| # taz.de -- Spekulation mit Kreditderivaten: Der Kontrollverlust der BVG | |
| > Mit einer Finanzwette haben die Berliner Verkehrsbetriebe 150 Millionen | |
| > verloren. Chef-Aufseher Sarrazin passte nicht genug auf, wie interne | |
| > Dokumente zeigen. | |
| Bild: U-Bahn-Fahren könnte bald richtig teuer werden in Berlin. | |
| BERLIN taz | Die Berliner Verkehrsbetriebe haben mit ihren 13.000 | |
| Mitarbeitern eigentlich ein ziemlich bodenständiges Geschäftsmodell: | |
| Fahrgäste transportieren. Mit ihren rund 3.000 U-Bahnen, Bussen und | |
| Straßenbahnen legen sie jeden Tag eine Strecke zurück, die zum Mond und | |
| wieder zurück reicht. | |
| Im Jahr 2007 hatten die Verkehrsbetriebe allerdings eine abgehobene Idee: | |
| Die landeseigene Einrichtung sollte an den Finanzmärkten mitspekulieren und | |
| damit im besten Fall einen [1][Gewinn von 7,8 Millionen Dollar] machen. Es | |
| trat dann aber der schlechteste Fall ein: Ein [2][Verlust von 204 Millionen | |
| Dollar]. | |
| In London hat in der vergangenen Woche der [3][Prozess] begonnen, mit dem | |
| die Verkehrsbetriebe BVG die Zahlung doch noch abwenden wollen. Der taz | |
| liegen die [4][Schriftsätze der Verkehrsbetriebe] und [5][von JPMorgan] an | |
| das Gericht vor. Die Verkehrsbetriebe argumentieren: Das Geschäft sei von | |
| Anfang an nichtig gewesen, [6][weil es] „vollkommen unangemessen für eine | |
| staatliche Transportgesellschaft“ sei. Weiter [7][heißt es]: „Die Berliner | |
| Verkehrsbetriebe waren als Anstalt des öffentlichen Rechts durch Gesetz und | |
| Satzung begrenzt auf Geschäfte innerhalb dieser vorgegebenen Funktion, wozu | |
| – nicht überraschend – nicht der Verkauf von Kreditsicherheiten gehörte.�… | |
| In ungewöhnlicher Offenheit [8][gibt das landeseigene Unternehmen zu]: „Die | |
| BVG hat wesentliche Aspekte der Transaktion nicht verstanden.“ Das gilt | |
| insbesondere für den Mitarbeiter, der bei der BVG für das Geschäft | |
| zuständig war und [9][sich in seiner E-Mail-Signatur „Experte für | |
| Finanzprodukte“] nannte. Die Verkehrsbetriebe [10][schreiben]: „Der | |
| Ansprechpartner auf Seite der BVG hatte das Verlustprofil der Transaktion | |
| grundlegend missverstanden, nämlich unter welchen Umständen die | |
| Verkehrsbetriebe wie viel zahlen müssen." | |
| ## Nur eine profane Wette | |
| Was die Verkehrsbetriebe immerhin richtig verstanden hatte: Dass es bei dem | |
| Geschäft eigentlich um nicht mehr als eine profane Wette geht, auch wenn | |
| sie den umständlichen Namen „Synthetic Collateralized Debt Obligation“ | |
| (CDO) trägt. Eine Wette mit der Investmentbank JPMorgan. Gewettet wurde | |
| darum, ob 150 andere Unternehmen in den nächsten Jahren in | |
| Zahlungsschwierigkeiten kommen. Zu diesen Unternehmen [11][gehörten etwa] | |
| Lehman Brothers, die isländische Kaupthing Bank, die Immobilienfinanzierer | |
| Fannie Mae und Freddie Mac und der Versicherungskonzern AIG. Wenn es eine | |
| Pleitewelle gibt, würde JPMorgan gewinnen. Sonst die Verkehrsbetriebe. | |
| Was der Finanzexperte der Verkehrsbetriebe falsch verstanden hatte: Wie | |
| viele der 150 Unternehmen pleitegehen müssen, damit sie den vollen Betrag | |
| zahlen müssen. [12][Er dachte: Alle 150.] Tatsächlich reichten schon | |
| weniger als zehn Unternehmen. | |
| Als letzte Kontrollinstanz hatte der Aufsichtsrat der Verkehrsbetriebe über | |
| das Geschäft zu entscheiden. Und der Vorsitzende dieses Gremiums war Thilo | |
| Sarrazin, damals Berliner Finanzsenator, später Bundesbankvorstand, heute | |
| Buchautor und niemals verlegen um Spartipps für Hartz-IV-Empfänger. Die | |
| Investmentbanker machten sich intern Sorgen, dass Sarrazin den Deal noch | |
