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# taz.de -- Prekäre Geburtshilfe: Kein Anspruch auf echte Sylter
> Seit Neujahr ist der einzige Kreißsaal auf der Insel geschlossen.
> Lokalpolitiker wollen nun die Wiedereröffnung rechtlich erzwingen-
Bild: Klinische Regelversorgung auf Sylt: Ob dazu auch Geburten gehören, muss …
HAMBURG taz | Muss der Asklepios-Konzern in seiner Sylter Klinik eine
Geburtshilfestation anbieten oder nicht? „Nein“, glaubt Schleswig-Holsteins
Gesundheitsministerin Kristin Alheit. Am Freitagabend verschickte ihr
Pressesprecher eine Stellungnahme zu einem Antrag der Wählerliste „Zukunft
Sylt“ an das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht. Mit diesem
versuche die Liste, „die seit 1. 1. geschlossene Geburtshilfe vor Ort mit
Hilfe einer einstweiligen Anordnung des Gerichtes zwangsweise wieder
anzubieten“, heißt es darin. Und: „Aus Sicht des Ministeriums gibt es
rechtlich jedoch keinen allgemeinen Anspruch auf Vollziehung staatlicher
oder kommunaler Planungen. Es fehlt zudem eine erforderliche
Antragsbefugnis der Antragsteller.“
Das Verwaltungsgericht will diese Woche über den Antrag entscheiden. Darin
beruft sich die Wählerliste auf den Krankenhausplan des Landes, nach dem
die Sylter Nordseeklinik eine der Regelversorgung ist. Als solche muss sie
zumindest eine Gynäkologie anbieten. Ob sie auch Geburten begleiten muss,
soll jetzt das Gericht feststellen.
Selbst wenn sie mit ihrem Antrag scheitern sollten, hofft Initiator Lars
Schmidt, Fraktionsvorsitzender von „Zukunft Sylt“, zumindest eine Debatte
darüber angestoßen zu haben, wie es um die Infrastruktur im ländlichen Raum
bestellt ist. Welche Entfernungen Gebärenden zum nächsten Kreißsaal
zugemutet werden dürfen, sei dabei nur ein Beispiel, sagt Schmidt. „Sylt
ist ja nicht der einzige Ort, an dem eine Geburtshilfe geschlossen wird,
weil sie sich für die Klinik nicht rentiert. Aber Sylt bekommt mehr mediale
Aufmerksamkeit als eine Kleinstadt irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern.“
Bundesweit gab es im Jahr 2002 noch 1.004 Kliniken mit einer
Geburtshilfestation, zehn Jahre später waren es nur noch 784. In
Schleswig-Holstein gibt es an den Küsten bereits jetzt mehrere Orte, die
mindestens 50 Kilometer vom nächsten Kreißsaal entfernt sind.
Allerdings haben es schwangere Sylterinnen besonders schwer, die
nächstgelegene Klinik zu erreichen, weil sie sich nicht einfach ins Auto
setzen können, sondern auf den Zug über den Hindenburgdamm oder den
Rettungshubschrauber angewiesen sind. Sie können jetzt, wie bereits die
Bewohnerinnen der ostfriesischen Inseln, zwei Wochen vor dem Geburtstermin
aufs Festland ziehen. Die Krankenkassen tragen die Kosten für eine
Unterbringung in der Nähe des Flensburger Diakonissenkrankenhauses.
Manch eine wird es darauf ankommen lassen. „Wenn Sie bereits zwei Kinder
haben, dann ist es schwierig, sich für zwei Wochen oder länger von zu Hause
zu verabschieden“, sagt der Sylter Lokalpolitiker Schmidt. Deshalb gebar am
Freitag – zwei Tage bevor sie aufs Festland wollte – eine Frau ihr drittes
Kind zu Hause. Ihr Sohn kam so schnell, dass auch die Hebamme erst drei
Minuten nach seiner Geburt vor Ort war, wie gestern die Vorsitzende des
schleswig-holsteinischen Landesverbandes, Margret Salzmann, mitteilte.
Die Hebamme Cornelia Bäcker, die bis Ende 2013 freiberuflich in der Sylter
Klinik gearbeitet hat, berichtet von einer Schwangeren, die Ende Januar mit
ihrem Kind rechnete. Doch am vergangenen Dienstag meldete sie sich mit
einem Blasensprung bei ihrem Gynäkologen. Der setzte sie in den
Rettungswagen, der in Niebüll vom Zug rollte. Doch in die dortige Klinik
durfte sie laut Bäcker nicht. „Der Arzt hatte angeordnet, dass sie nach
Flensburg muss, weil es den Kooperationsvertrag mit der Klinik gibt.“ Also
wurde sie in einen weiteren Rettungswagen gesetzt, der noch einmal 50
Kilometer bis nach Flensburg fuhr.
Dass die Sylterinnen in absehbarer Zeit wieder in einer Klinik auf der
Insel ihre Kinder gebären können, ist unwahrscheinlich. Asklepios hatte
zunächst vorgeschlagen, dass die drei Insel-Hebammen in der Klinik ein
Geburtshaus betreiben könnten. In Notfällen hätten Klinik-Chirurgen einen
Kaiserschnitt machen sollen. Das hatten sowohl Ärzte als auch Hebammen
abgelehnt. Danach hieß es kurz vor Weihnachten, die Klinik würde nun doch
die teure Haftpflichtversicherung für einen der beiden niedergelassenen
Gynäkologen bezahlen, so dass dieser den Hebammen in Notfällen zur Seite
stehen könne. Doch für die Hebammen wäre das finanzielle Risiko sehr hoch
gewesen. Und: Sie hatten mittlerweile jedes Vertrauen in die Klinikleitung
verloren, wie die Hebamme Cornelia Bäcker berichtet. „Zuletzt wurde
öffentlich behauptet, wir hätten in der Klinik keine gute Arbeit gemacht,
da fehlt mir die Basis für eine Zusammenarbeit.“
Tatsächlich wies vergangene Woche der Asklepios-Sprecher Franz Jürgen
Schell darauf hin, dass in den Jahren 2011 und 2012 je ein Baby nach der
Geburt in der Klinik starb, 2010 soll ein Kind schwere Behinderungen davon
getragen haben. Bei jährlich 80 bis 100 Geburten wäre das eine sehr hohe
Sterblichkeitsquote – wenn es sich bei der Häufung nicht um Zufälle
handelt. In den Jahren davor hatte es offenbar keine perinatalen
Sterbefälle gegeben. Schell behauptet, Asklepios habe deswegen die
Geburtshilfe schließen wollen. Um den Arzt nicht zu schädigen, sei man mit
dieser Begründung erst jetzt herausgerückt.
14 Jan 2014
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Gentrifizierung
Gesundheit
Asklepios
Hebammen
Geburt
Bundesministerium für Gesundheit
Geburt
Behandlungsfehler
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