# taz.de -- Soziologe Dani Rodrik über Freihandel: „Europa und USA auf Augen… | |
> Die Europäer sollten selbstbewusst verhandeln und kein Sonderrecht für | |
> Investoren einführen, sagt der US-Professor Rodrik. | |
Bild: Für manche Europäer eher abschreckend: Fleisch aus US-Produktion | |
taz: Herr Rodrik, das Weltwirtschaftsforum in Davos fordert mehr | |
Freihandel. Viele EU-Bürger machen sich dagegen Sorgen über die | |
entsprechenden Verhandlungen zwischen den USA und Europa. Man will kein | |
US-Hühnerfleisch, das mit Chlor behandelt ist, und auch kein Fracking zur | |
Erdgassuche. Teilen Sie die Befürchtungen? | |
Dani Rodrik: Die Auswirkungen solcher Abkommen werden oft überschätzt. Aber | |
Skepsis ist angebracht – besonders angesichts der Tendenz, dass die | |
Interessen der Wirtschaft nicht selten eine größere Rolle spielen als die | |
der Gesellschaft insgesamt. | |
Würden Sie den Europäern raten, weiterzuverhandeln? | |
Ja. Wenn zwei Staaten oder Staatengruppen ein vernünftiges Abkommen | |
schließen können, dann sind es die USA und Europa. Sie verhandeln auf | |
Augenhöhe. | |
taz: Finden die US-Bürger die Idee gut, den wirtschaftlichen Austausch mit | |
Europa zu erleichtern? | |
Im Allgemeinen sind die Amerikaner Freunde des Freihandels. Internationalen | |
Verträgen jedoch stehen sowohl Rechte als auch Linke skeptisch gegenüber. | |
Letztere sorgen sich wegen der sozialen Konsequenzen. Sie befürchten, dass | |
die einheimischen Arbeitsstandards und Löhne durch den Druck der | |
ausländischen Konkurrenz sinken. Die Rechten und Libertären sehen die | |
geplante Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP) eher | |
als Versuch der US-Regierung, zusätzliche regulatorische Kompetenzen in | |
Anspruch zu nehmen. Das lehnt diese Seite grundsätzlich ab. | |
Was halten Ihre Mitbürger von den gegenwärtigen Geheimverhandlungen | |
zwischen den USA und Europa? | |
Die Intransparenz löst Kritik aus. Deshalb sollten die Verhandler mehr | |
Informationen über den Verlauf der Gespräche preisgeben und die | |
Zivilgesellschaft besser einbeziehen. Das gilt gerade angesichts der | |
Tatsache, dass ein internationales Investitionsabkommen vor Jahren unter | |
anderem am Protest gescheitert ist. | |
Die USA und Europa sind entwickelte Wirtschaftsmächte. Ihre Leistungskraft | |
unterscheidet sich kaum. Trotzdem befürchten die Kritiker, dass TTIP zu | |
Verwerfungen führen könnte. Eine berechtigte Sorge? | |
Der verstärkte Handel zwischen diesen beiden Giganten wird die Verteilung | |
der Einkommen nicht verschlechtern. Die Löhne in den USA und der EU liegen | |
ja auf ähnlichem Niveau. Deshalb müssen weder die Europäer noch die | |
US-Bürger befürchten, dass mehr billige Arbeitskräfte zu ihnen kommen. | |
Durch TTIP geraten also die Löhne nicht unter Druck. | |
Eine wesentliche Kritik in Europa lautet, dass Qualitätsstandards für | |
Lebensmittel und Umweltgesetze auf der Strecke bleiben könnten, weil die | |
US-Industrie es so wolle. | |
Hier kommt es auf die Details der Verhandlungen an. Grundsätzlich bin ich | |
optimistisch, dass sich beide Seiten auf einen tragbaren Kompromiss | |
einigen. Die EU ist durchsetzungsfähiger als ein Schwellenland wie Mexiko. | |
Angeblich wird auch darüber geredet, Klauseln zum Schutz von | |
Auslandsinvestments in den Vertrag aufzunehmen. US-Firmen könnten dann | |
beispielsweise die Bundesregierung vor speziellen Gerichten verklagen, wenn | |
sie ihre Investitionen in der EU durch neue Gesetze bedroht sähen. Was hält | |
der Ökonom davon? | |
Auf solche Sondergerichte oder Schlichtungsstellen sollte man verzichten. | |
Denn damit würde sich ein Parallelweg außerhalb der Jurisdiktion des | |
demokratischen Rechtsstaats eröffnen. In Entwicklungsländern mit | |
unzuverlässigem Rechtssystem mag ein solches Interesse der Investoren | |
