# taz.de -- Liberalismus für Grüne: Aus den Fängen der FDP befreit | |
> In seinem Buch „Machtwirtschaft – nein danke!“ richtet der Grüne Gerha… | |
> Schick Wirtschaftspolitik aufs Gemeinwohl aus. Eine Besprechung. | |
Bild: Das Freiheit auch Spaß machen kann, haben die Grünen schon immer geahnt. | |
Europa wird demokratischer, die Bürger sollen ihre Meinung sagen, hat | |
EU-Handelskommissar Karel De Gucht angekündigt. Mit der Konsultation der | |
Öffentlichkeit hofft er das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA zu | |
retten. Viele Bürger hegen Zweifel an dem geplanten Vertrag. | |
Fraglich, ob diese Bürgerbefragung am Ergebnis etwas ändert oder nur zu den | |
Akten genommen wird. Zwar ist die EU keine undemokratische Veranstaltung, | |
doch erscheint die Partizipation auf supranationaler Ebene weit davon | |
entfernt, eine Mitsprache zu ermöglichen, wie sie im nationalen Rahmen | |
üblich ist. | |
Aus dieser Analyse leitet der grüne Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick in | |
seinem Buch „Machtwirtschaft – nein danke“ die Forderung ab, die EU | |
demokratischer zu machen. Bevor im Mai das Europaparlament neu gewählt | |
wird, schlägt er unter anderem vor, den EU-Rat der Nationalregierungen | |
durch eine zweite Parlamentskammer zu ersetzen, in der direkt gewählte | |
Vertreter der Mitgliedsstaaten sitzen, nach dem Vorbild der Reform des | |
US-Senats von 1913. | |
Der 41-jährige Schick, Ökonom mit Doktortitel, Vizechef des | |
Finanzausschusses im Bundestag, nutzt wie wenige Bundestagsabgeordnete die | |
Medien – mal kritisiert er öffentlichkeitswirksam, wie die EU ihre | |
Krisenbanken schützt, mal setzt er sich für bessere | |
Verbraucherinformationen bei Finanzprodukten ein. | |
## Mosaiksteine für grüne Theorie | |
Angesiedelt ist Schick in der linken, besser „linksliberalen“ Hälfte des | |
Parteienspektrums. In seinem Buch versucht er, die Mosaiksteine, aus denen | |
die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Grünen bestehen, in einen | |
theoretischen Zusammenhang zu bringen. Seine Schrift reiht sich ein in die | |
Bemühungen, den deutschen Liberalismus aus den Fängen der FDP zu befreien, | |
unterscheidet sich aber von den kurzatmigen Projekten seiner | |
Parteikollegen, Rückschlüsse aus der vergeigten Bundestagswahl zu ziehen. | |
Als theoretischen Bezugspunkt hat Schick den Ordoliberalismus gewählt. | |
Dessen Vordenker, etwa Walter Eucken (1891–1950), wiesen der Politik die | |
Aufgabe zu, Spielregeln für offene Märkte festzulegen, die sich an | |
gemeinsamen Interessen der Bürger ausrichten. In Auseinandersetzung mit | |
Sozialismus, Nationalsozialismus und Kapitalismus entstand das Ideal einer | |
Marktwirtschaft mit starker demokratischer, damit potenziell auch sozialer | |
Abfederung. | |
Für Schick ist „Machtwirtschaft“ eine Marktwirtschaft, in der Unternehmen | |
Geschäfte nur zu ihrem Nutzen, auf Kosten der Mehrheit der Bürger und nicht | |
im Sinne des Gemeinwohls machen. Heraus kommen etwa schlechte Lebensmittel, | |
Finanzkrisen und Umweltzerstörung. | |
Besonders eindrucksvoll beschreibt Schick die Strukturen der globalen | |
Wirtschaft. Seiner These zufolge, die er auf Untersuchungen anderer Autoren | |
stützt, beherrschen 147 transnationale Konzerne etwa 40 Prozent der | |
globalen Unternehmensvermögen. Durch die besondere Machtstellung gelinge es | |
Managern dieser dominierenden Unternehmen, die Regeln der Weltwirtschaft zu | |
ihren Gunsten zu beeinflussen. Das führe, so Schick, zu ungerechten | |
Wettbewerbsverhältnissen – einfach gesagt, zu hohen Gewinnen auf Seiten der | |
Konzerne und entsprechenden Verlusten bei Gesellschaften und Bürgern. | |
## Wirtschaft und Politik zurückerobern | |
Die Schieflage werde verstärkt, weil es der ökonomischen Elite gelinge, | |
ihre Interessen so in den politischen Prozess einzuspeisen, dass sie andere | |
Anliegen an den Rand drängten – auf nationaler wie auf europäischer Ebene. | |
Es müsse also darum gehen, den Rechtsrahmen der Marktwirtschaft neu zu | |
gestalten, schreibt Schick. Die Bürger sollten Wirtschaft und Politik von | |
den Eliten zurückerobern. | |
Ist der Grüne beim Ordoliberalismus auf dem richtigen Dampfer? Das Bild | |
dieser Theorierichtung prägen heute ja Ökonomen wie der Wirtschaftsweise | |
Lars Feld, die den Markt vor ausgleichenden Eingriffen des Staates | |
möglichst schützen wollen. | |
Nimmt man die Idee eines sozial abgefederten Liberalismus aber ernst, so | |
bietet sie einige Vorteile. Wenige bestreiten heute, dass, wenn die Regeln | |
stimmen, der Markt ein wirkungsvoller Steuerungsmechanismus sein kann. Eine | |
linksliberale Grundhaltung bietet zudem die Möglichkeit, viele Wünsche | |
einer pluralistischen Gesellschaft zu integrieren, weil die Regelsetzung an | |
demokratische Entscheidungen gebunden ist. Das Ergebnis könnte eine | |
pragmatische, dynamische, unideologische, aber auch ethisch fundierte | |
Politik sein. | |
16 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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