| # taz.de -- Rapper MC Textor über HipHop im "Alter": "So ein Orchester ist ein… | |
| > Die Qualität, 45 Jahre alt zu sein, hat bisher noch niemand in den HipHop | |
| > eingebracht. Henrik von Holtum, heute 37, ist dafür ein aussichtsreicher | |
| > Kandidat. | |
| Bild: Textor rechts, Quasimodo links. | |
| taz: Herr von Holtum, Sie haben sich 2007 von Ihrer Band Kinderzimmer | |
| Productions verabschiedet. Und vom Musikgeschäft - mit einem wütenden | |
| Manifest in der taz. Wo stehen Sie heute? | |
| Henrik von Holtum: Die Schwerpunkte haben sich verschoben. HipHop hat mich | |
| über 20 Jahre beschäftigt, die wird man nicht so einfach los. Ob das ein | |
| Fluch oder ein Segen ist, weiß ich noch nicht. Es gibt jedenfalls Dinge, | |
| die ich nicht ablegen sollte: Sprechen über Beats zum Beispiel. Nur an der | |
| Frage, wie rum man die Basecaps zu tragen hat, bin ich nicht mehr | |
| interessiert. | |
| Hat Sie das je interessiert? Ihr Partner Quasi Modo und Sie haben doch | |
| immer mit der Szene gefremdelt … | |
| Wir haben nie gefremdelt, die Szene hat mit uns gefremdelt! Wir haben | |
| HipHop immer so verstanden, dass es nur sehr wenige Konstruktionsprinzipien | |
| gibt, die funktionieren wie eine DNA. Die Kappen haben wir auch getragen, | |
| aber darüber hinaus nach einem originellen eigenen Weg gesucht. Das hat uns | |
| nicht viele Freunde gebracht. | |
| Mit Ihrem aktuellen Projekt Textor und Renz wandeln Sie auf | |
| Singer-Songwriter-Pfaden. Das gerade veröffentlichte Album von Kinderzimmer | |
| Productions wurde mit dem Radiosymphonieorchester Wien aufgenommen. Sind | |
| Sie noch Rapper? | |
| Für mich bestand da nie ein Zweifel. Die vermeintlichen stilistischen | |
| Sprünge sind für mich Teil eines persönlichen roten Fadens. Der läuft mal | |
| kreuz, mal quer, aber insgesamt ist es schlüssig, was ich tue. Mein | |
| nächstes Projekt wird akustisch, aber orientiert sich an dem, was ich | |
| gelernt habe: Loops, Repetition, Direktheit. Das sind Qualitäten, die ich | |
| sowohl an Singer-Songwriter- als auch bei HipHop-Alben schätze. | |
| Ihr neues und auch die ersten beiden Kinderzimmer-Alben erscheinen jetzt | |
| beim Münchner Label Trikont. Wie kam es zur Zusammenarbeit? | |
| Wir haben nach unserer Auflösung überlegt, was wir mit dem Backkatalog | |
| machen sollen. Weil damals alle an die Zukunft der CD geglaubt haben, | |
| besitzen wir die Vinylrechte an all unseren Alben. Bis heute kommen | |
| Anfragen - mit Trikont gibt es ein Label, bei dem wir uns mit diesem | |
| historischen Paket gut aufgehoben fühlen. | |
| Das HipHop-Duo Kinderzimmer Productions als historische Randerscheinung | |
| neben Bayern-Barden wie Hans Söllner? | |
| Zugegeben, mit 20 wären wir nicht dort gelandet. Damals war man total | |
| erpicht darauf, in welcher Garage man parkt. Aber die Erfahrung, die wir im | |
| Musikgeschäft gemacht haben, ist, dass es diese angebliche Reinheit der | |
| Dinge nicht gibt. Man findet sich auf Festivals im Backstagebereich neben | |
| einer Darkwave Band. Soll man jetzt nicht mit denen reden? Das Bedürfnis, | |
| die Sachen sauber zu halten, ist absurd. So funktioniert Musikmachen nicht | |
| mehr. Beim herrschenden Mangel an Infrastruktur und Aufmerksamkeit müssen | |
| alle, die von ihrer Musik leben, zusammenhalten. | |
| Dass die Balance von Aufwand und Entlohnung nicht stimmt, war einer der | |
| Gründe, mit denen Sie 2007 die Auflösung begründet haben. Von was leben Sie | |
| jetzt? | |
| Es ist eine Mischung aus Jobs fürs Radio, Kompositionsaufträgen und | |
| Unterricht an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Und Touren als | |
| Gastmusiker, mit dem Instrument, das ich gelernt habe. Mein Partner Sascha | |
| Klammt alias Quasi Modo lehrt und soundtüftelt weiterhin in Ulm. Das | |
| funktioniert für beide. | |
| Sie sind jetzt 37, ist die Abkehr vom HipHop auch eine Alterserscheinung? | |
| Bis wann kann man guten HipHop machen? | |
| HipHop ist dann gut, wenn er eindeutig und zwingend ist. Weitermachen, | |
| solange es gut geht, ist eine Sache. Aber die Qualität, 45 Jahre alt zu | |
| sein, in den HipHop einzubringen, das hat bisher keiner geschafft. Auf dem | |
| letzten Album von Gil Scott-Heron gab es so einen Moment, wo der Klang der | |
| Stimme eine innere Haltung transportierte. Ein Moment, wo man selbst im | |
| Supermarkt innehält. Vielleicht kommt noch was. | |
| Sie haben neben Ihrer HipHop-Karriere an der Musikhochschule studiert. Die | |
