| # taz.de -- Privatisierung in Hamburg: Operation Krankenhaus | |
| > Vor zehn Jahren stimmten die Hamburger gegen einen Verkauf der | |
| > städtischen Krankenhäuser. Verkauft wurde trotzdem. Eine Bilanz. | |
| Bild: Arbeiten in der Gewinnzone: ÄrztInnen der Asklepios- Klinik Hamburg-Alto… | |
| HAMBURG taz | Wir waren uns sicher, dass wir siegen“, sagt Klaus Dürr*. So | |
| kam es auch, aber genützt hat es trotzdem nicht viel. | |
| Dürr arbeitete schon über zehn Jahre als Krankenpfleger beim Landesbetrieb | |
| Krankenhäuser Hamburg (LBK), einem Zusammenschluss von zehn städtischen | |
| Kliniken, als diese verkauft werden sollten – an einen privaten Investor. | |
| Der neue Senat aus CDU, Schill-Partei und FDP, 2001 an die Macht gekommen, | |
| machte sich auf die Suche nach einem Investor. | |
| Es formierte sich sofort Widerstand, aus den Krankenhäusern, aus den | |
| Gewerkschaften, aber auch aus Gruppen wie Attac. „Ich kannte eigentlich | |
| niemanden, der sich nicht engagiert hat und nicht dabei war“, sagt Dürr. | |
| Unter dem Motto „Gesundheit ist keine Ware“ wurde ein Volksentscheid | |
| organisiert. | |
| Im Dezember 2003 verkündete der Senat den Sieger der Ausschreibung – | |
| Asklepios, ein bis dato eher auf kleine Landkliniken spezialisierter | |
| privater Klinikbetreiber aus Hessen. | |
| Zwei Monate später verkündeten die Hamburger Bürger, was sie davon hielten. | |
| Am 29. Februar 2004 gingen annähernd 800.000 Menschen an die Urnen, um über | |
| den mehrheitlichen Verkauf ihrer Krankenhäuser abzustimmen. 76,8 Prozent, | |
| fast 600.000 Menschen, waren dagegen. | |
| Die nunmehr allein regierende CDU um Ole von Beust aber nicht. Sie | |
| ignorierte die Entscheidung der Hamburger Bürger. | |
| Als auch das Hamburger Verfassungsgericht den Volksentscheid für nicht | |
| bindend erklärte, beschloss sie, die Krankenhäuser mehrheitlich an die | |
| Asklepios Kliniken GmbH zu verkaufen – Stichtag 1. 1. 2005. | |
| „Wir konnten es nicht fassen“, sagt Pfleger Dürr. Sofort seien Gerüchte | |
| rumgegangen. Asklepios eilte ein gewisser Ruf voraus. Verdienten die Leute | |
| bei Asklepios nicht 20 bis 30 Prozent weniger und hatten sie nicht weniger | |
| Urlaub? Mütter und Väter hätten die Sorge gehabt, nicht mehr Teilzeit | |
| arbeiten zu können, sagt Dürr. „Wir hatten aber einen guten Betriebsrat, | |
| der hat uns erst mal beruhigt. Die Ängste waren aber trotzdem da.“ | |
| Gesamtbetriebsrätin beim LBK war und ist auch jetzt bei Asklepios Katharina | |
| Ries-Heidtke. Sie sei erst mal „richtig krank geworden“, als sie erfuhr, | |
| dass all die Bemühungen umsonst waren, sagt sie. Über 30 Jahre ist die | |
| 58-Jährige nun bei LBK und Asklepios. Sie hat die Verhandlungen mit dem | |
| neuen Arbeitgeber maßgeblich mit geführt: „Wir konnten die Tarifverträge | |
| der Mitarbeiter auf hohem Niveau halten“, sagt die gelernte | |
| Krankenschwester. | |
| Verhindern konnte sie nicht, dass viele Service-, Reinigungs- und | |
| Hauswirtschaftskräfte in Tochterfirmen outgesourct wurden. Dort würden bis | |
| zu 50 Prozent mit befristeten Verträgen arbeiten. „Es gibt unternehmerische | |
