# taz.de -- Genderdebatte über Diskriminierung: Der Geschlechterwettkampf | |
> Laut der olympischen Charta soll es keine Diskriminierung zwischen | |
> Männern und Frauen geben. Die Praxis sieht anders aus. | |
Bild: Synchronschwimmer: Niklas Stoepel aus Bochum schwimmt in dem von Frauen d… | |
Graziös und kraftvoll stößt die Skispringerin sich von der Schanze ab. Es | |
ist eine der höchsten der Welt. Noch nie ist sie so weit geflogen. Unten | |
wird sie freudig von ihren männlichen Teamkollegen empfangen. Die Zuschauer | |
jubeln vor Begeisterung. Lange hat sie auf diesen Moment gewartet. Bei den | |
Olympischen Winterspielen 2022 treten Frauen und Männer zum ersten Mal | |
gemeinsam auf der Großschanze an. Früher sah das noch anders aus. | |
Sport macht Frauen unfruchtbar. Das diagnostizierten Ärzte bis weit ins 19. | |
Jahrhundert. Frauen rannten nicht, Frauen sprangen nicht – sie trugen | |
Stützkorsetts und bewahrten Haltung. Ihr Einzug in den Sport und in die | |
internationalen Wettbewerbe ist ein Kampf, der bis heute nicht endgültig | |
ausgefochten ist. Immer noch gibt es sportliche Disziplinen, in denen es | |
für eines der beiden Geschlechter keine Wettkämpfe gibt. | |
So sind Männer in der rhythmischen Sportgymnastik unerwünscht, wie Frauen | |
im Vierer-Bob. Dabei wird oft biologisch argumentiert: Mangelnde | |
Körpergröße oder Beweglichkeit, zu hohes oder zu niedriges Gewicht. Die | |
Synchronschwimmerin Elisabeth Schönfeldt äußerte 2012 gegenüber Zeit | |
Online, dass Männer aufgrund eines unvorteilhaften Körperschwerpunkts ihre | |
Beine nicht über Wasser halten könnten. Für Wettkämpfe seien sie | |
ungeeignet. | |
Niklas Stoepel aus Bochum schwimmt in dem von Frauen dominierten Sport. | |
„Durch seine Kraft hat er bei Sprüngen einen Vorteil“, erklärt Anna-Julia | |
Meyer vom Hamburger Schwimmverband und führt weiter aus: „Um einen fairen | |
Wettkampf zu ermöglichen, setzt er bei bestimmten Figuren aus.“ | |
## Zwischen Kraft und Grazie | |
Doch Stoepel ist ein Einzelfall. „Der Deutsche Schwimm-Verband möchte die | |
Disziplin, der Ästhetik wegen, als reinen Frauensport erhalten. Männer | |
gelten als weniger elegant“, sagt Meyer. Es würde wohl zu schwul wirken. | |
Wer sich als Mann für Synchronschwimmen begeistert, muss mit großem | |
Widerstand rechen. Meyer schlägt andere Choreografien für Männer vor. „Mehr | |
auf Kraft und Dynamik und weniger auf Grazie setzen“, sagt sie. | |
In der rhythmischen Sportgymnastik gibt es zum Beispiel solche Konzepte für | |
Männer bereits – allerdings nur in Asien. Dabei liegt der Fokus vermehrt | |
auf turnerischen und akrobatischen Elementen. Das Männer nicht die gleichen | |
Figuren wie Frauen ausführen, hat nicht nur ästhetische Gründe. „Das Hormon | |
Testosteron wirkt sich negativ auf die Dehnbarkeit von Bändern und Sehnen | |
aus“, erklärt der Sportmediziner Prof. Dr. Klaus Völker. | |
Häufig sind medizinische Argumentationen fadenscheinig. Noch in den | |
neunziger Jahren war die Auffassung, dass Skispringen negative Auswirkungen | |
auf die weibliche Wirbelsäule oder die Gebärmutter hat, bei Funktionären | |
des Sports verbreitet. 2014 ist der Skisprung der Frauen erstmals | |
olympisch. Die Öffnung des Sports erfolgt nur langsam, und selbst in | |
Sotschi trauen die Verantwortlichen den Athletinnen die Großschanze nicht | |
zu und lassen sie von der Normalschanze springen. | |
Ähnliche Bevormundungen gibt es auch im Bobsport. Wettkämpfe für Frauen | |
werden nur im Zweier-Bob ausgetragen. Die gleichen Einschränkungen gelten | |
sonst nur für Jugendliche. Der Vierer-Bob sei mit 370 kg Gewicht zu schwer | |
für die Fahrerinnen und damit eine Gefahr für ihre Gesundheit. „Die | |
zierlichen Frauen muss man ja nicht mit dem Vierer kaputtmachen“, sagt ein | |
Vertreter des sächsischen Bob- und Rennrodelverbandes. Die Damen treten | |
seit 1999 bei Winterspielen im Zweier-Bob an. „Das muss ja erst mal | |
reichen“, so der Funktionär weiter. | |
## „Schwulenrodeln“ | |
Solche Vorurteile widersprechen der Charta des Internationalen Olympischen | |
Komitees (IOC), die jedem Menschen die Möglichkeit zur Ausübung von Sport | |
ohne Diskriminierung jeglicher Art einräumt. Doch sie tauchen immer wieder | |
auf. Die Rennrodel-Disziplin Doppelsitzer, bei der sich der Pilot in den | |
Schoß seines Mitfahrers legt, wird in Sportlerkreisen auch als | |
„Schwulenrodeln“ abgetan. | |
Bei den Frauen gibt es die Disziplin nicht. „Doppelfahren ist Männersache.“ | |
meint Bundestrainer Norbert Loch. Im Deutschen Haus in Krasnaja Poljana | |
erntet die Frage nach einem Mixed-Doppel, mit Frau und Mann auf einem | |
Schlitten, nur schallendes Gelächter. | |
Generell ziehen die Frauen in der Konkurrenz um finanzielle Förderung meist | |
den Kürzeren. Nach dem Motto „höher, schneller, weiter“ wird dem | |
Männersport ein höherer Reiz für das Publikum und damit eine höhere | |
Wirtschaftlichkeit nachgesagt. | |
Dabei wäre eine Gleichstellung im Sport ein wichtiges Signal für alle | |
anderen gesellschaftlichen Bereiche. Die Sportsoziologin Ilse Hartmann-Tews | |
sagt: „Es gibt dort die Möglichkeit spielerisch wichtige Kompetenzen, wie | |
Durchsetzungsvermögen oder Fairness, zu erlernen.“ | |
Bis also Frauen und Männer gemeinsam von der Skisprungschanze ins Tal | |
fliegen, sie gleichberechtigt beim Bob an den Start gehen und synchron aus | |
dem Wasser tauchen dürfen, bleibt das IOC hinter seinen eigenen Standards | |
gegen Diskriminierung im Sport zurück. | |
22 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schmaltz | |
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