# taz.de -- Polizei flext auf eigene Kosten: Atomkraftgegner wie entfesselt | |
> Das Landgericht Schleswig entscheidet: Castor-Aktivisten müssen nicht | |
> dafür zahlen, dass Polizisten sie gegen deren Willen vom Bahngleis | |
> flexen. | |
Bild: Polizisten bei gebührenfreier Flexarbeit im Herbst 2010 an den Gleisen v… | |
SCHLESWIG taz | Die beiden Aktivisten hatten sich an eine Bahnschiene in | |
Mecklenburg-Vorpommern gekettet, um einen Castor-Transport aufzuhalten. | |
Techniker der Polizei schnitten die Frau aus Niedersachsen und den Mann aus | |
Nordrhein-Westfalen vom Gleis und schickten den unfreiwillig Befreiten die | |
Rechnung für ihre Rettung. | |
Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem vorweihnachtlichten Einsatz | |
entschied das Verwaltungsgericht in Schleswig: Die Gebührenbescheide waren | |
rechtswidrig, die beiden müssen die verlangten 8.400 Euro nicht zahlen. | |
Rechtliche Grundlage ist nicht etwa die Demonstrationsfreiheit, sondern das | |
Polizeigesetz, das nicht auflistet, wie hoch die Gebühr für einzelne | |
Leistungen der Beamten ist. | |
Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis Richterin Karin Bussert das Urteil | |
verkündete. Überrascht waren weder der Hamburger Rechtsanwalt Dieter | |
Magsam, der die beiden Aktivisten vertrat, noch der Jurist der zuständigen | |
Bundespolizei-Verwaltung in Bad Bramstedt, Eckart Niebell-Röschmann. | |
Denn in den vergangenen Jahren hatten mehrfach Gerichte entsprechend | |
entschieden – zum ersten Mal in einem Fall, der zwei Surfer betraf. Sie | |
hatten sich bei hohem Wellengang aufs Meer gewagt, mussten gerettet werden | |
und erhielten anschließend eine Rechnung, die sie nicht zahlen wollten. Sie | |
erhielten Recht, und seither fällt es auch Demonstranten leichter, | |
Folgekosten abzuwehren: „Die Behörden machen ihren Job, ihre Arbeit wird | |
ohnehin aus Steuern finanziert, warum also soll eine Tätigkeit extra | |
bezahlt werden?“, fasste Magsam in der Prozesspause die Argumentation | |
zusammen. | |
## Wer darf Versammlungen beenden? | |
Er hätte gern eine andere Frage besprochen: Nämlich ob Polizeibeamte, die | |
aus einem anderem Bundesland als Verstärkung gerufen wurden, überhaupt | |
befugt sind, eine Demonstration aufzulösen. Denn immerhin sei nicht die | |
Polizei, sondern letztendlich örtliche Bürgermeister oder Landräte | |
zuständig, so der Fachanwalt. „Und der Bürgermeister in Lubmin war | |
vermutlich froh, dass da einige Leute auf den Gleisen standen.“ | |
Wären die Beamten – im konkreten Falle agierten Polizisten aus | |
Nordrhein-Westfalen auf der Bahnschiene in Mecklenburg – nicht berechtigt, | |
die Versammlung zu beenden, wäre der Gebührenbescheid ohnehin nichtig. | |
„Sicher hoch spannend, aber nicht von Belang“, befand Richterin Bussert | |
knapp. | |
Denn da die Rechnung wegen der fehlenden Gebührenordnung ungültig sei, | |
spielten ihrer Meinung nach weitere Argumente keine Rolle. Sie schlug | |
zunächst einen Vergleich vor, den aber beide Seiten ablehnten. Besonders | |
Niebell-Röschmann wollte eine Entscheidung. Denn immerhin behandeln andere | |
Gerichte ähnliche Fälle, teilweise sind auch höhere Instanzen befasst – | |
jedes einzelne Urteil gibt ein Steinchen im rechtlichen Mosaik. | |
Die Bundespolizei hat noch die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Dies | |
werde mit den vorgesetzten Behörden beraten und erwogen, sagte | |
Niebell-Röschmann. Der einfachste Weg, um künftig Klarheit zu schaffen, | |
wäre eine Gebührenordnung der Polizei, ähnlich wie sie örtliche Feuerwehren | |
aufstellen, etwa um sich ein Ausrücken nach falschem Alarm bezahlen zu | |
lassen. Ob und wann so eine Gebührenordnung kommt, mochte der Jurist nicht | |
sagen: Alle Aussagen zu dem Thema wären „reine Spekulation“. | |
17 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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