| stoppen könnte. Das zeigen Mitschnitte interner Telefonate. | |
| Die Besonderheit bei Gerichtsverfahren in Großbritannien ist, dass das | |
| Gericht dort die beteiligten Firmen anweisen kann, alle internen Unterlagen | |
| zu dem Sachverhalt rauszurücken. Allein JPMorgan hat [13][mehr als 14.000] | |
| Briefe, E-Mails oder Telefonmitschnitte zugänglich gemacht – und zwar | |
| sowohl für das Gericht als auch für die Gegenseite. | |
| Und so ist jetzt nachzulesen, wie zwei Investmentbanker von JPMorgan am | |
| Telefon [14][über Sarrazin unterhielten]: "Der ist ein Erbsenzähler und ich | |
| würde sagen, wenn der damit zu tun bekommt, könnte er argwöhnisch werden, | |
| weil er sagt, dass eine Investmentbank wohl eine Menge Geld damit | |
| verdient." | |
| Die Sorge war unbegründet. Es existiert ein [15][Audio-Mitschnitt der | |
| Aufsichtsratssitzung] der Verkehrsbetriebe vom 25. April 2007. Der Deal | |
| wird nur vier Minuten lang besprochen. Niemand stellt die Frage, ob es | |
| eigentlich die Aufgabe der Verkehrsbetriebe sei, Finanzwetten | |
| abzuschließen. Wie JPMorgan in dem Schriftsatz an das Gericht ausführt, | |
| gibt Thilo Sarrazin stattdessen zu erkennen, dass auch er die Transaktion | |
| nicht versteht. Dann stimmt der Aufsichtsrat zu. Am 19. Juli 2007 schlossen | |
| die Verkehrsbetriebe den Vertrag. Die Wette sollte über zehn Jahre laufen. | |
| Nach einem Jahr und drei Monaten hatten die Verkehrsbetriebe verloren. | |
| ## Ahnungslosigkeit | |
| Die BVG argumentiert jetzt vor Gericht: JPMorgan musste wissen, dass die | |
| BVG den Deal nicht verstanden hat. Als Beweis wird dafür etwa der | |
| Mitschnitt von Telefonaten zwischen dem BVG-Finanzexperten und Mitarbeitern | |
| von JPMorgan angeführt. Bei einem dieser Gespräche versuchte der | |
| BVG-Mitarbeiter vorzurechnen, wie er das verstanden hatte. „Das ist keine | |
| Berechnung, die jemand gemacht hätte, der ein Basis-Verständnis der | |
| Funktionen der geplanten CDO hat“, [16][schreiben] die Verkehrsbetriebe | |
| jetzt in ihrem Schriftsatz an das Gericht. | |
| Am deutlichsten äußerte der BVG-Finanzexperte seine eigene Ahnungslosigkeit | |
| [17][in einem Telefonat] mit einem der Investmentbanker von JPMorgan: „Der | |
| Vertrag, mit allen Definitionen, hat 500 Seiten Papier oder so, mit zig | |
| Querverweisen, wie das so üblich ist bei US-Verträgen, und wir sind keine | |
| Experten auf diesem Feld und verstehen nicht, was genau wir | |
| unterschreiben.“* Das sagte er wohlgemerkt, nachdem er den Vertrag | |
| abgeschlossen hatte. | |
| Die Verkehrsbetriebe | |
| [18][//www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf. | |
| html#document/p83/a141831:merken in dem Schriftsatz an], dass auch der | |
| damalige Aufsichtsrat "kein besseres oder anderes Wissen oder Verständnis | |
| hatte zu dieser Transaktion" als der BVG-Finanzexperte. | |
| In dem Gerichtsverfahren erheben die Verkehrsbetriebe den Vorwurf gegen | |
| JPMorgan, die Pflicht zur umfassenden Beratung verletzt zu haben. Die Bank | |
| dagegen „weist es zurück, dass JPMorgan gegenüber der BVG irgendeine | |
| relevante Fürsorgepflicht hatte“. | |
| Der Prozess ist auf 40 Verhandlungstage angesetzt. Wenn die | |
| Verkehrsbetriebe verlieren, haftet das Land Berlin für die Verluste. Dann | |
| müsste am Ende wohl der Landeshaushalt einspringen. Alternativ könnten auch | |
| die Fahrpreise steigen. Ein Urteil wird im Sommer oder Frühherbst dieses | |
| Jahres erwartet. | |
| ## Keine Stellungnahme | |
| Die taz hat die Verkehrsbetriebe um eine Stellungnahme gebeten. | |
| Unternehmenssprecherin Petra Reetz antwortete, sie wolle sich wegen des | |
