# taz.de -- Streit um Geburtshilfe auf den Inseln: Keine Lösung für Sylter Ba… | |
> Vorige Woche haben Asklepios und die Kieler Landesregierung | |
> vorgeschlagen, Chirurgen sollten Kaiserschnitte machen. Weder sie noch | |
> die Hebammen stimmten zu. | |
Bild: So könnte die Geburtshilfe auf Sylt erhalten werden: Notfall-Option Kais… | |
BREMEN taz | Ende Januar soll das erste Kind von Nadja Vollmeyer auf die | |
Welt kommen. Die Frage ist nur, wo. Denn auf Sylt, wo die 36-Jährige lebt, | |
wird es dann wohl keine Geburtshilfe mehr geben. Damit wird in | |
Norddeutschland eine weitere Geburtsabteilung geschlossen, weil sich diese | |
für Kliniken erst rechnen, wenn mindestens 600 Frauen im Jahr Kinder | |
gebären. Auf Sylt waren es in den vergangenen vier Jahren nur je 80 bis 100 | |
Geburten. | |
Dabei hatten am Dienstag der Betreiber der Sylter Nordseeklinik, der | |
Hamburger Asklepios-Konzern, und das Gesundheitsministerium | |
Schleswig-Holstein eine Sylter Lösung verkündet: Hebammen sollen in der | |
Klinik ein Geburtshaus betreiben, allerdings in Zukunft ohne die | |
Sicherheit, jederzeit einen Gynäkologen herbeirufen zu können. | |
In der Woche zuvor hatte der Asklepios-Konzern mitgeteilt, dass er ab 2014 | |
keine Haftpflichtversicherung für die niedergelassenen Gynäkologen mehr | |
zahlen werde, die bisher als Belegärzte den Hebammen zur Seite standen. | |
Rund 40.000 Euro kostet diese Haftpflicht jedes Jahr. | |
Um alleine diese Summe herein zu bekommen, müsste ein Belegarzt oder eine | |
-ärztin mindestens 200 Geburten im Jahr abrechnen können, rechnet der | |
Berufsverband der Frauenärzte vor. Und dies in der Regel neben seiner | |
normalen Praxistätigkeit. Immer mehr Belegabteilungen werden deswegen | |
aufgegeben. Die Schwangeren müssen zur Geburt in Niedersachsen bis zu 30 | |
Kilometer in die nächste Klinik fahren, in Schleswig-Holstein auch mal 50 | |
Kilometer. | |
Auf Sylt funktioniert das nicht. Auf dem Hindenburgdamm, der die Insel mit | |
dem Festland verbindet, fahren keine Krankenwagen, sondern Züge nach | |
Fahrplan und die auch nicht die ganze Nacht. Deshalb sollen für Notfälle | |
die Chirurgen der Klinik so geschult werden, dass sie mit einem | |
Kaiserschnitt das Kind holen können. | |
Doch ob die Chirurgen der Nordseeklinik dazu bereit sind, wird sich erst am | |
morgigen Dienstag klären, wenn diese mit der Klinik-Leitung sprechen. An | |
dem Gespräch sollen auch die drei Insel-Hebammen teilnehmen, für die der | |
Konzern die Haftpflicht in Höhe von 4.500 Euro übernehmen will. Nur eine | |
von ihnen begleitet auf Sylt Geburten, als Beleghebamme in der Klinik. Sie | |
sagte der taz am Freitag, dass sie sich das Arbeiten ohne einen ärztlichen | |
Geburtshelfer nicht vorstellen könne. Eine ihrer Kolleginnen hatte sich | |
zuvor ähnlich im NDR geäußert. | |
Weil das Gespräch noch bevor steht, bittet die 42-Jährige darum, ihren | |
Namen nicht zu nennen. „Ich kann meine Arbeit so nicht verantworten“, sagt | |
sie. „Es geht ja nicht darum, dass jemand mal eben einen Bauch aufschneidet | |
und wieder zunäht.“ Sie frage sich, wer beurteilen soll, wann ein | |
Kaiserschnitt gemacht wird. In der Geburtshilfe gebe es viele Situationen, | |
die weder „Fisch noch Fleisch“ seien, wie sie es ausdrückt. „Es reicht | |
nicht, auf die Herztöne zu gucken, es geht um die Gebärende, wie es der | |
geht, wie man sie einschätzt.“ | |
Richtig wütend ist die Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in | |
Schleswig-Holstein, Doris Scharrel. „Das ist absolut hirnrissig“, sagt sie, | |
„es kann nicht angehen, dass das Leute ohne Fachkompetenz machen.“ Denn | |
schließlich gehe es nicht nur um die wenigen Notfälle, sondern um die | |
Komplikationen, die unerwartet auch bei normalen Geburten auftreten können, | |
wie Blutungen und eine Plazenta, die sich nicht lösen will. „Jede | |
verantwortungsbewusste Hebamme holt in einer solchen Situation einen Arzt | |
hinzu.“ | |
Geburtshäuser an sich hält sie nicht für problematisch, aber es müsse eben | |
eine Klinik in der Nähe sein. Wenn nicht, müsse man die Geburtshilfe auf | |
Sylt ganz aufgeben. Ohnehin ist es aus ihrer Sicht besser, längere | |
Wegstrecken in Kauf zu nehmen als kleine Abteilungen zu betreiben, in denen | |
weniger Erfahrungen mit komplizierten Geburten gemacht werden können. | |
Viele Schwangere auf Westerland sehen das anders. „Ich habe Angst davor, | |
zwei, drei Wochen vor dem Termin aufs Festland zu gehen und dann alleine in | |
der Fremde auf die Geburt zu warten, ohne zu wissen, ob mein Partner es bis | |
zur Geburt schafft“, sagt Nadja Vollmeyer. Auch der Vorschlag, fachfremde | |
Chirurgen könnten sie im Notfall operieren, beruhigt sie nicht. Genauso | |
geht es Christine Lunk, die ebenfalls im Januar ihr Kind erwartet. Die | |
35-Jährige hat den Eindruck, dass hier eine Lösung vorgeschlagen wurde, von | |
der der Betreiber weiß, dass sie nicht funktionieren kann. | |
Der Asklepios-Sprecher Franz Jürgen Schell sagt, es gebe keine andere | |
Lösung. Sein Konzern sei der Ansicht, dass er die Haftpflicht nicht zahlen | |
dürfe. Er erklärt, dass Gynäkologen aus anderen Asklepios-Kliniken | |
„telemedizinisch“ entscheiden sollen, ob ein Kaiserschnitt angezeigt sei. | |
Das bedeute den Einsatz von digitaler Bildübertragung. Ob dies rechtlich | |
möglich sei, müsse geprüft werden. | |
Der Präsident des Berufsverbandes der Chirurgen, Hans-Peter Bruch, findet | |
den Vorschlag nicht abwegig. „Wir werden in Zukunft in ländlichen Regionen | |
häufiger solche Wege gehen müssen“, sagt er. Allerdings müssten zwei | |
Bedingungen erfüllt sein: Zum einen dürften die Chirurgen nur im äußersten | |
Notfall eingesetzt werden. Zum anderen müssten diese ständig Kaiserschnitte | |
trainieren. | |
Das Gesundheitsministerium in Kiel erwartet jetzt von Asklepios ein | |
Konzept, wie die aufgeworfenen Fragen beantwortet werden. Grundsätzlich | |
habe man aber keine Bedenken, sagt der Ministeriums-Sprecher Christian | |
Kohl. Sollte das Konzept scheitern, sei es zumutbar, dass die Schwangeren | |
zur Geburt aufs Festland gehen. | |
18 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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