# taz.de -- Verfassung in Tunesien: Kein Hinweis auf die Scharia | |
> Seit Samstag debattieren die Abgeordneten die Artikel des | |
> Verfassungsentwurfs. Dabei geht es teils heftig zur Sache – bis hin zu | |
> Morddrohungen. | |
Bild: Verfassungsgebende Versammlung in Tunesien | |
MADRID taz | Tunesiens Verfassunggebende Versammlung hat sich nach langen | |
Verzögerungen endlich ans Werk gemacht. Seit Freitag wird der | |
Verfassungsentwurf Artikel für Artikel der Debatte und Abstimmung im ersten | |
frei gewählten Parlament unterzogen. Bis zum dritten Jahrestag des Sturzes | |
des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali am 14. Januar sollen die 146 Artikel | |
des neuen, nachrevolutionären Grundgesetzes stehen. Ein Wahlgesetz für | |
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen soll ebenfalls fertiggestellt | |
werden. | |
Bis zum Wochenende legten die Abgeordneten die Grundlagen der neuen | |
tunesischen Republik. Der Text folgt dem, was 1959 in der ersten Verfassung | |
nach der Unabhängigkeit von Frankreich festgeschrieben wurde. Tunesien wird | |
ein „Rechtsstaat“ mit „zivilem Charakter“ sein, die Sprache ist das | |
Arabische, die Religion der Islam. | |
Anträge der Islamisten, den Koran zur „Quelle des Rechts“ zu machen, wurden | |
abgelehnt. Die ersten Artikel der Verfassung, die den Charakter des Staates | |
definieren, sind mit dem Zusatz versehen, dass sie künftig nicht geändert | |
werden können. | |
## Linker Abgeordneter berichtet von Morddrohungen | |
Die Verfassunggebende Versammlung steht unter Zeitdruck. Die | |
Debattenbeiträge werden deshalb per Stoppuhr auf drei Minuten beschränkt. | |
Bei zu vielen Wortmeldungen werden die Redner ausgelost. Die Opposition | |
sieht darin eine Benachteiligung. Denn die stärkste Kraft, die | |
islamistische Ennahda mit 90 von 217 Abgeordneten, hat bei diesem Verfahren | |
die besten Chancen, zu Wort zu kommen. Jeder Artikel muss mit einfacher | |
Mehrheit angenommen werden. | |
Zu Beginn der Debatte kam es zu mehreren harschen Wortgefechten, | |
Abgeordnete verließen den Saal. Nach einem ruhigeren Diskussionsverlauf am | |
Samstag mußte die Diskussion am Sonntag nach einer Stunde unterbrochen | |
werden. | |
Der Abgeordnete Mongi Rahoui, Mitglied der linken Volksfront, berichtete | |
laut afp über Morddrohungen seitens des eines Hardliners der Ennahda, der | |
ihm vorgeworfen habe, er sei ein Feind des Islam. Habib Ellouz, der ständig | |
gegen die Opposition und gegen Frauen wettert, sagte, seiner Äußerungen | |
gegenüber Medien seien aus dem Zusammenhang gerissen worden und | |
entschuldigte sich schließlich bei Rahoui. Sobald der gesamte Text der | |
Verfassung steht, muss er zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinen, um | |
endgültig angenommen zu werden. | |
## Kritik von Menschenrechtsorganisationen | |
Obwohl das islamische Recht, die Scharia, nicht in die Verfassung | |
aufgenommen wurde, befürchten Menschenrechtsorganisationen, dass die | |
Verfassung an manchen Punkten zu ungenau ausfällt. Die gelte vor allem für | |
Artikel 6. Er schreibt die Gewissensfreiheit fest, macht den Staat aber | |
gleichzeitig zum „Wächter der Religion“ und „des Heiligen“. „Alles V… | |
muss aus dem Artikel 6 entfernt werden“, heißt es in einer Erklärung der | |
Tunesischen Menschenrechtsliga vom Samstag. Die doppelte Rolle des Staats | |
„könne zu für die Bürger und die Freiheiten bedrohliche Auslegungen | |
führen“. | |
Zu weiteren hitzigen hitzigen Debatten dürfte es kommen, wenn es um die | |
Rolle der Frau geht. Die Geschlechter sind in Tunesien seit 1959 | |
gleichgestellt. Die Islamisten würden dies gerne ändern. Für sie „ergänze… | |
sich Mann und Frau. | |
5 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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