# taz.de -- Fotograf Hans Jessel über seine Sylt-Bilder: „Das Schöne muss i… | |
> Sylt ist im Sommer überfüllt. Naturbelassene Landschaften findet man nur, | |
> wenn man morgens um fünf los läuft, sagt der Sylter Fotograf Hans Jessel. | |
Bild: Rohr zur Sandvorspülung in Westerland auf Sylt, damit der weite Strand e… | |
taz: Herr Jessel, Sie haben bislang vor allem die schöne Landschaft Sylts | |
für Kalender und Fotobände porträtiert. Nun zeigen Sie in einer Ausstellung | |
die negativen Folgen des Tourismus. Spätes Erwachen? | |
Hans Jessel: Sylt hat ein grandiose Landschaft. Wenn man Landschaft | |
schützen will, muss man den Menschen auch die Schönheit dieser Landschaft | |
vorführen. Sie dafür begeistern, berühren. Aber mit meinen "schönen" | |
Bildern habe ich definitiv auch immer mehr Menschen auf die Insel gezogen. | |
Sie meinen, Ihre Bilder waren Werbematerial für den massenhaften Zustrom | |
von Touristen auf die Insel? | |
Klar, weil sie denken, wie toll unberührt es hier ist. Aber das entspricht | |
mittlerweile überhaupt nicht mehr der Realität. | |
Nein? Sind Ihre schönen Landschaftsbilder also Fake? | |
Sie zeigen etwas, was man nur findet, wenn man wie ich morgens um fünf Uhr | |
los läuft, dorthin wo noch kein Mensch ist. Aber die Realität sieht | |
tatsächlich anders aus: Wenn sommertags gut 150.000 Gäste gleichzeitig auf | |
der Insel sind, und wir eine Bevölkerungskonzentration wie in einer | |
Großstadt haben, dann ist das ein Fake. Ich wurde immer skeptischer. | |
Nun zeigen Sie die Brüche. Wie wird das vom Publikum aufgenommen? | |
Ich bin überrascht, wie reflektiert es aufgenommen wird - und wie | |
aufgeklärt das Gros unserer Gäste ist. Sie wissen, dass auf Sylt vieles | |
inzwischen großstädtisch ist, vor allem zu Saisonzeiten. | |
Naturlandschaft war gestern? | |
Die Landschaft auf Sylt ist komplett vom Menschen beeinflusst, auch wenn | |
man sich die einzelnen Landschaften anschaut - wir haben ja Strand, Dünen, | |
Heide. Da ist beispielsweise kein Naturstrand mehr durch die | |
Sandvorspülungen. Die Dünen sind schon in Kriegszeiten mit Bunkern | |
gepflastert worden und durch Pflanzungen festgelegt. Die | |
Marschlandschaften, allein ein Drittel der Inselfläche, sind durch die | |
Bedeichungen komplett aus ihrem Naturraum, dem Wattenmeer, entlassen | |
worden. | |
Aber trotzdem wird immer noch mit Naturlandschaft geworben? | |
Ja, es ist frappierend, wie das immer noch funktioniert. Viele denken auch, | |
dass alle, die auf der Insel wohnen, Millionäre sind. Dabei ist die | |
Inselflucht ein Thema, das den Einheimischen auf den Nägeln brennt. Meine | |
kritischen Bilder kommen deshalb besonders bei diesen gut an. Weil wir | |
Einheimischen die Faxen dicke haben. Wenn im Sommer auf einen Einwohner | |
sieben bis acht Touristen kommen, das sprengt einfach alle Grenzen. Die | |
Leute sind genervt. | |
Und verkaufen ihre Häuser? | |
Selten freiwillig. Es ist immer die gleiche Situation: Die Eltern sterben, | |
das Haus wird vererbt, und es geht sofort um Millionenbeträge. Will dann | |
nur ein Erbe ausbezahlt werden, ist die Sache erledigt. In meinem | |
Freundeskreis verlässt einer nach dem anderen die Insel. Die bekommen es | |
nicht geregelt. Die Häuser gehen über den Jordan. | |
Haben Sie eine Mission für Sylt? | |
Ich möchte zukünftig ein ehrlicheres Bild der Insel zeigen, welches die | |
Missstände nicht ausklammert. | |
Was müsste sich ändern? | |
Es müssen Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit gegeben werden: kein | |
weiterer Ausbau der Verkehrswege, gegensteuern, nicht noch mehr Asphalt in | |
die Landschaft schütten. Zum Beispiel der Flughafen: Er hat nicht - wie | |
manche versprachen - den Verkehrsstrom der Autos beruhigt, sondern er hat | |
das Geschäft von Autoverleihen beflügelt. Es geht nur um die Bequemlichkeit | |
der Gäste. | |
Sylt gilt als snobistisch. Ist der Preis kein Regulativ? | |
Das ist ein Vorurteil, dass Sylt so teuer ist. Man kann hier für 30 Euro | |
die Nacht wohnen, es gibt Aldi und Lidl. Das Angebot für Betuchte ist ein | |
kleiner Prozentsatz, aber ein werbewirksamer. | |
Wird bei den politisch Verantwortlichen nie über Nachhaltigkeit diskutiert? | |
Es ist ein typisches Zeichen der Diaspora, dass so etwas noch nicht | |
angekommen ist. Ich spreche vielen unserer Freizeitpolitiker, die auf der | |
Insel das Sagen haben, einfach den Background ab, die Auswirkungen ihrer | |
Entscheidungen zu überblicken. | |
Was fotografiert sich leichter: Brüche oder schöne Landschaft? | |
Ersteres! Das Schöne muss ich immer angestrengter suchen. Ich bewundere | |
mich gelegentlich selber dafür, wie ich das jahrzehntelang ausgehalten | |
habe. | |
11 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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