| Entscheidungen, die kann man nicht verhindern“, sagt Ries-Heidtke. | |
| Mit der Entscheidung, ihre öffentlichen Krankenhäuser zu verkaufen, lag die | |
| Stadt Hamburg im Trend. Seit Anfang der 90er-Jahre trennten sich immer mehr | |
| Kommunen von ihren defizitären Krankenhäusern. Waren in Deutschland 1991 | |
| noch fast die Hälfte aller Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft und | |
| lediglich knapp 15 Prozent privatwirtschaftlich organisiert, sind | |
| mittlerweile über 30 Prozent der Krankenhäuser in privater Hand, und damit | |
| knapp mehr als in öffentlicher. Den größten Anteil stellen derzeit die | |
| sogenannten freigemeinnützigen, meist kirchlichen Träger, wenn auch mit | |
| abnehmender Tendenz. | |
| 1992 waren die Krankenhausbudgets mit dem Gesundheitsstrukturgesetz | |
| gedeckelt worden: Das Selbstkostenprinzip, nach dem ein Krankenhaus seine | |
| entstehenden Kosten ersetzt bekommt, wurde fallengelassen. So konnten | |
| Krankenhäuser erstmals Defizite oder aber auch Gewinne erwirtschaften. | |
| Hinzu kam ein schrittweiser Wechsel in der Art der Bezahlung - weg von | |
| krankenhausindividuellen Tagespauschalen, hin zu allgemeingültigen, sich an | |
| den durchschnittlichen Kosten aller Krankenhäuser orientierende | |
| Fallpauschalen. So sollten Liegezeiten reduziert und Betten abgebaut | |
| werden. Unwirtschaftlich arbeitende Krankenhäuser sollten zu | |
| wirtschaftlichem Handeln gezwungen werden. | |
| "Die Hamburger Krankenhäuser hatten die höchsten Preise, und damit auch | |
| große Probleme", sagt Heinz Lohmann, von 1992 bis zur Übergabe an Asklepios | |
| im Vorstand des LBK und seit 1997 dessen Sprecher. Er begann, den LBK mit | |
| den Programmen FIT 1, 2 und 3 auf die neuen Zeiten zu trimmen, wobei FIT | |
| für "Fortschritt, Innovation und Teamfähigkeit" stehen sollte. | |
| Am Ende des Prozesses sah Lohmann die betriebliche Seite des LBK saniert: | |
| "Es gab keine gravierende Probleme mehr", sagt er. Das Problem seien die | |
| Altersversorgungen der bereits ausgeschiedenen ehemaligen Mitarbeiter | |
| gewesen. Mit 35 Millionen jährlich hätten die "dramatische Auswirkungen auf | |
| das Ergebnis" gehabt. | |
| Wie fand er es denn, als die Stadt den von ihm sanierten LBK verkaufte? | |
| "Für den LBK war es eine gute Entscheidung", sagt Lohmann. Bei der Stadt | |
| sei die Haltung dagewesen, sich von einer Last zu trennen. "Dann ist es | |
| besser, sich einen Gesellschafter zu suchen, der mitmacht", so Lohmann, der | |
| mittlerweile als selbstständiger Berater tätig ist. | |
| Ob es letztendlich für die Stadt ein guter Deal war, da scheiden sich die | |
| Geister. Klar ist, dass sie eine Verantwortung weniger hat. | |
| Lohmann sieht auch für die Zukunft "gewaltige Veränderungen" auf die | |
| Krankenhäuser zukommen. Sie müssten noch produktiver werden. Es werde zu | |
| stärkerer Verdrängung und Konzentration kommen. Weitere Krankenhäuser | |
| würden sich vom Markt verabschieden. "Ein Gesellschafter, der ständig in | |
| der Öffentlichkeit steht, wird es da schwerer haben", sagt der ehemalige | |
| LBK-Sprecher. | |
