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# taz.de -- Kreißsaal oder Hausgeburt: Geburtshilfe auf den Prüfstand!
> Die Zahl der medizinischen Interventionen bei Geburten steigt. Vor allem
> für Mehrgebärende sind außerklinische Geburten nicht riskanter als
> klinische.
Bild: Ärzte bereiten sich auf eine Geburt in einer Hamburger Klinik vor.
MÜNCHEN taz | Die Frage nach dem Geburtsort beantworten hierzulande die
meisten werdenden Mütter eindeutig mit: „In der Klinik“. Schließlich gilt
dieser Geburtsort als der Sicherste, und wer will schon gleich zu
Lebensbeginn die Gesundheit des Kindes aufs Spiel setzen? Nur etwa 5
Prozent der Frauen entscheiden sich für eine außerklinische Geburt, zu
Hause also oder in einem hebammengeleiteten Geburtshaus.
Zwar geht der Trend zur natürlichen Geburt, gleichzeitig steigen aber auch
die Raten an Kaiserschnitten und anderen medizinischen Eingriffen. Jedes
dritte Kind kommt mittlerweile im OP zur Welt. „Die Geburtshilfe gehört auf
den Prüfstand“, meint darum der Kinderarzt Herbert Renz-Polster in seinem
Buch „Menschenkinder“.
So werden etwa im Krankenhaus 53 Prozent der Wehen eingeleitet, während es
im Hebammen-Geburtshaus nur 7 Prozent sind. Zudem gibt es dort dreimal
weniger Dammschnitte, und geplante außerklinische Geburten werden viermal
seltener per Sectio beendet. Eine Studie mit über 140.000 sogenannten
Low-Risk-Frauen hat letztes Jahr zudem belegt, dass in der Klinik mehr
schwerwiegende Komplikationen wie große Blutverluste oder
Gebärmutterrupturen bei der Geburt auftreten.
Laut US-Studien stieg die Rate der bedenklichen postpartale Blutungen von
2000 bis 2009 um 30 Prozent – vermutlich eine Folge der zahlreichen
Interventionen. Laut Zahlen der Universität Kopenhagen kommt es im
Krankenhaus insgesamt zwischen 20 und 60 Prozent häufiger zu medizinischen
Eingriffen.
## Der Rechtsberater steht immer daneben
Für diese Entwicklung gibt es viele Gründe. So sind etwa Gebärende heute
älter, es gibt daher häufiger Mehrlingsgeburten und andere Komplikationen.
Laut Kritikern wie Renz-Polster erklären diese Faktoren jedoch nur einen
Teil dieses Trends. Fehler lägen auch im System. So seien etwa viele Ärzte
auf den Geburtsstationen gar nicht mehr in der Lage eine Geburt spontan
verlaufen zu lassen, da sie durch die steigenden Kaiserschnittraten vor
allem eines lernen: eine Geburt auf dem OP-Tisch zu beenden. Auch
juristisch sei der Arzt damit auf der sicheren Seite.
Zudem macht der in vielen Kliniken herrschende Zeitdruck und Personalmangel
Frauen mit Wunsch nach einer natürlichen Geburt häufig einen Strich durch
die Rechnung. Schwangere gehen nämlich aus Unsicherheit oft zu früh in die
Klinik, wo dann eine „Interventionskaskade“ in Gang kommt.
Weil die echten Wehen erst noch ausbleiben, wird dann mit Wehentropf und
Schmerzmitteln hantiert. Das wiederum erhöht das Risiko für Dammschnitte
und operative Geburten wie Saugglockengeburt oder Kaiserschnitt. Ein
Teufelkreis, denn: „Kaiserschnitte gehen mit Komplikationen bei einer
nachfolgenden Geburt einher“, sagt Ank de Jonge, Hebammenwissenschaftlerin
an der Universität Amsterdam. So haben Frauen mit vorangegangenem
Kaiserschnitt häufiger Plazentavorfälle wie eine Placenta praevia, bei der
das Kind ebenfalls nicht normal entbunden werden kann.
## Als Mitgift: Mikroben
Auch für die kindliche Gesundheit ist eine OP-Geburt keineswegs die beste
Option, wie man lange glaubte. So müssen die Neugeborenen doppelt so häufig
wegen Atemnot behandelt werden, zudem erkranken die Kinder später häufiger
an Asthma, Allergien, Diabetes oder Zöliakie. Denn Mikroben aus dem
Geburtskanal sind eine Art Mitgift für das Baby, die für ein gesundes
Immunsystem sorgt.
