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# taz.de -- Tributalbum für Gil Scott-Heron: Das Vermächtnis des Ghetto-Poeten
> Junge Rapper und Jazzsänger ehren den 2011 gestorbenen Gil Scott-Heron.
> Der große Musiker fühlte sich zeitlebens der afroamerikanischen Sache
> verpflichtet.
Bild: Er kämpfte mit Worten gegen Passivität: Gil Scott-Heron.
„Jedes Nichts, das du tust oder sagst, ebnet nur den Weg für die nächste
Ungerechtigkeit“, heißt es in Gil Scott-Herons postum veröffentlichten
Memoiren „The Last Holiday“.
Passivität hieß der Feind, dem er die Stirn geboten hat, bis er 2011 an den
Folgen seiner Aids-Erkrankung starb. Scott-Heron war über 40 Jahre lang
aktiv im Kampf für die Rechte der afroamerikanischen Community, als
Spoken-Word-Poet, Musiker und Schriftsteller zugleich. Noch heute gehört
„The Revolution will not be televised“, einer seiner frühesten Songs, zum
Soundtrack der Straßenproteste in Kairo und Athen. Zugleich gilt das Stück
als Blaupause des Rap, wenngleich sich Scott-Heron zeitweise von dieser
Auffassung distanzierte.
Die Posen im HipHop missfielen Gil Scott-Heron. Denn ihm selbst lag immer
daran, Starrsinn zu zergliedern und die darin verborgenen Empfindungen mit
Alltagsminiaturen wie „Whitey on the Moon“ (1970) zutage zu fördern.
Irgendwann musste Scott-Heron jedoch anerkennen, dass es durchaus Rapper
gibt, die nicht nur Bling-Bling auf dem Plan haben, sondern ernsthafte
politische Anliegen formulieren – und zwar häufig, indem sie sich auf die
Ghetto-Poesie Scott-Herons berufen.
Dazu zählen unter anderem Chuck D von Public Enemy und das Duo Dead Prez,
die nun auch prominent auf dem Album „Evolutionary Minded – Furthering the
Legacy of Gil Scott-Heron“ vertreten sind.
## Keine Coverversionen, sondern neue Kompositionen
Das Projekt widmet sich dem gigantischen Werk Scott-Herons (15 Studio- und
neun Live-Alben, zwei Romane und mehrere Gedichtbände), aus dem bereits
unzählige Phrasen und Loops bis zum Anschlag gesampelt worden sind. Doch
liefert „Evolutionary Minded“ nicht etwa Coverversionen, sondern neue
Kompositionen, die von Textfragmenten, Melodien und Ideen von Scott-Heron
inspiriert sind.
Im Zentrum des Projekts stehen der bislang eher unbekannte Produzent
Kentyah Fraser sowie der Brooklyner Komponist Brian Jackson, der die
Soundästhetik der Heron-Songs im Laufe der siebziger Jahre mitentwickelt
hatte. Seit dem gemeinsamen Album „Winter in America“ (1974) legten sich
Jacksons-Rhodes-Klavierriffs und Flötenmelodien wie ein Schleier über
Scott-Herons borstige Stimme und erzeugten diesen schmerzhaften Kontrast,
in dem sich die schwarzen US-Bürger nach dem Verstummen der
Black-Power-Parolen wiederfanden.
## Sein Kampf bleibt auch im „post-racial America“ relevant
Im Jahr 2013 sehen die Dinge gewiss anders aus. Seit Obamas erster
Amtsperiode spricht man gerne vom post-racial America, einer Gesellschaft,
in der Hautfarbe keine Rolle mehr spielt. Doch dass Symbolik allein nicht
reicht und die soziale Kluft zwischen Schwarz und Weiß noch immer
abgrundtief ist, zeigte erst kürzlich die Freisprechung des Mannes, der im
Februar 2012 den unbewaffneten Teenager Trayvon Martin in Sanford, Florida,
erschoss.
So gesehen gibt es noch immer Anschlusspunkte an Gil Scott-Herons Kämpfe
von damals, die dem gelungenen „Evolutionary Minded“-Projekt zugrunde
liegen. Im Song „Opponent“ etwa, der sich Sound- und Textsamples aus dem
Heron/Jackson-Stück „Angola“ bedient, geht es um die symbiotische Beziehung
zwischen Ghetto und Gefängnis.
„Mir geht es gut, denn ich könnte gerade auch im Knast sein“, heißt es da
in mantrahaften Wiederholungen. In ihren pointierten Raps verwenden Dead
Prez die Metalltüren des Hochsicherheitsgefängnisses als Metapher, um einen
Geisteszustand zu beschreiben, der einen auch auf der Straße verfolgt.
Noch heute machen Afro- und Hispanoamerikaner 58 Prozent der Knastinsassen
in den USA aus, obwohl sie nicht mal ein Viertel der Bevölkerung stellen.
Dass dies direkte Nachwirkungen von Ronald Reagans fragwürdiger „War on
Drugs“-Politik sind, die die Crack-abhängige Ghettobevölkerung systematisch
in Haftanstalten schob, daran erinnert der Track „Recurring Cycles“.
## Für Scott-Heron war die Radikalität nur eine Phase
Der Rapper M1 arbeitet dieses hässliche Antlitz der Achtziger auf, über
mehrere Tempowechsel hinweg und mit Flow zwischen relaxtem New Yorker
Oldschool und Double-Time-Maschinengewehr. Eine kontrovers-nostalgische
Dimension bekommt dieser Aufruf zum Durchbrechen des Teufelskreises, wenn
in Interludes mit Anekdoten und Archivmaterial der bewaffnete Widerstand
der Black Panthers glorifiziert wird.
Für Meister Scott-Heron aber war die Radikalität nur eine Phase. Mit immer
spröder klingender Stimme verwandelte er seine Kritik in melancholische
Epen wie „We Almost Lost Detroit“, dem vielleicht schönsten Anti-AKW-Song,
den es je gegeben hat.
Diesem Stück widmet sich Co-Writer Brian Jackson nun auf dem Tribute-Album
mit viel Fingerspitzengefühl. Nur einen Soundausschnitt übernimmt und
entwickelt Jackson weiter und lässt nur einen einzigen Satz daraus von dem
jungen Jazzsänger und Scott-Heron-Verehrer Gregory Porter variieren, bis
alles in jenseitigem Nachklang zerfällt: „How would we ever get over losing
our minds?“
6 Dec 2013
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Rap
HipHop
Spoken Word
USA
Detroit
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