# taz.de -- Gentrifizierung auf Sylt: In den Keller oder aufs Festland | |
> Insulaner ziehen weg, Zugereiste stellen mancherorts die Mehrzahl der | |
> Einwohner – die hohen Wohnungspreise sind eine Gefahr für die | |
> Ferieninsel. | |
Bild: Erlebt Höhenflüge auch bei den Mietpreisen: die Insel Sylt. | |
SYLT taz | Jeden Morgen drängen sich die PendlerInnen auf dem Bahnsteig des | |
Örtchens Niebüll in Nordfriesland: rund 3.000 Menschen fahren hier täglich | |
nach Sylt. Es herrscht praktisch Vollbeschäftigung auf der Urlaubsinsel, in | |
zahlreichen Branchen werden Fachkräfte gesucht. Doch auf der Insel leben | |
kann kaum jemand: Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Selbst Petra Reiber, | |
Noch-Bürgermeisterin der Gemeinde Sylt, sagte in einem Interview, als | |
künftige Ruheständlerin könne sie sich ein Leben auf Sylt „nicht mehr | |
leisten“. Das nahm sie später zurück, aber sie blieb dabei, dass die hohen | |
Preise für Wohnraum die zurzeit größte Gefahr für die Insel darstellen. | |
Vor allem in jüngster Zeit sei die Steigerung „atemberaubend“, heißt es im | |
„Immobilienatlas“ der Landesbausparkassen, die aus Wohnungs- und | |
Häuseranzeigen die durchschnittlichen Immobilienpreise errechnen. Die haben | |
auf Sylt astronomische Höhen erreicht. Eine Doppelhaushälfte für 3,6 | |
Millionen Euro in Kampen, eine Ferienwohnung in Westerland für eine knappe | |
Million – im Schnitt rund 9.500 Euro pro Quadratmeter verlangen die Makler | |
bei Häusern, der Preis für Wohnungen liegt im Insel-Schnitt bei 6.114 Euro. | |
Knapp doppelt so hoch sind die Preise im mondänen Kampen, wo Häuser 17.830 | |
Euro und Wohnungen 11.011 Euro kosten – pro Quadratmeter. Dagegen lassen | |
sich in Westerland geradezu Schnäppchen machen, der Quadratmeter Wohnfläche | |
kostet hier um 5.650 Euro. Viele Objekte werden gar nicht erst öffentlich | |
angeboten, sondern von den Maklern an Interessenten von auswärts vergeben, | |
die auf den Wartelisten stehen. | |
Schon heute gehören viele der schmucken Reetdachhäuser den Zugereisten, und | |
viele von ihnen sind nur einige Wochen im Jahr da: Sylt verliert an | |
„Hauptwohnsitzbevölkerung“, so steht es in einem Gutachten, das das | |
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) für die Gemeinde Sylt | |
angefertigt hat. Die Forscher kommen zu Ergebnissen, die ein Alarmsignal | |
für die Lokalpolitik sind: Viele derer mit Hauptwohnsitz wollen wegziehen. | |
Junge Leute bleiben mangels bezahlbarer Alternativen bei den Eltern wohnen, | |
statt eine eigene Familie zu gründen. Und einige entdecken die | |
Möglichkeiten im eigenen Haus, wie das Sylter Bauamt süffisant schildert: | |
Keller und Böden würden als „Wohnen auf vier Ebenen“ beworben. | |
Da Junge weg- und Ältere zuziehen, überaltert die Insel – schon heute sind | |
nur 14 Prozent der „Hauptwohnsitzbewohner“ unter 20 Jahren alt, dafür ist | |
ein Drittel über 60. In Kampen geht in zehn Jahren jeder zweite auf das | |
Rentenalter zu. | |
Wer hat Schuld an der Entwicklung? Bei einer Podiumsdebatte vor der | |
Bürgermeisterwahl fiel das Stichwort von der „kriminellen Immobilienmafia“, | |
gegen die Politik und Verwaltung etwas tun müssten. Auch Gabriele Pauli, | |
die bekannteste Bewerberin um den Chefposten der aus mehreren Orten | |
bestehenden Gemeinde Sylt, sprach in einem Interview mit der taz über | |
„Immobilienhaie“ und kritisierte Fehler der Vergangenheit: „Die Gestaltung | |
der Innenstadt wurde den Interessen einzelner Bauherren geopfert.“ | |
Pauli, die nach dem ersten Wahlgang gute Chancen auf den Rathaus-Job hat, | |
will mehr sozialen Wohnraum schaffen. Und es gibt bereits ein Konzept der | |
Gemeinde, das gerade zwischen Politik und Verwaltung abgestimmt wird. So | |
schlägt das IfS-Gutachten vor, Hunderte geförderte Wohnungen zu bauen. Sie | |
sollen nicht nur für Geringverdiener, sondern auch für Leute mit mittlerem | |
Einkommen offen stehen. Zielgruppen sind junge Paare und Familien sowie | |
Fachkräfte in Mangelberufen. Als Träger der Wohnungen kommen auch | |
Unternehmen infrage, die Wohnraum für ihre Beschäftigten brauchen. | |
Bei der Podiumsdiskussion wies Bernd Reinartz, ein weiterer | |
Bürgermeister-Kandidat, auf ein Grundproblem hin: Die Wohnungs-Spekulanten | |
bekommen Hilfe. Denn „es sind die Sylter, die verkaufen“. Sein Rat: Jeder | |
solle „überlegen, ob man immer zum Höchstpreis verkaufen muss oder nicht | |
auch mal über Alternativen wie ein Mehrgenerationen-Haus nachdenkt“. | |
Reinartz schied im ersten Wahlgang aus. | |
Der Sylter Immobilienboom wirkt sich inzwischen auf dem Festland aus: Auch | |
in Niebüll steigen die Wohnungspreise. | |
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19 Dec 2014 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geisslinger | |
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