# taz.de -- Vor den Olympischen Spielen in Rio: Krisen, Proteste und so gar kei… | |
> Rio de Janeiro ist pleite, die Stimmung ist miserabel, von Euphorie keine | |
> Spur. Die Brasilianer sind mit diversen Krisen beschäftigt. | |
Bild: Militärisch-medizinisches Personal übt einen Notfall | |
RIO DE JANEIRO taz | „Die beiden Hubschrauber dort drüben? Die kreisen hier | |
schon die ganze Woche, wohl wegen dieser Olympiade“, sagt eine Frau an | |
einer Bushaltestelle im Rio de Janeiro. „Stimmt, das ist ja bald. Wird ein | |
einziges Chaos werden“, stimmt ihre Begleiterin zu und schüttelt heftig den | |
Kopf: „Diese Stadt ist einfach nicht für solch eine Veranstaltung gemacht. | |
Alles wird drunter und drüber gehen, der Verkehr stillstehen, und die | |
Polizei hat ja jetzt schon nichts mehr unter Kontrolle!“ | |
Wären nicht die vielen Plakatwände, Werbetafeln allerorten und Spots im | |
Fernsehen, würde vielen in Rio kaum bewusst sein, dass am 5. August hier | |
die Olympischen Spiele beginnen. Dass das ganze Stadtgebiet mit | |
Verkehrsbaustellen gespickt ist und überall neue Gebäude entstehen, ist | |
schon Routine, die lange vor der Fußball-WM 2014 begann. Es herrscht | |
Ermüdung, Katerstimmung. | |
Die Brasilianer sind mit anderen Dingen beschäftigt: Mit der | |
Wirtschaftskrise, die das BIP seit zwei Jahren deutlich schrumpfen ließ und | |
die Arbeitslosigkeit verdoppelt hat. Und mit der politischen Krise: Die | |
Präsidentin Dilma Rousseff ist aus fadenscheinigen Gründen vorübergehend | |
abgesetzt, und ihr bisheriger Vize führt eine Übergangsregierung, die in | |
Windeseile einen radikalen Rechtsruck durchboxt. Ein riesiger | |
Korruptionsskandal, der Spitzenpolitiker aller Parteien ins Gefängnis | |
bringen könnte, bestimmt die Schlagzeilen. Rousseff, Gewerkschaften und | |
soziale Bewegungen sprechen von einem Putsch. | |
Sicher ist nur, dass Interimspräsident Michel Temer die Spiele eröffnen | |
wird, aber Rousseff wird auch im Stadion sein. Sprechen wird wohl niemand | |
von beiden, denn Temer ist ähnlich unbeliebt wie Rousseff und würde | |
bestimmt gnadenlos ausgepfiffen werden. | |
## Mit Galgenhumor zum großen Fest | |
Olympische Stimmung in Rio und Brasilien – Fehlanzeige! Höchstens unter den | |
Sportlern, freiwilligen Helfern und Funktionären. Sogar Rios | |
Bürgermeister Eduardo Paes, der gebetsmühlenartig eine großartige, perfekt | |
organisierte Feier voraussagt, lässt erste Zweifel erkennen. Letzte Woche | |
sprach er von einer „vergebenen Chance“, da das Land gerade jetzt Krise und | |
Chaos durchmache. Ganz anders als beim Zuschlag in Jahr 2009, als die | |
Wirtschaft florierte und Brasilien weltweit als hoffnungsvoller Global | |
Player und aufstrebende Schwellenmacht gelobt wurde. | |
Die Stimmung in der Stadt ist indes schon so lange so schlecht, dass einige | |
inzwischen glauben, dass eine Art Galgenhumor dann doch ein grandioses Fest | |
bescheren wird. | |
Ende Juni musste der Bundesstaat Rio sogar den finanziellen Notstand | |
ausrufen. Angesichts leerer Kassen drohe ein „Chaos bei Sicherheit, im | |
Gesundheitsbereich und im Verkehr während der Spiele“, erklärte der | |
Gouverneur. Auch das wichtigste Verkehrsprojekt, die U-Bahn-Anbindung des | |
Olympia-Stadtteils Barra an das Zentrum, sei gefährdet. Alarmiert | |
bewilligte die Bundesregierung innerhalb weniger Tage eine Finanzspritze | |
von umgerechnet knapp einer Milliarde Euro. | |
## Zwangsferien für Schulen | |
Werbewirksam hatte die Polizei deutlich gemacht, dass der korrupte Moloch | |
Rio de Janeiro mehr Geld brauche. „Welcome to hell – Willkommen in der | |
Hölle“ stand auf Transparenten, mit denen Beamte und Feuerwehrleute an | |
einigen Tage die Einreisenden am internationalen Flughafen von Rio | |
begrüßten. | |
Da die Löhne seit Wochen nicht mehr gezahlt wurden, könne niemand die | |
Sicherheit von Sportlern und Publikum garantieren. Auch die Lehrer vieler | |
öffentlicher Schulen streiken. In Krankenhäusern werden Patienten | |
abgewiesen, weil es an Personal und Betten mangelt. | |
Obwohl Bürgermeister Paes, der Gouverneur und die Bundesregierung, die alle | |
der rechtsliberalen Regierungspartei PMDB angehören, sich die Schuld an den | |
Zuständen gegenseitig in die Schuhe schieben, zweifelt niemand daran, dass | |
das Sportspektakel mit einigen Improvisationen gut über die Bühne gebracht | |
wird. Zumal den Schulen Zwangsferien verordnet wurden, damit sich die Stadt | |
leert. „Doch danach ist ein Zusammenbruch sehr wahrscheinlich. Uns stehen | |
chaotische Zeiten bevor“, erklärt der Jurist Enrique Souza. | |
Die immensen Ausgaben – insgesamt sollen die Spiele rund 10 Milliarden Euro | |
kosten, wovon die öffentliche Hand weit über die Hälfte beisteuert – und | |
Missmanagement machen einen Bankrott unumgänglich. „Die Frage ist nur, ob | |
es vor oder nach den Paralympics passiert“, prophezeit Souza. | |
## Monat der Demonstrationen und Proteste | |
Vom 7. bis 18. September werden die Athletinnen und Athleten mit | |
Behinderung in Rio um Medaillen wetteifern. Doch die meisten politisch | |
Verantwortlichen denken nur bis zum 21. August, wenn die ersten Olympischen | |
Spiele in Südamerika vorüber und ein Großteil der internationalen Presse | |
abgereist sein werden. | |
Der August wird auch der Monat der Demonstrationen und Proteste werden. | |
Neue politische Plattformen wie „Frente Brasil Popular“ oder „Povo sem | |
Medo“ – Volk ohne Angst, die zahlreiche Bewegungen und linke Parteien | |
vereinen, werden die internationale Aufmerksamkeit für Aktionen gegen den | |
Staatsstreich nutzen. Gewerkschafter, Lehrer und viele öffentliche | |
Angestellte kündigten Demos gegen die Sparpolitik und den rechten Rollback | |
an. | |
Auch das olympiakritische „Comitê Popular“ plant Aktionen. Die ersten | |
fünf Augusttage wird es „Jogos da exclusão“ – Spiele der Exklusion – … | |
mit Mahnwache, Veranstaltungen und einer Großdemo zum Auftakt. Thema sind | |
Menschenrechtsverletzungen durch Megaevents – wie die Räumung Tausender | |
Familien und die Privatisierung öffentlicher Räume. | |
20 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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