# taz.de -- Frauenarmee der PKK: Töchter der Berge | |
> Wenn sie frei sein wolle, müsse sie in die Berge gehen, riet die Mutter | |
> Zelal. Die Frauenarmee der PKK bietet jungen Kurdinnen oftmals Schutz vor | |
> der Zwangsheirat. | |
Bild: Neben körperlichem Training und Waffenkunde gehört auch ideologische Sc… | |
KANDILBERGE taz | Çiçek legt ihre Waffe an. Die schwere Kalaschnikow mit | |
den Metallbeinen steht auf einem Acker. Der Patronengurt windet sich durch | |
den Dreck. Die 19-Jährige lädt durch und drückt ab. Ein Knall hallt durchs | |
Tal, dann noch einer und noch einer. | |
In der Ferne zerreißen die Kugeln das Kleid einer Vogelscheuche. Çiçek ist | |
stolz, dass sie eine so große Waffe hat und nicht nur eine leichte AK47 wie | |
die anderen jungen Frauen, die hier oben in den Kandil-Bergen am | |
nordöstlichen Rand des Irak zu Guerillakämpfern der PKK ausgebildet werden. | |
Um zum Camp zu gelangen, musste sich der Geländewagen eine Stunde lang über | |
eine Schlaglochpiste den Hang hinaufquälen. Die Kandil-Berge sind rau, | |
karg, atemberaubend wild. Die höchsten Gipfel erreichen 3.000 Meter Höhe. | |
Die Lager der Frauen liegen gut versteckt in den zerfurchten Hängen, denn | |
fast täglich kreisen türkische Drohnen über dem Gebiet. | |
Seit Frühjahr 2013 läuft der Friedensprozess zwischen der Arbeiterpartei | |
Kurdistans (PKK) und der türkischen Regierung; die Kandil-Berge im | |
Nordosten des Irak sind seit je ihr Rückzugsgebiet, Kämpfe haben hier im | |
vergangenen Jahr nicht stattgefunden. Das allgegenwärtige Surren der | |
Beobachtungsdrohnen erinnert jedoch daran, dass es bis zum Frieden noch ein | |
weiter Weg ist. | |
Die Kämpferinnen prüfen genau, wer zu ihnen in die Berge kommt. Tagelange | |
Vorgespräche, die Handys müssen im Tal bleiben; Bilder von der Landschaft | |
zu machen ist untersagt. Sie könnten das Versteck des Camps verraten. Das | |
letzte Stück Trampelpfad durch vertrocknete Wiesen müssen die Besucher zu | |
Fuß zurücklegen. Unvermittelt tauchen die Zelte auf, schmiegen sich an | |
einen Bachlauf, der in einer leichten Senke liegt. Wasser plätschert. | |
## Viele Mädchen sind minderjährig | |
Die Mädchen haben sich bereits zur Begrüßung aufgestellt. Viele junge | |
Augenpaare sind darunter, kindliche Gesichter mit hübsch geflochtenen | |
Zöpfen, kichernde Münder, die beteuern, sie seien schon 18. Jede trägt ihre | |
Kalaschnikow über der Schulter. Es ist unverkennbar, dass viele unter ihnen | |
noch Kinder sind. Bei vielen kurdischen Eltern gilt die Frauenarmee der | |
Kurdenmiliz als sicherer Ort für ihre minderjährigen Töchter. Die | |
Frauenarmee ist ein Schutzraum – nicht erst, aber insbesondere seit die | |
Waffen schweigen. | |
Zelal sitzt im Dämmerlicht eines Zeltes. Sie trägt die Kluft der Guerilla: | |
eine Hose, die sich an den Hüften zu einem Ballon öffnet, um die Taille | |
einen breiten, bunten Gürtel, unter dem ihre Waffe steckt, darüber eine | |
Weste. Alles in Khakigrün. Zelal stammt aus Marasch, so lautet der | |
kurdische Name einer Provinz im Süden der Türkei nahe der syrischen Grenze. | |
Kurden leben auf verschiedene Länder der Region verstreut, in Syrien, im | |
Iran, im Irak, wo sie über eine Autonome Region verfügen, und in der | |