verständlich erscheinen. In fortgeschrittenen Gesellschaften jedoch ist der | |
Wunsch, einen zusätzlichen Rechtsweg für Investoren zu etablieren, nicht | |
akzeptabel. | |
Vor 20 Jahren gründeten die USA, Kanada und Mexiko die Freihandelszone | |
Nafta. Haben die beiden nordamerikanischen Länder davon profitiert? | |
Für einige Branchen wie die US-Autoindustrie war das Abkommen eine gute | |
Sache. Mexiko hat ebenfalls einige Vorteile. Dort gab es aber auch | |
Enttäuschungen. Investitionen und Wachstum sind langsamer gestiegen als | |
erhofft. Die Nafta ist ein Beispiel dafür, dass Handelsverträge eine gute | |
Wirtschaftspolitik nicht ersetzen können. Dies sollten die Europäer | |
bedenken. Das Freihandelsabkommen mit den USA ist keine Antwort auf die | |
europäische Krise. Freihandel bringt nur dann Vorteile, wenn die | |
ökonomische Lage insgesamt stabil ist. | |
Hollywoodfilme wie „Savages“ oder „The Counselor“ präsentieren Mexiko … | |
Drogenökonomie. Verzeichnete das Land in den vergangenen Jahrzehnten | |
dennoch soziale und wirtschaftliche Fortschritte? | |
Die Nafta hat Mexiko durchaus geholfen, eine starke Exportindustrie | |
aufzubauen, unter anderem für Fahrzeuge und Flugzeugteile. Diese | |
Entwicklung brachte natürlich auch Arbeitsplätze, Einkommen und Wachstum. | |
Solche Befunde in einem Schwellenland haben allerdings nur eine begrenzte | |
Aussagekraft für das, was ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und | |
Europa bedeuten würde. Schließlich haben wir es hier mit zwei | |
Wirtschaftsmächten zu tun, die auf demselben Entwicklungsniveau stehen. | |
Güter und Kapital können die Grenze am Rio Grande problemlos überschreiten. | |
Gegen die Einwanderer aus dem Süden haben die USA aber eine massive | |
Grenzbefestigung errichtet. Ein grundsätzliches Indiz für soziale Probleme, | |
die Freihandel mit sich bringen kann? | |
Freiheit für die Wirtschaft, nicht für die Menschen – das ist eine der | |
auffälligsten Asymmetrien der Weltwirtschaft. Und ein großes Problem. Wenn | |
sich die Menschen und Arbeitskräfte frei bewegen können, dient das | |
eigentlich einer guten Entwicklung. Leider trifft Migration in den | |
Einwanderungsländern jedoch auf große Vorbehalte. | |
Ist es nötig, Freihandelsabkommen durch Vereinbarungen zu ergänzen, die die | |
Lage und Lebensqualität der Menschen verbessern? | |
Ja, die Arbeitskräfte müssen in solchen Abkommen stärker berücksichtigt | |
werden. Man sollte Handelsverträge immer einer menschenrechtlichen | |
Überprüfung unterziehen. | |
Trotz aller Probleme sind die Ergebnisse von 30 Jahren Globalisierung und | |
Liberalisierung eindrucksvoll. Weltweit stiegen hunderte Millionen Menschen | |
in die Mittelklasse auf – in Ländern wie China, Indien, Brasilien oder der | |
Türkei. Bedeutet Freihandel automatisch mehr Wohlstand? | |
Nein, das Ergebnis hängt davon ab, wie das jeweilige Land den Prozess | |
gestaltet. China hat Erfolg, weil die schrittweise Integration in den | |
Weltmarkt mit dem Aufbau der einheimischen Wirtschaft abgestimmt ist. Auch | |
in Lateinamerika gibt es gute Beispiele. Brasilien ist es gelungen, die | |
Einkommen gerechter zu verteilen. Um die Wirtschaftsentwicklung zu | |
moderieren, hat die Regierung dort Programme gegen Armut, zur | |
Gesundheitsvorsorge und für bessere Bildung umgesetzt. | |
Was müssen Industriestaaten wie Europa beachten? | |
Sie sollten Wert darauf legen, dass der Arbeitsmarkt sowie die | |
Verhandlungsmacht von Beschäftigten und Gewerkschaften nicht erodieren. Sie | |
müssen beispielsweise denjenigen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, | |
Bildungsprogramme anbieten, damit sie neue Jobs finden können. In dieser | |
Hinsicht sind die USA schwach – schwächer als Europa. | |
25 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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