| # taz.de -- Konferenz über Strukturwandel: Aus dem Nichts geschöpft | |
| > In Dortmund diskutierten Künstler und Wissenschaftler die Rolle von „Geld | |
| > und Schulden in der postindustriellen Welt“. Utopien stehen im Zentrum | |
| > der Debatte. | |
| Bild: Das mit dem Terminus „Strukturwandel“ semantisch elegant bemäntelte … | |
| Ein chinesischer Arbeiter im Blaumann geht über ein riesiges Werksgelände | |
| und malt orangefarbene Schriftzeichen auf Stahlträger und Wände. Ulrike | |
| Frankes und Michael Loekens Dokumentarfilm „Losers and Winners“ von 2006 | |
| beschreibt eine Schlüsselszene der Deindustrialisierung. 400 chinesische | |
| Arbeiter bauen im Frühjahr 2003 binnen 18 Monaten die einst modernste | |
| Kokerei Deutschlands in Dortmund ab. 2000 wurde das Werk Kaiserstuhl | |
| stillgelegt, 2006 ging es in China wieder in Betrieb. | |
| Wenn der arbeitslose deutsche Vorarbeiter in spe und der Chef der Chinesen | |
| die Berge zerlegten Stahls fachmännisch betrachten, stehen Gewinner und | |
| Verlierer der Globalisierung ausnahmsweise mal Schulter an Schulter. | |
| „[1][New Industries – neue Industrien]“ für die freigesetzten Koker konn… | |
| eine Konferenz vergangenes Wochenende in Dortmund auch nicht aus dem Ärmel | |
| schütteln. Aber das Treffen, Teil eines anspruchsvollen Festivals, das der | |
| HartWare MedienKunstverein zusammen mit der Bundeszentrale für politische | |
| Bildung organisierte, zeigte: Das mit dem Terminus „Strukturwandel“ | |
| semantisch elegant bemäntelte Problem steckt der einstigen industriellen | |
| Kernregion Deutschlands immer noch tief in den Knochen. | |
| Auch wenn alle die „Kulturgesellschaft“ anstreben, in der „sinnstiftende | |
| Gemeinschaftsaufgaben“ geleistet werden, statt Stahl zu kochen. Die | |
| forderte in Dortmund einmal mehr Berlins Ex-Kultursenatorin Adrienne | |
| Goehler, die unermüdliche Streiterin für das bedingungslose Grundeinkommen. | |
| Aufgefordert, zukunftsweisende Ideen zu entwickeln, die man während der | |
| Konferenz auf einer „Utopia-Stock-Exchange“ handeln konnte, kreierten die | |
| Dortmunder eine Gesellschaft ohne Hierarchien und Metropolen, in denen in | |
| jedem Stadtteil „Dialogmaschinen“ stehen, eine Stadt der Sammler und Jäger, | |
| in der getauscht statt konsumiert wird. | |
| ## „Bad Bank“ West-LB | |
| Die Frage ist nur: Wie gelangt man zu der „Gesellschaft von morgen, für die | |
| wir heute schon bauen“. So nennt der Künstler Axel Braun seine Installation | |
| in der die Konferenz begleitenden Ausstellung „Requiem für eine Bank“. Er | |
| hat Zitate von Managern der Westdeutschen Landesbank auf eine Glaswand | |
| aufgetragen. Das einstige Flaggschiff der NRW-Modernisierungspolitik mit | |
| Sitz in Dortmund wurde 2012 als „Bad Bank“ abgewickelt, nachdem es mit | |
| Finanzspekulationen Schiffbruch erlitten hatte. | |
| Dortmund besitzt zwar mit der ehemaligen Union-Brauerei inzwischen ein | |
| Zentrum für Kunst und Kreativität. In dem markanten Backsteinbau mit dem | |
| rotierenden U auf dem Dach tagte auch die Konferenz. Direkt daneben | |
| entsteht ein riesiges „Kompetenzzentrum für die Kreativindustrie“. Doch bis | |
| zu Goehlers Utopie ist es noch ein weiter Weg. Mit einer Arbeitslosenrate | |
| von 13,2 Prozent hält Dortmund den nordrhein-westfälischen Spitzenplatz. | |
| Wüchse in diesem Jammertal mit 1.000 Euro netto im Monat für alle Goehlers | |
| „Gesellschaft von GestalterInnen“? | |
| An der Rolle des Geldes schieden sich denn auch die intellektuellen Geister | |
| auf der Dortmunder Konferenz. Denkt man Christina von Brauns Geldtheorie | |
| weiter, dürfte es kein großes Problem sein, damit eine postindustrielle | |
| Gesellschaft zu kreieren. Denn für die Berliner Kulturwissenschaftlerin war | |
| das mythische Ominosum immer ein Medium des symbolischen Austauschs, das | |
| vor einer religiösen Folie funktioniert. Schulden kommen bei ihr von | |
| Schuld. | |
| Für die meisten ihrer Kollegen hat Geld freilich nichts von den Beziehungen | |
| aus Macht und Arbeit verloren, die es in sich trägt. Auch wenn dieses | |
| Wertäquivalent heute virtueller denn je daherkommt: ob als „Google-Ranking“ | |
| (Matteo Pasquinelli) oder als subversives Bitcoin (Dennis „Jaromil“ Roio). | |
| Der Pariser Soziologe Maurizio Lazzarato sah den abgekoppelten | |
| Finanzkapitalismus unserer Tage schon in Lenins Text „Der Imperialismus als | |
| höchstes Stadium des Kapitalismus“ von 1916 angelegt. Bescheinigte ihm | |
| aber, eine neue Form von Kolonialismus etabliert zu haben. So wie er sich | |
| die Nationalstaaten unterworfen habe. | |
| ## Warnung vor der Kulturgesellschaft | |
| Auch für die taz-Journalistin Ulrike Herrmann wurde Geld schon immer „aus | |
| dem Nichts geschöpft“. Schon als vor 5.000 Jahren in Mesopotamien der erste | |
| Wechsel ausgestellt und als Zahlungsmittel benutzt wurde: „Ohne Kredite | |
| kein Wachstum“, erklärte die Berliner Wirtschaftskorrespondentin in ihrem | |
| Vortrag über die Rolle des Geldes im Kapitalismus. Und warnte indirekt vor | |
| der Goehler’schen Kulturgesellschaft, als sie befand: „Bildung als Bildung | |
| produziert kein Wachstum.“ Sie plädierte stattdessen für höhere Löhne als | |
| Stimulans für eine neue (Kreislauf-)Wirtschaft. Um aus Geld wirklich | |
| Kapital zu machen, müsse aber in neue Technologien investiert werden. | |
| Womit sich die deutsche Materialistin in einem gewissen Gegensatz zu denen | |
| aus dem Reich der Mitte befand. „Die Menschheit braucht „Fantasie“, | |
| befindet der Chef der chinesischen Demonteure in „Losers and Winners“. Und | |
| malt sich enthusiastisch aus, wie er eines Tages das deutsche Airbus-Werk | |
| nach China verlegen und Rohstoffe aus dem All auf die Erde befördern wird: | |
| „Ohne Fantasie kommt die Menschheit nicht voran.“ | |
| 21 Jan 2014 | |
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| [1] http://www.hmkv.de/programm/programmpunkte/2013/Ausstellungen/2013_New_Indu… | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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