| Songs Ihrer Band stecken voller Zitate aus Jazz, Blues und Filmmusik. Woher | |
| kommt diese Prägung? | |
| Bei meinen Eltern im Plattenschrank stand viel Jazz und Klassik. Das waren | |
| die Alben, nach denen ich für meine ersten Samples griff. Wobei ich Jazz | |
| gewissermaßen zweimal lernte. Erst zu Hause, dann auf der Hochschule. | |
| Während ich Jazz aber schon als Kind für seine wunderbare Klangästhetik | |
| liebte, hat mich die klassische Musik nie recht gepackt. Zu anämisch. | |
| Änderte sich das auf der Hochschule? | |
| Da änderte sich mein Respekt für den Klangkörper an sich. So ein Orchester | |
| ist ein Brett, eine wuchtige, aber durchlässige Klangerfahrung. Dagegen | |
| klingt jeder Verstärker enttäuschend. Die Lebenswelt und das | |
| Selbstverständnis von Klassikmusikern blieben mir aber immer fremd. Mein | |
| Studium und mein Leben als Teil von Kinderzimmer Productions waren immer | |
| getrennt. Man hat mich zwar bemerkt - wir hatten zu der Zeit einen Major | |
| Deal und ein Video auf Rotation. Aber Überschneidungen gab es kaum. Für | |
| mich war die Klassikwelt einfach eine mögliche Hintertür. | |
| Mit Ihrem neuen Album "Gegen den Strich", auf dem das | |
| Radiosymphonieorchester des ORF Kinderzimmer-Tracks interpretiert, bewegen | |
| Sie sich nah an Ihrer damaligen Lebenswelt. Wäre eine Kooperation zwischen | |
| einer HipHop-Crew und einem Orchester auch früher denkbar gewesen? | |
| Die Wiener erlebte ich zugänglicher als mein Hochschulorchester von damals. | |
| Die Zusammenarbeit war sehr unkompliziert. Aus Zeitmangel konnte aber nicht | |
| mehr als eine Annäherung stattfinden. Einen Übersetzungsprozess gab es | |
| nicht, niemand verinnerlichte unsere repetitiven Strukturen so, wie er es | |
| vielleicht mit Brahms getan hätte. Die Musiker machten ihr Skill-Set auf | |
| und holten alles raus, was sie brauchten - was super war. Aber das | |
| Äquivalent einer spätromantischen Emphase für HipHop zu finden, diese | |
| besondere Energie, das war in der Kürze der Zeit nicht möglich. | |
| Crossover zwischen Pop und Klassik läuft immer Gefahr, in Kitsch | |
| abzurutschen. Wie gingen Sie damit um? | |
| Ich hasse den Begriff Crossover. Sich in dieser Nachbarschaft verortet zu | |
| sehen, war für unser Orchesterprojekt eine Riesengefahr. Denn zwei Gerichte | |
| zusammenzurühren, um sich innovativ zu fühlen, ist das eine. Im Ergebnis | |
| wird man aber meist nur zwei Formen nicht gerecht. Uns ging es darum, am | |
| Ende ein Ergebnis zu haben, das über die erwartbaren Effekte hinausgeht. | |
| Das funktioniert in den seltensten Fällen. Wir sind das Risiko trotzdem | |
| eingegangen. Und waren vom Resultat erstaunt. | |
| Sie hatten nur anderthalb Tage Probezeit, um das komplette Album | |
| einzuspielen. Wie funktioniert so was? | |
| Ich habe mit Oliver Prechtl, der Klavier gespielt hat, die Partituren | |
| aufgeteilt. Nachdem die Instrumentierung der Loops klar war, begann die | |
| handwerkliche Arbeit: Die Einzelstimmen so zu schreiben, dass sie die | |
| Musiker lesen können. Wie laut zwei Fagotte gegen vier Hörner sind und wie | |
| mein Sprechgesang rüberkommt erfährt man aber erst beim Proben. Dafür | |
| hatten wir nur einen Tag, also fünf Stunden netto. Am Tag darauf | |
| Generalprobe, abends das Konzert. Beeindruckend war zu beobachten, wie sich | |
| die Orchester-Maschine in Bewegung setzt und loswalzt. | |
| War das ein einmaliger Ausflug? | |
| Bisher ja, obwohl es mich jucken würde, mal eine ganze Probenwoche zu | |
| kriegen. Aber im Klassikbetrieb ist Zeit Geld, schließlich wird da mit | |
| Tariflöhnen gearbeitet. | |
| Wäre das gewerkschaftlich abgesicherte Orchestermusikerdasein eine | |
| Alternative zur prekären Selbstausbeutung, die den Alltag vieler Popmusiker | |
| bestimmt? | |
| Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre das eine Gesellschaft, die es mir | |
| erlaubt, drei Monate arbeiten zu gehen. Und damit so viel Geld zu | |
| verdienen, dass ich in aller Ruhe ein Album produzieren und promoten kann. | |
| Momentan habe ich das Gefühl, dass die Durchlässigkeit nicht gegeben ist. | |
| Ich kann nicht mal eben drei Monate hier verschwinden, um woanders drei | |
| Monate aufzutauchen. Das wäre mir viel lieber als Kantinenzeiten und | |
| gewerkschaftliche Organisation. | |
| 20 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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