Frank Louwen, Geburtsmediziner an der Goethe-Universität Frankfurt wies
kürzlich darauf hin, dass Schwangere auch über die Nachteile von
Kaiserschnitten besser aufgeklärt werden sollten.
Insgesamt erleben derzeit weniger als 10 Prozent der Frauen hierzulande
eine „natürliche“ Geburt ohne jegliche Eingriffe. Eine Entwicklung, die die
Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft in einer Stellungsnahme
kritisiert: „Die Maxime der Nichtintervention muss zentraler Leitgedanke
des Hebammenhandelns sein, um unnötige Eingriffe, Beeinflussung und damit
Belastung der Frau, des Kindes und des physiologischen Prozesses zu
vermeiden.“
## Der Rat der Mediziner
Trotzdem raten Mediziner der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe (DGGG) aus Sicherheitsgründen zur Klinikgeburt. Nicht selten
schlagen Frauenärzte die Hände über dem Kopf zusammen, wenn die Schwangere
eine Hausgeburt plant. „Viel zu gefährlich“, heißt es dann. Tatsächlich
waren etwa in der „Birthplace in England – national prospective cohort
study“ aus dem Jahr 2011 die Komplikationsraten bei Kindern von
Erstgebärenden leicht erhöht. So gab es bei Hausgeburten 9,3 Vorfälle pro
1.000 Babys, in der Klinik waren es 5,3, in Geburtshäusern dagegen nur 4,6.
Solche Ereignisse sind zwar extrem selten, können aber schwerwiegende,
gesundheitliche Folgen haben oder führen gar zum Tod des Neugeborenen.
Andere Studien, wie die aktuelle Auswertung der Cochrane Collaboration, bei
der 13 Studien mit mehr als 16.000 Teilnehmerinnen analysiert wurden,
konnten jedoch keine Unterschiede – zumindest zwischen Klinik und
hebammengeleitetem Geburtshaus – in Sachen Sicherheit für Mutter und Kind
feststellen.
Ein Nachteil von außerklinischen Geburten sind jedoch die häufigen
Verlegungen. Rund 12 Prozent der Hausgeburten müssen abgebrochen und in der
Klinik fortgeführt werden, bei Erstgebärenden ist es sogar die Hälfte.
Allerdings verlaufen die meisten ohne Eile, im ersten Stadium der Geburt.
Und so kommen die Autoren der „Birthplace in England – national prospective
cohort study“ zu dem Schluss: „Die Verlegungen stellen kein zusätzliches
Risiko dar.“ Hierzulande darf der Weg zur Klinik beispielsweise nicht
länger als 20 Minuten dauern. Zudem sprechen Vorerkrankungen der Mutter
gegen eine Wohnzimmergeburt.
## Aromen und Pink-Floyd
Positiv zu bewerten ist auf jeden Fall der Trend, die Kreißsäle nicht mehr
nur mit Neonlicht und Gebärstuhl zu bestücken. Stattdessen wabern Aromen
durch das Zimmer, Pink-Floyd-CDs können abgespielt werden, und der Raum
lädt dazu ein, verschiedene Gebärpositionen einzunehmen. Dass dies
keineswegs nur esoterisches Geplänkel ist, hat eine kanadische Studie im
Jahr 2009 belegt: Eine entspannte Atmosphäre führt dazu, dass sich die Frau
mehr bewegt und es auch zu weniger Eingriffen vonseiten der Ärzte kommt.
Ein weiterer Kompromiss ist der hebammengeleitete Kreißsaal. Hier betreut
eine Hebamme eine Frau bei der Geburt, sie muss also sich nicht
gleichzeitig um mehrere Frauen kümmern, wie das in Krankenhäusern der
Normalfall ist.
Nicola Bauer hat in einer Studie belegt, dass die Hälfte der Schwangeren im
Hebammenkreißsaal eine interventionsfreie Geburt erlebt, während es im
ärztlich geleiteten Kreißsaal nur 23 Prozent waren.
22 Feb 2014
## AUTOREN
Kathrin Burger
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Geburt
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Risiko
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Streitfrage
Gesundheit
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Operation
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Bundesministerium für Gesundheit
Geburtshilfe
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