# taz.de -- Aufbegehren gegen Tierschutz: Inuit wollen weiter Robben jagen | |
> Kanadas Ureinwohner fühlen sich um ihre Kultur gebracht, weil die EU den | |
> Handel mit Robbenprodukten verbietet. Das Land will erneut vor der WTO | |
> klagen. | |
Bild: Robbenjagd: Für die Einen geht es um Tierschutz, für die Anderen um Tra… | |
OTTAWA taz | Terry Audla erinnert sich gut, wie sein Vater und sein | |
Großvater einst auf die Jagd nach Robben gingen. Tagelang waren sie in der | |
arktischen Wildnis unterweg, um für den Lebensunterhalt ihrer Familien zu | |
sorgen. „Wir lebten von der Jagd und dem Handel mit Robbenprodukten und es | |
ging uns gut“, erzählt Audla, ein Inuit-Ureinwohner. | |
Doch dann verboten erst die Amerikaner und dann die Europäer | |
Robbenprodukte. „Das hat mein Dorf und meine Familie in seinen Grundfesten | |
erschüttert“, beklagt Audla. „Auf einmal hatten wir nichts mehr und mussten | |
die Hand aufhalten und den Staat um Hilfe bitten.“ Viele im Dorf habe der | |
Kollaps der Jagd in die Armut gestürzt, viele seien krank geworden. | |
Audla ist in Resolute aufgewachsen, der zweitnördlichsten Gemeinde Kanadas, | |
die meisten der 300 Einwohner sind Inuit. Viele jagen die Säugetiere noch | |
immer, allerdings nur noch wenige und für den persönlichen Gebrauch. Der | |
Handel mit Robbenprodukten wie Felle, Medikamente oder Öl ist | |
zusammengebrochen – seit die EU vor gut drei Jahren den Import verboten | |
hat. | |
Die Welthandelsorganisation WTO hat dieses Verbot zuletzt in einem | |
Streitverfahren zwischen Kanada und der EU bestätigt, und das macht Audla | |
wütend. „Das Verbot zeigt, dass man in Europa keine Ahnung vom Leben in der | |
Arktis hat“, beschwert sich der 43-Jährige, Chef von Tapiriit Kantami, dem | |
Interessenverband der kanadischen Inuit-Ureinwohner. „Mit welchem Recht | |
machen die Europäer uns moralische Vorschriften?“ | |
## Kritik an Dominanz der Europäer | |
Kanada hatte vor der WTO gegen den Robben-Bann geklagt, weil er die | |
Bewohner in der Arktis und den Küsten am Nordatlantik belaste. Die WTO | |
stimmte dem im Prinzip zu und sprach von Verstößen der EU gegen das | |
Handelsabkommen. „Aus moralischen Gründen“ und unter Aspekten des | |
Tierschutzes sei das Verbot jedoch gerechtfertigt. | |
Die Inuit können das nicht verstehen und fühlen sich um ihre Kultur | |
betrogen: „Wir haben immer darauf geachtet, nur so viele Robben, Wale oder | |
Eisbären zu jagen, wie es die Natur verträgt, damit auch unsere Kinder noch | |
genügend davon vorfinden“, sagt Audla verbittert und fügt hinzu: „Die | |
Weißen dagegen haben die Meere mit ihren Fabrikschiffen und Harpunen | |
ausgeplündert und halten hormonell hoch gemästete Rinder und Schweine unter | |
erbärmlichen Bedingungen in Massentierhaltung – und wollen uns erklären, | |
was Tierschutz ist?“ | |
Zwar hat die EU die Ureinwohner formell vom Robben-Bann weitgehend | |
ausgenommen. In der Praxis aber nützt die Klausel den Inuit nur wenig, weil | |
im Zuge des Handelsverbots die Preise für Felle und andere Produkte | |
gefallen und die Absatzmärkte weggebrochen sind. | |
Das hat auch die WTO in ihrem Beschluss anerkannt und die EU aufgefordert, | |
die entsprechenden Regeln so zu ändern, dass die Inuit von den Ausnahmen | |
des Handelsverbots profitieren können. | |
## Brutale Fangmethoden – aber nicht bei den Inuit | |
Die Robbenjagd ist bei Tierschützern wegen ihrer zum Teil brutalen | |
Fangmethoden umstritten. Manche Tiere werden durch Knüppelschläge auf den | |
Kopf getötet. Dabei kommen auch Hakapiks zum Einsatz, Jagdwerkzeuge, mit | |
denen die Robben erschlagen und über das Eis gezogen werden. Die Inuit | |
dagegen benutzen oft Gewehre oder Speere, die Tiere sterben meist schnell. | |
Eine Gefahr für die Bestände sehen die Inuit nicht. „Wir haben so viele | |
Robben, dass es schon fast ein Problem ist, weil die Fischbestände darunter | |
leiden“, sagt Audla. Nach Berechnungen der kanadischen Regierung leben im | |
Nordwestatlantik heute rund 7 Millionen Tiere – mehr als dreimal so viele | |
wie vor 50 Jahren. Zuverlässige Zahlen über die Arktis gibt es nicht. | |
Auch in den Zentren der kommerziellen Robbenindustrie in Kanada vor | |
Neufundland und Québec leiden die Fischer unter dem Handelsverbot. Zwar | |
wird die Industrie durch Subventionen erhalten, die Fanquoten werden aber | |
nicht ausgeschöpft. Im Frühjahr erlegten kanadische Jäger rund 100.000 | |
Tiere, ein Viertel der erlaubten Menge. Die Preise für Robbenpelze sind von | |
100 auf 30 Dollar gesunken. | |
Die kanadische Regierung geht gegen den Schiedsspruch der WTO in Berufung. | |
Inuit wie Terry Audla hoffen auf einen Erfolg. „Robben bringen für uns | |
Wohlstand und füllen unsere Teller. Wer uns das wegnimmt, nimmt die | |
Verarmung eines ganzen Volkes in Kauf.“ | |
30 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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