# taz.de -- „Rolezinhos“ in Brasilien: Wider die reiche Ruhe | |
> Jugendliche in Brasilien haben einen neuen Sport: Flashmobs in | |
> Einkaufszentren. Nun wollen Mallbesitzer „verdächtig aussehenden“ | |
> Personen den Zutritt verweigern. | |
Bild: Rolezinho in Rio de Janeiro. | |
BERLIN taz | „Um die Sicherheit und das Wohlbefinden aller Kunden und | |
Mitarbeiter zu gewährleisten, wird das Einkaufszentrum Shopping Leblon am | |
Sonntag, den 19. Januar ganztägig geschlossen bleiben.“ 9.000 Personen | |
hatten sich auf Facebook am vergangenen Sonntag für das „Rolezinho“ im | |
gehobenen Einkaufszentrum „Shopping Leblon“ in der Innenstadt von Rio de | |
Janeiro angekündigt. Doch die Besitzer veranlassten die kurzfristige | |
Schließung – aus Angst vor Ausschreitungen. | |
Rolezinhos, eine verniedlichende Form von „Bummeln“, sind eine neue Form | |
des Flashmobs in brasilianischen Metropolen. Mit den Shopping-Malls haben | |
sich die Protagonisten eine symbolträchtige Arena ausgesucht. Als Inbegriff | |
des gehobenen Ambientes bieten diese Einkaufszentren alles, was die | |
brasilianische Oberschicht benötigt: klimatisierte Räume, Markenwaren – und | |
vor allem: Ruhe vom Rest der Welt. Vom täglichen Lärm und Stau, aber auch | |
vom Dreck und der allgegenwärtigen Armut. | |
Spätestens seit dem 7. Dezember, als in der Nähe des WM-Stadions in São | |
Paulo mit rund 6.000 Teilnehmern der erste große Rolezinho stattfand, ist | |
dies anders: Immer öfter erstürmen junge, arme Menschen, oft aus den | |
Vororten der Stadt, diese Rückzugsräume, indem sie die Rolltreppen auf- und | |
ablaufen und laut singend über die Flure schreiten. | |
Erst vor einer Woche löste die Polizei einen Flashmob in einer | |
Shopping-Mall im Osten Sao Paulos mit Tränengas und Gummigeschossen auf. | |
Seitdem versuchen laut dem US-amerikanischen Economist viele Mallbesitzer | |
in der Innenstadt gerichtliche Beschlüsse durchzusetzen, die „verdächtig | |
aussehenden“ Personen den Zugang verweigert. | |
Mit den Rolezinhos, die über Facebook und Twitter organisiert werden, | |
reklamieren die Jugendlichen eine Teilhabe am Reichtum und eine offene | |
Stadt für alle. So geht es zwar auch darum, „Leute zu treffen und | |
miteinander herumzuhängen“, wie ein Teilnehmer [1][dem Economist sagte]. | |
Doch der Hintergrund der Flashmobs besteht auch in der Demonstration gegen | |
den sehr präsenten Alltagsrassismus und die Klassengesellschaft Brasiliens. | |
Der 25-jährigen Janderson Dias aus São Paulo, einer der Teilnehmer, ist von | |
der Bedeutung der Aktionen überzeugt, wie er [2][dem britischen Guardian | |
mitteilte]: „Die Menschen in Leblon haben die Spaltung innerhalb unserer | |
Gesellschaft eigentlich nie richtig beachtet. Brasilien ist aber nicht der | |
schöne, friedliche Ort, wie er oft dargestellt wird.“ | |
Auch wenn der politische Impetus der Rolezinhos nur einer der Beweggründe | |
ist, lässt er sich in den aktuellen Diskurs über die soziale Ungleichheit | |
einordnen, die besonders in brasilianischen Großstädten eklatant ist. | |
Gerade im Hinblick auf die im Sommer beginnende Fußballweltmeisterschaft, | |
erinnern sich viele an die Demonstrationen gegen die geplanten | |
Preiserhöhungen von Bustickets, die sich im Juni 2013 zur größten | |
Protestwelle der letzten 20 Jahre entwickelt hatten. | |
21 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.economist.com/blogs/americasview/2014/01/brazils-rolezinhos | |
[2] http://www.theguardian.com/world/2014/jan/20/brazilian-flashmob-shopping-ma… | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Philipp Rhensius | |
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