Türkei, wo sich seit den 80er Jahren die PKK und die türkische Armee einen | |
auf beiden Seiten brutalen Krieg geliefert haben. | |
Dass Zelal einmal einen Mann heiraten würde, den ihr Vater ausgesucht hat, | |
stand seit ihrer Geburt fest. So war das bei ihrer Mutter, ihrer Großmutter | |
und deren Mutter. „Als ich 13 war, kamen Männer, um zu fragen, wann ich | |
endlich bereit sei“, erinnert sich die mittlerweile 31-Jährige. Von den | |
Frauen aus ihrem Dorf hörte sie Geschichten darüber, was nach der Heirat | |
geschieht. Zelal will die Vergewaltigungen innerhalb vieler aufgezwungenen | |
Ehen nicht beim Namen nennen. „Meine Mutter war eine starke Frau“, sagt sie | |
stattdessen. „Sie hat mir eins gesagt: ’Du musst schlauer, schöner und | |
stärker sein als dein Mann.‘ “ Aber auch das hätte ihre Tochter nicht vor | |
der Zwangsheirat bewahrt. | |
Deswegen riet ihre Mutter Zelal noch etwas: Wenn sie wirklich frei sein | |
wolle, müsse sie in die Berge gehen, eine Kämpferin der PKK werden, wie | |
Generationen von kurdischen Frauen vor ihr. Sie hatte die Wahl, sagt Zelal, | |
zwischen den Guerillas, der Zwangsheirat und dem Feuer. | |
## Ideologischer Unterricht | |
Selbstverbrennungen sind unter kurdischen Frauen verbreitet. Die Behörden | |
im kurdischen Teil des Irak sprechen von Hunderten, die sich jedes Jahr | |
selbst in Brand setzen. Eine Tochter bei der PKK zu haben gilt mittlerweile | |
bei vielen Kurden als ehrenvoll. Manche Eltern bringen ihre Kinder sogar | |
selbst in die Berge. Doch als sie weg war, sagt Zelal, habe ihre Mutter | |
monatelang auf dem Boden geschlafen statt in ihrem Bett. Sie wollte das | |
spüren, was ihre Tochter in den Bergen erlebt. | |
Der Tag der neuen Rekrutinnen ist streng durchgeplant. Appell im | |
Morgengrauen, körperliches Training, Waffenkunde und immer wieder: | |
ideologischer Unterricht. Die Befreiung der Menschen funktioniert nicht | |
ohne die Befreiung der Frau, hat PKK-Führer Abdullah Öcalan geschrieben. | |
Die Kämpferinnen können seine Schriften auswendig und tragen sie mit Pathos | |
vor. Die Armee ist der erste Ort, an dem sie Gleichberechtigung erleben. | |
Sogar ihre Führung ist seit dem vergangenen Sommer mit einer Doppelspitze | |
besetzt, einem Mann und einer Frau. Militärische Manöver werden immer von | |
Vertretern beider Geschlechter befehligt. Sterben Frauen im Kampf, werden | |
sie als Märtyrerinnen verehrt, sogar noch stärker als Männer. | |
Ihr erster Toter sei ein „emotional schwerer Moment“ gewesen, sagt Dilan | |
Nurhak. „Aber es war nötig“, fügt sie hinzu. Die 47-Jährige ist mit einer | |
Leibwächterin an einen sicheren Ort in den Bergen gekommen. Sie sitzt im | |
Kontrollgremium der Frauenarmee, ist vor 20 Jahren der PKK beigetreten. | |
Direkt von der Uni in Ankara, wo sie Psychologie studierte, ist sie in die | |
Berge gegangen. Nurhaks Gesichtszüge sind fein, ihre Augen streng. Sie | |
spricht von der Versklavung der Frau im Tal – und ihrer Freiheit in den | |
Bergen. Die guten Berge, das Schlechte im Tal, darum geht es hier oben | |
immer wieder. | |
Viele Muslime würden nicht auf den Koran schwören, sondern auf die Röcke | |
