# taz.de -- Snowden und die ARD: Begegnung mit einem Bekannten | |
> Edward Snowden sagt nichts Neues, aber davon viel. Doch das Interview in | |
> der ARD zeigt, das Snowden ein Mann ist, der seine Aufgabe bereits | |
> erfüllt hat. | |
Bild: Snowden im Gespräch Hubert Seipel (l.): inhaltlich nichts Neues. | |
Es braucht ein Libretto für jedes Ballett. Und ein Ensemble zum Spiel mit | |
der Anziehung und der Ablehnung. Eine Choreographie also, die den | |
Spannungsbogen hält, damit aus dem Tanz mehr wird als nur eine Bewegung. | |
Damit der Tanz zum Drama wird, zu Ehrfurcht und Erlösung. | |
Mit der Politik verhält es sich ganz ähnlich. Ohne eine gute Choreographie, | |
die die Spannung hält, sind Worte nur Worte und Taten nur Taten und am Ende | |
lohnt es sich meist gar nicht zuzuschauen. | |
Tagelang hatte die ARD ja nun Werbung gemacht für etwas, das sich | |
schließlich kaum zu betrachten lohnte. Edward Snowden – na gut – hat, so | |
behauptet die ARD, sein erstes Fernsehinterview gegeben. Das ist ja allein | |
deshalb beachtlich, weil der vielleicht wichtigste Whistleblower der | |
jüngeren Geschichte das sonst nicht so oft tut. Und so feierte der Sender | |
auf allen Kanälen am Wochenende seinen großen Wurf – bis schließlich | |
Sonntagnacht sehr spät gesendet wurde, was vorher Stund um Stund immer | |
wieder angekündigt war. Das große Exklusiv-Interview mit Edward Snowden: | |
Ein schlecht ausgeleuchteter Raum in braungelbem Schimmer, ein | |
Top-Whistleblower, der gut gelaunt war, aber nicht viel sagte. | |
Denn Edward Snowden hat beschlossen und untermauert, dass nicht mehr er | |
darüber entscheidet, welche geheimen Informationen künftig noch | |
veröffentlicht werden, sondern dass dies jene Journalisten zu entscheiden | |
haben, die über sein Material verfügen. Das wirkt erstens anständig und ist | |
zweitens taktisch klug – denn so macht sich Snowden nicht noch mehr zum dem | |
Staatsfeind, der er ohnehin schon ist. | |
## Bedingt erhellend | |
Das hat allerdings auch zur Folge, dass es nur bedingt erhellend ist, mit | |
Edward Snowden zu reden – zumindest, wenn man Fragen stellt, wie es die ARD | |
hier tat: Welche Länder zum Five-Eyes-Bündnis gehören, wollte der | |
Journalist Hubert Seipel wissen. Das ist nun wirklich auf Wikipedia | |
nachzulesen. Und ähnlich ging es dann so weiter: Ob Snowden früher mit | |
roten Augen nachts vor dem Computer saß? Ob Snowden heute Nacht gut | |
schlafen kann? | |
Darauf folgt nichts Substanzielles. Snowden sagt, dass er richtig findet, | |
was er tat. Snowden redet von der Spionagesoftware X-Keyscore. Snowden | |
sagt, dass die NSA Wirtschaftsspionage betreibt. Kennen wir alles schon. | |
Snowden sagt, dass US-Regierungsvertreter ihn gern töten würden. Das hat er | |
auf der gleichen Homepage gelesen wie wir. | |
Es gibt also inhaltlich nichts Neues. Und doch gibt der Fernsehabend | |
Anlass, darüber nachzudenken, wie sehr uns dieser Mensch Edward Snowden | |
schon nahegekommen ist. Der große Unbekannte ist zu einem Bekannten | |
geworden, der uns nicht mehr überrascht. Er ist zu einem Mann geworden, der | |
seine Aufgabe bereits erfüllt hat. Wir treffen ihn – und? Mehr nicht. | |
Für den Whistleblower im russischem Asyl bringt das allerhand Probleme mit | |
sich. Tatsächlich fragen sich viele Menschen zurecht: Gibt es eigentlich | |
noch etwas, das uns künftig wirklich schocken kann? Und gibt es – nach der | |
Sache mit Frau Merkels Abhörhandy – noch irgendeine mögliche Enthüllung, | |
die noch einmal regierungsamtliche Empörung, zum Beispiel in Deutschland, | |
auslösen könnte? | |
Solange das nicht der Fall ist, wird sich auch an der menschenrechtlich | |
ausweglosen Lage des Whistleblowers im russichen Asyl nicht viel ändern. | |
Das ist tatsächlich dramatisch. | |
Umso beachtlicher ist die Besonnenheit und Kühle, mit der Snowden darauf | |
reagiert. Da sitzt ein junger Mann, der sich nicht auf die Choreographie | |
der größtmöglichen Spannung, der stets neuen Enthüllung einlässt. Es gibt | |
für ihn wohl keine Drama, keine Ehrfurcht und keine Erlösung. Da sitzt ganz | |
schlicht ein Mann, der mithilft seinen Mythos langsam zu entzaubern. Er | |
hat, sagt Snowden vielleicht ohne es zu wollen, eigentlich jetzt nicht mehr | |
viel zu sagen. Und das ist ja tatsächlich nicht schlecht. Denn es geht hier | |
gar nicht mehr so sehr um ihn. Aber das müssen wir vielleicht erst noch | |
begreifen. | |
27 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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