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# taz.de -- Medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Keine Papiere, keine Är…
> Menschen ohne Aufenthaltsstatus sind auf Projekte oder Wohlfahrtsverbände
> angewiesen. Der Staat verweigert ihnen die gesundheitliche
> Grundversorgung.
Bild: Erste Hilfe: Nicht für jeden kostenlos.
Jeder kennt sie: „Kein Mensch ist illegal“ lautet seit zwei Jahrzehnten die
Parole der antirassistischen Bewegung, um die Illegalisierung, Entrechtung
und Kriminalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus anzuprangern.
Besonders prekär ist die gesundheitliche Situation von Menschen ohne
Papiere, denen der Zugang zur Gesundheitsversorgung faktisch verwehrt ist.
Sie sind im Krankheitsfall oder bei Schwangerschaft auf selbstorganisierte
und nichtstaatliche Projekte wie das 1996 gegründete Berliner Büro für
medizinische Flüchtlingshilfe oder auf Angebote von Wohlfahrtsverbänden
angewiesen.
Und nicht nur sie: „Kein Mensch ist illegal“ benennt als Statement nur noch
einen Teil der Problemlagen, mit denen diese Alternativstrukturen
konfrontiert sind. Der 2009 eingeführten Krankenversicherungspflicht zum
Trotz ist ein Leben ohne Krankenversicherung und ohne Zugang zur regulären
medizinischen Versorgung für immer mehr Menschen Realität – im schlimmsten
Fall mit tödlichen Folgen.
So suchen immer häufiger Menschen, die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, Hilfe beim Büro für medizinische
Flüchtlingshilfe oder ähnlichen Projekten. Da ihre medizinische Versorgung
nach dem Gesetz eingeschränkt ist und dieses zudem von vielen Sozialämtern
restriktiv ausgelegt wird, kommt es immer wieder vor, dass Behandlungen
oder Medikamente verweigert werden.
Daneben nimmt vor allem die Zahl der PatientInnen aus den neuen EU-Ländern
zu: Sie können sich zwar legal in Deutschland aufhalten, sind aber meistens
weder hier noch in ihren Herkunftsländern krankenversichert. Darunter sind
viele Roma aus Bulgarien und Rumänien, die massiver Diskriminierung
ausgesetzt sind.
Darüber hinaus wächst die Zahl der Flüchtlinge, die aus anderen EU-Ländern
wie Italien eingereist sind. Sie dürfen sich zwar legal in Deutschland
aufhalten, sozialrechtlich bleibt gemäß der „Dublin II-Verordnung“ aber d…
erste EU-Land zuständig – selbst wenn es dort faktisch keine Versorgung
gibt. Die Gleichung „unversichert = ohne legalen Aufenthaltsstatus“ gilt
damit immer weniger.
## Sozialrechtliche Situation
Während ein einheitlicher Rechtsrahmen für die europäischen Arbeits-,
Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalmärkte geschaffen wird, stellt sich die
sozialrechtliche Situation der innereuropäischen MigrantInnen äußerst
uneinheitlich und bisweilen widersprüchlich dar. Der Zugang zu
medizinischen Leistungen und deren Finanzierung stellt Beratungsstellen,
Gesundheitsdienste und Krankenhäuser vor zum Teil unlösbare Fragen. Hier
müssen dringend europaweit Sozialstandards definiert und durchgesetzt
werden.
Doch ebenso wie bei der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere
fehlt dafür der politische Wille. Während der Staat kriminalisiert,
entrechtet und Verantwortung verschiebt, setzt er zugleich darauf, dass
Parallelstrukturen die schlimmsten sozialen Verwerfungen und
Gesundheitsgefährdungen der staatlichen Exklusionspolitik kompensieren.
Einen regulären Zugang zur Gesundheitsversorgung können diese Strukturen
nicht ersetzen: Unbezahlt und auf Spendenbasis ist weder eine vernünftige
medizinische Versorgung zu gewährleisten, noch kann es angehen, dass
selbstorganisierte Projekte für die Umsetzung des Menschenrechts auf
Gesundheitsversorgung verantwortlich gemacht werden.
Anlässlich dieser unhaltbaren Situation hat das Büro für medizinische
Flüchtlingshilfe zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember den von
zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen unterzeichneten Aufruf
[1][„Für eine reguläre Gesundheitsversorgung aller Menschen – unabhängig
vom Aufenthaltsstatus!“] veröffentlicht.
Organisationen wie Medico International, der Verein Demokratischer
Ärztinnen und Ärzte, IPPNW und Ärzte der Welt kritisieren mit ÄrztInnen,
Beschäftigten im Gesundheitswesen und WissenschaftlerInnen: „Was
selbstverständlich sein sollte, ist es leider nicht: In Deutschland haben
viele MigrantInnen keine Krankenversicherung und keinen regulären Zugang
zur medizinischen Versorgung. Die Folge: Behandelbare Erkrankungen
entwickeln sich zu vermeidbaren Notfällen. Das ist ein Skandal und stellt
nicht nur die Betroffenen, sondern auch alle, die im Gesundheitswesen tätig
sind, vor große Probleme.“
## Abschiebung droht
Eine zentrale Forderung ist die Streichung des § 87 Aufenthaltsgesetz, der
verhindert, dass Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Zugang zur
medizinischen Regelversorgung haben: Wenn sie beim Sozialamt einen
Krankenschein nach AsylbLG beantragen, ist das Sozialamt nach § 87
verpflichtet, die Ausländerbehörde zu informieren. Im schlimmsten Fall
droht dann die Abschiebung.
Darüber hinaus macht der Aufruf auf die Situation der nicht-versicherten
EU-BürgerInnen aufmerksam und kritisiert die krank machenden
Lebensbedingungen von Flüchtlingen, insbesondere die Lagerunterbringung,
die Zuteilung von Essenspaketen, Arbeits- und Ausbildungsverbote sowie
Einschränkungen der persönlichen Mobilität durch die Residenzpflicht. Nur
eine Abschaffung aller gesundheitsgefährdenden, diskriminierenden
Sondergesetze für Flüchtlinge und MigrantInnen kann diesen unhaltbaren
Zustand beenden.
Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus, Asylsuchende, „Lampedusa-Flüchtlinge“,
ArbeitsmigrantInnen, EU-BürgerInnen – die Gruppe derjenigen, denen der
Zugang zur Regelversorgung verwehrt bleibt, wird immer größer. Auf dem
schmalen Warteflur des Büros für medizinische Flüchtlingshilfe im Berliner
Mehringhof spiegeln sich ebenso wie in den Rettungsstellen der
Krankenhäuser die Widersprüche und Versäumnisse der deutschen und
europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik wider.
Wir können das Problem nicht lösen. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen
können es nicht lösen. Sie und viele andere haben sich nun zu Wort
gemeldet: „Reguläre medizinische Versorgung aller hier lebenden Menschen –
unabhängig vom Aufenthaltsstatus und vom Herkunftsland!“
Autor: Medibüro Berlin
27 Dec 2013
## LINKS
[1] http://www.medibuero.de/de/Aufruf.html
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