# taz.de -- Anwalt über NSU-Prozess: „Es sind zu viele Fragen offen" | |
> Der Generalbundesanwalt gibt Akten im Kasseler Mordfall Halit Yozgat | |
> nicht frei. Was daran schwierig ist, erklärt der Anwalt der Nebenkläger, | |
> Alexander Kienzle. | |
Bild: Halit Yozgat führte diesen Laden in Kassel – bis er an selber Stelle e… | |
Er war vor Ort. Er will aber weder etwas gesehen noch gehört haben. Am | |
Dienstag flüchtete sich der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas | |
T. vor dem Oberlandesgericht München erneut in Erinnerungslücken. Im | |
NSU-Verfahren versuchten die Nebenkläger der Familie des in Kassel | |
ermordeten Halit Yozgat die Zeugenvernehmung von T. zu stoppen. Der Grund: | |
37 Akten zu T., die das Gericht und der Generalbundesanwalt nicht zum | |
Verfahren zulassen. Anwalt der Nebenkläger ist Alexander Kienzle. | |
taz: Herr Kienzle, Sie stellten den Antrag, T. erst zu vernehmen, wenn die | |
Akten zu ihm eingesehen werden könnten. Sie haben die Akten aber doch | |
bereits eingesehen? | |
Alexander Kienzle: Wir dürfen die Akten ausschließlich in Karlsruhe beim | |
Generalbundesanwalt (GBA) einsehen. Das ist keine zumutbare Gewährung von | |
Akteneinsicht. Durch die Restriktionen können wir nicht in der | |
Hauptverhandlung aus den Akten zitieren, die brisanten Inhalte mit dem | |
Zeugen erörtern oder die Bestände mit weiteren Aktenteilen abgleichen. | |
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl erklärte, die Beiziehung der Akten | |
würde nicht zur Aufklärung beitragen. | |
Die Haltung des Gerichts ist widersprüchlich. Es hat auf unseren Antrag hin | |
Aktenteile beigezogen, die der GBA dem Gericht vorenthalten hatte. Die | |
Befragung des Gerichts am Dienstag beruhte auch auf Inhalten, die auf unser | |
Betreiben hin vorliegen. Inkonsequent ist, dass zwar der Inhalt der | |
widersprüchlichen Aussagen relevant sein soll, ihr Zustandekommen aber | |
nicht. | |
Vor Gericht sagte T. schon aus, nahe der Tatzeit der Ermordung von Halit | |
Yozgat in dessen Internetcafé gesurft zu haben, beim Bezahlen den Betreiber | |
aber nicht mehr gesehen zu haben. Warum fassen Sie so nach? | |
Weil die Aussage, er habe keinerlei Wahrnehmungen gemacht, nicht nur von | |
ihm selbst relativiert wurde. Die Ermittler kamen damals auch über eine | |
umfassende Rekonstruktion der Abläufe zu dem Schluss, dass er etwas | |
wahrgenommen haben müsste. | |
Sie halten T. nicht für glaubwürdig? | |
Es sind zu viele Fragen offen. Zur Erinnerung: Der Zeuge war | |
Hauptbeschuldigter nach dem Mord. Die Ermittlungen konnten damals von der | |
Polizei nicht weiterbetrieben werden, weil Quellen des Landesamtes für | |
Verfassungsschutz nicht zur Vernehmung freigegeben wurden, der | |
Innenminister Hessens eine Sperrerklärung erließ und eine Überprüfung der | |
Angaben des Zeugen nur eingeschränkt möglich war. | |
Vermuten Sie Absprachen zwischen T. und seinen Vorgesetzten? | |
Wir sind nicht auf Vermutungen angewiesen. Dem Beschuldigten wurden | |
Instruktionen gegeben, wie dicht sich seine Aussageinhalte an der Wahrheit | |
befinden müssen. Das wissen wir aus der Telefonüberwachung, die der GBA | |
ebenfalls nicht vorlegt. Dass aus dem Landesamt heraus einem Mitarbeiter | |
geraten wird, bei Mordermittlungen „so dicht wie möglich an der Wahrheit“ | |
zu bleiben, ist der offen formulierte Hinweis, dass die Wahrheit nur eine | |
von mehreren möglichen Optionen ist. | |
Sehen Sie hier die Beweggründe, diese Akten jetzt unter Verschluss zu | |
halten? | |
Das ist ein mögliches Motiv. Der GBA ist nach wie vor der irrigen | |
Auffassung, staatliche Fehlleistungen hätten mit der Aufklärung eines | |
Sachverhalts nichts zu tun. Bemerkenswert war die Entwicklung der | |
Akteneinsicht: Anfangs wurden uns Kopien mitgegeben. Erst als wir für die | |
Vernehmung T.s konkret mitteilten, welche Akten wir noch brauchten, wurde | |
uns nichts mehr zur Verfügung gestellt. | |
Befürchten Sie, dass jetzt Verschwörungsideen um T. weiter befeuert werden? | |
Einem Gericht, das einen Sachverhalt nicht ausreichend aufklärt, droht die | |
Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht. Bei fehlender Aufklärung | |
rund um T. könnte dem Urteil die Legitimität abgesprochen werden. Die Frage | |
ist, wie viel Raum für Verschwörungstheorien Behörden und Justiz in einem | |
Rechtsstaat selbst verantworten dürfen. Nach unserer Überzeugung: keinen. | |
Was bedeutet für Ihre Mandanten die Ablehnung? | |
Sie sehen damit die letzte Möglichkeit vollständiger Aufklärung | |
verstreichen. Dieses Vorgehen wird der Familie das Vertrauen in den | |
Rechtsstaat und in ihre Heimat nicht zurückgeben können. | |
5 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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