine Sache denn gut als LehrerIn? | |
| In einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung werden grundlegende | |
| Höflichkeitsformen beachtet, Kinder werden zum Lernen ermutigt, es werden | |
| Aufgaben gestellt, die Kinder bewältigen können, Kinder werden angehört. | |
| Damit sind viele gute pädagogische Handlungsmuster sehr einfach. | |
| Anerkennendes Handeln ist im Übrigen nicht mit Laisser-faire zu | |
| verwechseln, denn auch Willkür und Strukturlosigkeit führen zu | |
| Verletzungen. | |
| Was aber manchmal auch leichter klingt, als es tatsächlich ist. | |
| Es geht um das Ziel, pädagogisches Handeln in unserem Bildungswesen | |
| feinfühliger zu machen. Es ist nicht ehrenrührig, wenn Pädagoginnen und | |
| Pädagogen ihr Handeln zur Diskussion stellen. Man kann zum Beispiel | |
| Unterrichtssituationen im Team reflektieren, verbales Handeln an konkret | |
| erlebten oder auch fiktiven Szenen besprechen. Wichtig ist, dass in Schulen | |
| ein Konsens darüber erarbeitet wird, was guter Umgangsstil ist. Auch im | |
| Bereich des Schulrechts fehlt es an Klärungen dazu, was als unzulässige | |
| psychische Verletzung gelten muss. | |
| Ihnen schwebt eine Art Ethik-Katalog vor? | |
| Ja. Wir brauchen grundlegende pädagogische Verhaltensnormen und eine | |
| Kunstfehlerlehre, die an Ankerbeispielen – und die haben wir – | |
| veranschaulicht wird. Wichtig ist, dass es zu einer breiteren, | |
| wissenschaftlich-ethischen, alltäglichen und zugleich juristischen | |
| Auseinandersetzung mit dem Thema kommt. | |
| 20 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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