| laufenden Prozesses in London nicht zu dem Thema äußern. | |
| Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin sagte über das Geschäft im Jahr 2008 – | |
| nachdem die Wette verloren war, aber noch bevor er in den Vorstand der | |
| Bundesbank wechselte – dass „niemand sich darüber mehr ärgert als ich“.… | |
| rechtfertigte die damalige Entscheidung damit, man habe im Jahr 2007 nicht | |
| ahnen können, dass kurz darauf eine Finanzkrise ausbricht: „Dass sich aus | |
| heutiger Sicht die Dinge anders darstellen, ist absolut klar.“ | |
| Der BVG-Finanzexperte arbeitet inzwischen als Geschäftsführer des Berliner | |
| Büros einer privaten Finanz-Beratungsgesellschaft, deren Kunden | |
| hauptsächlich Kommunen und öffentliche Einrichtungen sind. Das Unternehmen | |
| wirbt auf seiner Webseite damit, es unterstütze seine Klienten mit | |
| „unabhängiger und umfassender Beratung bei allen strukturierten | |
| Finanztransaktionen der öffentlichen Hand. Die Kunden profitieren von dem | |
| hochgradig spezialisierten Know-how unserer Mitarbeiter“. | |
| Auf seiner Profilseite steht über seine Vergangenheit: Er leitete „bei den | |
| Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) das Sachgebiet Sonderfinanzierung, wo er | |
| unter anderem für den Abschluss und das Vertragsmanagement strukturierter | |
| Finanzierungen zuständig war“. Dort habe er auch “seine exzellenten | |
| Kontakte zu Banken, insbesondere Förder- und Investitionsbanken auf- und | |
| ausgebaut“. | |
| Die Beratungsgesellschaft des BVG-Finanzexperten nennt als Kundenreferenzen | |
| auf ihrer Webseite etwa die Kommunen Nürnberg, Gelsenkirchen, Leipzig, | |
| Konstanz oder Recklinghausen, die Kölnmesse, die Schweriner | |
| Abwasserentsorgung - und die Berliner Verkehrsbetriebe. | |
| Siehe auch | |
| Wie die Verkehrsbetriebe sich bei dem Deal von einer Kanzlei beraten | |
| ließen, [19][die in Wirklichkeit für die Gegenseite gearbeitet hat] | |
| Kommentar: [20][Der Betrug am dummen Deutschen] | |
| * Das Zitat ist eine doppelte Übersetzung: Das Telefonate wude ursprünglich | |
| auf deutsch geführt, die Anwälte der BVG haben für Gericht [21][das Zitat | |
| auf englisch übersetzt], die taz hat das Zitat aus den Gerichtsdokumenten | |
| wieder zurückübersetzt. | |
| 26 Jan 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [2] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [3] http://www.justice.gov.uk/courts/court-lists/list-cause-rolls | |
| [4] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [5] http://www.documentcloud.org/documents/1007862-bvg-klageschrift.html | |
| [6] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [7] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [8] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [9] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf.… | |
| [10] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [11] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [12] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [13] http://www.documentcloud.org/documents/1007862-bvg-klageschrift.html#docum… | |
| [14] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [15] https://www.documentcloud.org/documents/1007862-bvg-klageschrift.html#docu… | |
| [16] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [17] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| [18] http://https | |
| [19] /BVG-Wirtschftskrimi/!131753/ | |
| [20] /Kommentr-Investmentdesster-der-BVG/!131762 | |
| [21] http://www.documentcloud.org/documents/1008847-bvg-opening-submissions-pdf… | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Heiser | |
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