# taz.de -- Kommentar Neue Regierung in Italien: Renzi, der „Verschrotter“ | |
> Matteo Renzi hat seinem Beinamen alle Ehren gemacht. Doch ob der | |
> Volkstribun mehr kann als opponieren, muss sich erst noch zeigen. | |
Bild: Matteo Renzi, wird jetzt noch mehr zu besprechen haben | |
Eine fulminantere Karriere hat Italien wohl noch nie erlebt. Erst vor zwei | |
Monaten eroberte Matteo Renzi gegen das gesamte Parteiestablishment die | |
Spitze der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) mit dem Slogan, die | |
gesamte alte Garde gehöre „verschrottet“ – und jetzt erledigte er gleich | |
auch noch den Regierungschef, seinen Partei-„Freund“ Enrico Letta, um | |
selbst nach dem Posten des Ministerpräsidenten zu greifen. | |
Erst 39 Jahre alt, hat Renzi damit beste Chancen, zum jüngsten Premier zu | |
werden, den Italien je hatte. Zwei Faktoren machten den rasanten Aufstieg | |
möglich. Da ist zum einen die tiefe Krise, in der sich das Land befindet. | |
Seit 2007 stürzte Italien dramatisch ab, verlor fast 10% seiner | |
Wirtschaftsleistung, fast ein Viertel seiner Industrieproduktion. Gewiss, | |
die Haushaltssanierung machte große Fortschritte – doch der Preis war hoch. | |
Offiziell weist die Arbeitslosenstatistik knapp 13% aus, doch Experten | |
schätzen, stolze sechs Millionen Menschen seien ohne Job, hätten oft genug | |
aber entmutigt die Suche aufgegeben. | |
Tief enttäuscht sind die meisten Italiener in dieser Situation von der | |
Politik – und vom Gros der Politiker. Immer wieder hieß es, da sei Licht am | |
Ende des Tunnels, erst unter der Expertenregierung Mario Montis, die | |
2011-2013 amtierte, dann nach den letzten Wahlen unter der | |
Links-Rechts-Koalition Enrico Lettas. | |
Doch wenig bewegte sich, echte Reformen blieben aus, außer Steuererhöhungen | |
und Kürzungen staatlicher Leistungen hatte die Politik wenig zu bieten. | |
Schlimmer noch: Zugleich wurden reihenweise Skandale bekannt, die alle um | |
ein Thema kreisten: um den ungebrochenen Willen der politischen Klasse, | |
sich selbst zu bereichern. | |
## Sehnsucht nach dem starken Mann | |
In dieser Lage gedieh eine Stimmung, die geprägt war vom abgrundtiefen | |
Misstrauen gegen die etablierten Politiker ebenso wie von einem | |
verbreiteten Wunsch nach einem Wundertäter, der es richten soll. Zwei | |
Drittel der Italiener zeigen sich in Meinungsumfragen überzeugt, das Land | |
brauche „einen starken Mann“ an der Spitze. | |
Auf der Rechten wird diese Nachfrage seit Jahren schon durch Silvio | |
Berlusconi befriedigt. Mit Ausfällen gegen die „Politikaster“ in Rom | |
inszenierte der sich als der Deus ex machina, der schon durch seine Person | |
die Wende garantiert – und so absurd es ist, auf der italienischen Rechten | |
greift dieses Versprechen immer noch. | |
Bei den Wahlen vom Februar 2013 gesellte sich ein zweiter Volkstribun | |
hinzu: Beppe Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Protestliste, der aus dem Stand | |
25% eroberte, indem er gegen die „Zombies“ in Rom wetterte und einen | |
kompletten politischen Aufbruch versprach. | |
Eben dies ist der zweite Faktor, der Renzis Erfolg möglich machte: dass auf | |
der Linken vor ihm eine vergleichbare Person völlig fehlte. Renzi stieß in | |
diese Lücke, nachdem der PD im Jahr 2013 unter ihrem alten Chef Pierluigi | |
Bersani den eigentlich sicher geglaubten Wahlsieg dramatisch verfehlt | |
hatte. | |
Nun zahlte sich aus, dass Renzi während seines gesamten Aufstiegs auf das | |
Image des mutigen Nonkonformisten gesetzt hatte, sich als jemand inszeniert | |
hatte, der mit den alten Apparatpolitikern nicht zu verwechseln ist: als | |
Mann der klaren Sprache, als zupackender Macher, der die | |
Hinterzimmer-Rituale verabscheut, als ewiger Feind verkrusteter Apparate, | |
der lieber die direkte Zustimmung der Wähler – zur Not an der Partei vorbei | |
– sucht. | |
Auch Renzi gibt den Volkstribun – und wurde damit erst 2009 Bürgermeister | |
von Florenz, im Dezember 2013 dann mit einem triumphalen Ergebnis von fast | |
70% Parteichef, gekürt in Urwahlen der Anhänger, an denen sich fast drei | |
Millionen Menschen beteiligten. | |
## Letzte Karte | |
Und nun greift er nach der ganzen Macht. Damit aber spielt Renzi volles | |
Risiko. Denn bisher lebte sein Image davon, dass er eigentlich immer in | |
Opposition stand: in Opposition erst zu den alten Parteigranden, dann zur | |
in Italien ungeliebten Regierung Letta, der er mit kritischer Distanz | |
begegnete, auch wenn der PD der größte Koalitionspartner ist. | |
Jetzt aber will Renzi selbst regieren. Genauso wie Letta muss er sich dabei | |
jedoch auf eine Koalition mit einer kleinen Rechtspartei und den | |
versprengten Kräften der Mitte um Mario Monti stützen. Renzi wird zeigen | |
müssen, ob er in der Lage ist, nun „durchzuregieren“, wie er verspricht – | |
und endlich etwas im Land zu bewegen. Er hat nur diese eine Chance, und mit | |
ihm die PD, die ihre allerletzte Karte spielt. | |
14 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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