der Mädchen, sagen die Guerillas abfällig über die Menschen in den Städten. | |
Aber auch sie sind darauf angewiesen, die Jungfräulichkeit der Mädchen zu | |
schützen. Nur so ist ihnen das Vertrauen der traditionell denkenden | |
kurdischen Familien sicher. Ohne Vertrauen keine Rekrutinnen. Deswegen gibt | |
es strenge Regeln. Familie oder Partnerschaft sind für die Frauen tabu. | |
Tritt ein Ehepaar gemeinsam der PKK bei, ist ihr Bund mit diesem Moment | |
null und nichtig. Wird eine Frau hier oben schwanger, bedeutet das ihren | |
sofortigen Ausschluss. Abtreibungen sind nicht erlaubt. Homosexualität wird | |
verachtet. | |
## Lebenslange Verpflichtung | |
Nurhak kennt Paare, die der PKK den Rücken gekehrt haben, die abgehauen | |
sind, um als Zivilisten zu leben – im Tal. Für Nurhak sind sie Deserteure, | |
Verräter. Der Beitritt zur PKK sei ein lebenslanges Bekenntnis, so stellen | |
es die Kämpferinnen gerne dar. Abtrünnige begeben sich in Gefahr, von der | |
PKK verfolgt zu werden. Denn sie haben Wissen über Standorte und Waffen, | |
die sie zu ihrem Schutz an den Gegner verkaufen könnten. Und dann? „Wir | |
haben ein starkes Netzwerk. Sie werden nicht wagen, die Partei zu | |
verraten“, sagt Funktionärin Nurhak. Und wenn sie dennoch kollaborieren? | |
„Wir versuchen, sie zu erwischen.“ | |
Die Kommandantin ist bemüht, die Drohkulisse gegen die Türkei | |
aufrechtzuerhalten. Die Verfassungsreform dort geht schleppend voran. Die | |
PKK beobachtet mit Skepsis, wie die türkische Armee jenseits der Grenze | |
Militärposten ausbaut. Und dann die Drohnen. | |
Jenseits der Kriegsrhetorik ihrer Führung ist die PKK jedoch längst dabei, | |
sich auf die Zeit nach einem Friedensschluss mit der Türkei vorzubereiten. | |
Sie hat in den Kandil-Bergen Schulen gebaut und Frauenhäuser eröffnet. Sie | |
betreibt eine eigene Klinik, die einzige medizinische Versorgung in der | |
abgelegenen Gegend. Sie hat ein kommunalpolitisches System eingeführt: Die | |
51 Dörfer der Gebirgsregion schicken je einen gewählten Vertreter in einen | |
Regionalrat. Das Gremium entscheidet, wofür das PKK-Geld verwendet werden | |
soll. Hier oben ist die PKK nicht nur das Symbol des kurdischen | |
Widerstands, sondern betreibt einen Staat im Staat. | |
## „Im Tal ist kein Platz für mich“ | |
Manche Kämpferinnen sagen, dass der eigentliche Kampf erst beginnt, wenn | |
der Frieden erreicht ist. In der traditionellen kurdischen Gesellschaft ist | |
für eine alleinstehende Frau kein Platz. Die Familie, der Klan definiert, | |
wer man ist und was man werden kann. Eine Guerillakämpferin werde sie immer | |
bleiben, sagt Zelal und klingt mehr nach Verzweiflung als nach Mut. Was | |
solle sie auch im Tal? | |
„Ich bin eine Tochter der Berge, im Tal ist für mich kein Platz“, sagt | |
Zelal, und plötzlich erscheint ihre Welt ganz klein. Vater, Mutter, | |
Geschwister – all das habe sie hier gefunden. Im Kampf. Vor Kurzem ist sie | |
in eine Sozialeinheit gewechselt, die Näh- sowie Alphabetisierungskurse und | |
Kinderbetreuung für die Frauen der umliegenden Dörfer anbietet. Die grüne | |
Kluft der PKK trägt Zelal auch dort. | |
7 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Seidel | |
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