| Wie diese Veränderungen für die Mitarbeiter aussehen können, hat Pfleger | |
| Dürr nach der Privatisierung erlebt. "In den letzten Jahren ist es sehr | |
| massiv geworden", sagt er. Die Belastung sei deutlich höher geworden. | |
| Teilweise würden zwei Pfleger 30 Patienten versorgen. "Manchmal arbeite ich | |
| als einziger Fester auf der Intensivstation", sagt Dürr, "und habe vier | |
| Zeitarbeiter neben mir, wovon zwei ganz neu sind." Bei dieser | |
| Arbeitsverdichtung würden sie es kaum schaffen, Pausen zu machen, obwohl | |
| sie dazu angehalten werden. | |
| Leute die sich auflehnen oder für bessere Bedingungen stark machen würden, | |
| seien mit einem Mal von heute auf morgen weg gewesen. "Wahrscheinlich in | |
| irgendein Archiv versetzt", vermutet Dürr. | |
| Einer Kollegin, die auf einer Versammlung den Personalmangel ansprach und | |
| in diesem Zusammenhang auf die Patientensicherheit verwies, habe einer aus | |
| dem Management geantwortet: "Machen sie sich keine Sorgen, wir sind gut | |
| versichert." | |
| Tatsächlich zeigen Studien, dass private Krankenhausbetreiber mit | |
| wesentlich geringeren Personalkosten auskommen als öffentliche. Dürr findet | |
| besonders das Outsourcing von Arbeitsplätzen "schlimm". Da seien Leute aus | |
| dem Reinigungs- oder Hauswirtschaftsdienst, die 30 Jahre und mehr im | |
| Krankenhaus gearbeitet hätten, einfach ausgelagert worden und würden nun | |
| wesentlich weniger verdienen. | |
| Viele ehemalige LBK-Mitarbeiter wollten das nicht mitmachen, und nahmen das | |
| Rückkehrrecht in ein städtisches Arbeitsverhältnis in Anspruch. Das hatten | |
| die Gewerkschaften schon 1995 für den Fall einer Privatisierung | |
| ausgehandelt, als der LBK rechtlich selbstständig wurde. Laut Asklepios | |
| sollen es über 1.600 Arbeitnehmer sein, die zur Stadt zurückgekehrt sind. | |
| Heute würde in den Krankenhäusern alles getan, um Geld zu machen, sagt | |
| Dürr. "Wo man früher gesagt hat: ,Tut das not?', wird heute versucht, alles | |
| zu operieren." Die steigenden Zahlen an Hüft- oder Bandscheibenoperationen | |
| sind ein Beispiel, das für diese Beobachtung spricht. So viel Eifer wird | |
| belohnt: Die Asklepios-Kliniken Hamburg erwirtschaften Jahr für Jahr | |
| Gewinne, Tendenz steigend. | |
| Schon machen sich wieder einige wie die Hamburger Linke auf und wollen den | |
| nächsten Volksentscheid ins Leben rufen. Diesmal für den Rückkauf der | |
| Krankenhäuser. Und dieser Ausgang wäre dann auch wirklich bindend - 2008 | |
| hat die Bürgerschaft die Landesverfassung in dieser Hinsicht geändert. | |
| Asklepios-Betriebsrätin Ries-Heidtke hält das Vorhaben dennoch für | |
| "vergeudete Energie". Es sei faktisch nicht durchführbar, denn "Asklepios | |
| wird sich darauf nie einlassen". | |
| Das klingt nicht nach einem späten Sieg der Privatisierungsgegner. | |
| * Name geändert | |
| 28 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Niels Holsten | |
| ## TAGS | |
| Asklepios | |
| Hamburg | |
| Klinik | |
| Hamburg | |
| Anthroposophie | |
| Universitätsklinikum | |
| Geburt | |
| Geburt | |
| Patientensicherheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klinik-Privatisierung in Hamburg: Hamburg übern Tisch gezogen | |
| Der „Spiegel“ deckte Details zum Verkauf der städtischen Kliniken Hamburg | |
| auf. Der Krankenhausverband verlangt, den Handel rechtlich zu prüfen. | |
| Aus für anthroposophische Station: Schluss mit Heil-Eurhythmie | |
| Die einzige Station für anthroposophische Medizin im Norden soll in eine | |
| Ambulanz umgewandelt werden. Der Freundeskreis will das Angebot retten. | |
| Warnstreiks im UKE: Zweiklassengesellschaft im Klinikum | |
| Das UKE weigert sich, für Angestellte ausgelagerter Tochtergesellschaften | |
| Tarifverträge abzuschließen. Am Montag kam es deshalb zu Warnstreiks. | |
| Ermittlungen beginnen: Anzeige gegen Asklepios | |
| Nachspiel zum Ende der Sylter Geburtsklinik: Aktivistin will Haftung des | |
| Betreibers prüfen lassen – zwei Kinder starben, eins erlitt während der | |
| Geburt Schäden. | |
| Prekäre Geburtshilfe: Kein Anspruch auf echte Sylter | |
| Seit Neujahr ist der einzige Kreißsaal auf der Insel geschlossen. | |
| Lokalpolitiker wollen nun die Wiedereröffnung rechtlich erzwingen- | |
| Strittige Zahlen: Von wegen wenig Kaiserschnitte | |
| In Hamburg soll die Kaiserschnittrate stärker als in anderen Ländern | |
| gesunken sein. Doch die Zahlen der Asklepios-Kliniken zeigen, dass ein | |
| Fehler vorliegen muss. | |
| Streikende Service-Leute: Zweiklassen-Gesellschaft | |
| Die Service-Mitarbeiter der Asklepios-Kliniken sind vom Tarifvertrag | |
| ausgenommen. Nun soll ein Haustarif prekäre Beschäftigungsverhältnisse | |
| verhindern | |
| Klinik macht Journalisten mundtot: Patientenzufriedenheit? Effizienz! | |
| Der Krankenhauskonzern Asklepios untersagt einer Göttinger Lokalzeitung, | |
| kritisch über Missstände in zwei Kliniken zu berichten. | |
| Personalnot in den Krankenhäusern: Hilferuf aus den Kliniken | |
| Ver.di-Klinik-Vertretungen aller Träger schließen sich zum Bündnis | |
| zusammen. Sie beklagen die Arbeitsverdichtung und schätzen, dass 4.200 | |
| Stellen fehlen | |
| Tarifkonflikt an der Nordseeklinik: Zuckerbrot und Peitsche | |
| An der Nordseeklinik auf Sylt lehnt es der Asklepios-Konzern ab, mit der | |
| Gewerkschaft zu verhandeln - selbst wenn das bedeutet, dass Patientenbetten | |
| leer stehen. | |
| Private Klinikbranche: Neue Jobs zu schlechteren Konditionen | |
| Der Helios-Konzern kündigt 1.000 Beschäftigten in Rehakliniken. Mitarbeiter | |
| von anderen Häusern, die vor der Übernahme stehen, dürften den Wink | |
| verstehen. | |
| Datenskandal in Hamburger Klinik: Patientendaten als Sperrmüll entsorgt | |
| Der Klinikkonzern Asklepios wirft sensible Krankenakten in den Müll. Die | |
| taz stellt die Akten sicher und informiert Datenschützer. Ermittelt wird | |
| gegen den Reporter. | |
| LBK-Privatisierung: Rückkehr auf Raten | |
| Rückkehr ehemaliger Mitarbeiter des Landesbetriebs Krankenhäuser kommt | |
| Hamburg teuer zu stehen. Noch immer warten 1.000 Rückkehrer auf reguläre | |
| Jobs. | |
| Krankenhäuser: Bestenliste ist umstritten | |
| Damit die Wahl des Krankenhauses kein Glücksspiel ist, bietet die TK einen | |
| Klinikführer an. Einige große Häuser, wie die Charité, fehlen. |