Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Griechischer Sport vor Rio: Rudern gegen die Verhältnisse
> Marode Sportstätten, gestrichene Förderung, fehlende Jugend. Der Sport in
> Griechenland kämpft mit vielen Widrigkeiten.
Bild: Achter-Boot auf dem Olympiagelände in Schinias
Seit Anfang Mai trainiert Jannis Tsilis besonders intensiv. Immer wieder
steigt der 30-jährige Ruderer in das schmale Boot und rudert mit seinen
drei Mitstreitern Kilometer um Kilometer. „Nachgezählt habe ich die
Entfernungen nicht. Ich hoffe aber, es reicht“, erklärt der Athlet auf dem
Sportgelände Schinias, rund 50 Kilometer vor Athen.
Das Ruderzentrum in der Provinz Attika bietet ausgezeichnete
Trainingsbedingungen für die Sportler. Im Winter herrscht hier ein
stabiles, mildes Klima und im Frühsommer ist es noch nicht ganz so heiß.
Die Anlage wurde für die Olympischen Spiele 2004 in Athen gebaut. Das
Ruderzentrum ist in einem bemerkenswert guten Zustand und konnte sich als
eine der ganz wenigen olympischen Sportanlagen über die Krisenjahre retten.
Jannis Tsilis hat sich noch einmal für die Olympischen Spiele in
Rio/Brasilien qualifiziert. Die Teilnahme an den Wettkämpfen im Vierer ohne
Steuermann soll Höhepunkt und Abschluss seiner großen Ruderkarriere sein.
„Ich will eine Medaille gewinnen“, erklärt Tsilis selbstbewusst seinen
Plan. Bereits vor vier Jahren, bei den Spielen in London, stieg der Ruderer
für sein Land ins Boot und ruderte im Vierer ohne Steuermann über die
Ziellinie. Damals reichte es zu einem vierten Rang.
Insgesamt 88 Sportlerinnen und Sportler in elf Disziplinen hat das
Griechische Olympische Komitee (HOC) für die Spiele in Brasilien nominiert.
„In Anbetracht einer andauernden Wirtschaftskrise ist diese Zahl eher hoch
und vielversprechend“, sagt der HOC-Präsident, Spyros Kapralos.
## Ruder-Mekka Ioannina
Für das griechische Olympiateam sind auch sechs Ruderer nominiert: der
Vierer ohne Steuermann mit Jannis Tsilis an Bord sowie zwei Frauen für den
Zweier. All diese Athleten stammen, wie Jannis Tsilis, aus Ioannina oder
trainieren dort regelmäßig. Ioannina ist die Hauptstadt der Provinz Epirus,
hoch im Nordwesten des Landes gelegen, unweit der Staatsgrenze zu Albanien.
Die griechischen Olympioniken rudern für den Klub Ioannina NO. „Wir sind
die Hauptstadt des griechischen Rudersports, und das schon seit über
dreißig Jahren. Rudern hat bei uns eine sehr erfolgreiche Tradition“,
erklärt Tsilis stolz. Auch er selbst wurde schon als Kind von einem
Talentscout für diesen kräftezehrenden Sport entdeckt.
Seit dem Jahr 2000 rudert der kräftige Athlet ohne Unterbrechung in der
europäischen Spitzenklasse. Der städtische Angestellte gewann im Vierer mit
Steuermann bei der EM 2014 in Belgrad und der EM 2015 in Posen jeweils die
Silbermedaille. In diesem Jahr wurde Tsilis Europameisterschafts-Fünfter in
der Stadt Brandenburg und errang Rang sechs bei der Weltmeisterschaft in
Luzern.
Doch Ioannina, die stolze Ruderhochburg Griechenlands, geht der Nachwuchs
aus. „Wir werden immer weniger“, hat Tsilis beobachtet, wenn er über das
Trainingsgelände seines Vereins schaut. Früher ruderten auf dem großen See
mitten in der Stadt viele Kinder und Jugendliche – so wie er einst selbst.
Heute fehlt den meisten Jugendlichen der Ehrgeiz für den schweißtreibenden
Leistungssport.
## Die Krise des Sports
Die „Krisi“, die ökonomische Krise, hat auch den griechischen Nachwuchs-
und Hochleistungssport längst fest im Griff. „Wir waren schon immer eine
klassische Randsportart. Aber heute sind wir selbst das nicht mehr“, hat er
ausgemacht. Junge, talentierte Sportler gehen zum Studieren oder Arbeiten
ins Ausland. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit (bis 26 Jahre) von fast 60
Prozent lässt kaum eine andere Alternative zu.
Im Ausland aber verschwinden die Talente oft aus dem Fokus der griechischen
Trainer. Der „braindrain“, die massenhafte Abwanderung von jungen und zudem
sportlich ambitionierten Hellenen, hat im griechischen Spitzensport
nachhaltige Spuren hinterlassen. Und wer als junger Mensch in Griechenland
bleibt, den interessiert ausschließlich die Arbeitssuche. Leistungssport
ist eine ziemlich unattraktive Angelegenheit geworden.
Die Gründe für den tiefen Fall des griechischen Spitzensports sind
vielfältig. „Die wirtschaftliche Lage des Landes hat selbstverständlich
viele Bereiche belastet. Der Sport konnte dabei nicht die Ausnahme sein.
Doch haben wir uns stets bemüht, die Schwierigkeiten zu überwinden,
besonders was die Vorbereitung der Athleten für Rio angeht. Aber auch
bezüglich der Wartung der öffentlichen Sportanlagen. Nicht alle Probleme
sind gelöst, es ist uns jedoch gelungen, die Mehrheit davon zu bewältigen“,
erklärt der stellvertretende Minister für Sport, Stavros Kontonis,
gegenüber der taz.
Der 53-jährige Politiker und Jurist sitzt für die Syriza auf der
Regierungsbank im Parlament in Athen. Dabei müsste der linke Sportpolitiker
doch eigentlich viel besser wissen, wie es um das „Olympische Erbe“ der
Spiele von 2004 steht.
Die meisten der für die Athener Spiele mit viel Beton aus dem Boden
gestampften Sportanlagen verfallen. Der Staat kann sich die Kosten für die
Instandhaltung der sportlichen Infrastruktur bereits seit Jahren nicht mehr
leisten. Das marode Olympische Gelände (OAKA) in der Hauptstadt ist
Sinnbild dafür.
In der nichtolympischen Sportprovinzen wie in der Stadt Ioannina oder auf
den Inseln fernab von Athen sieht es oft sogar noch schlimmer aus. Der
Mittelzufluss für den Neubau von Sportanlagen ist mit dem Amtsantritt der
Syriza-Regierung vor 18 Monaten unter Ministerpräsident Alexis Tsipras fast
gänzlich versiegt.
## Keine Unterstützung mehr
Die staatlichen Subventionsbeiträge an das Nationale Griechische Olympische
Komitee schrumpften von einstmals 30 Millionen Euro (2005–2009) auf 8
Millionen (2009–2012) und schließlich auf null für den Zeitraum 2013 bis
2016. Mit diesem Geld wurden griechische Spitzensportler unterstützt, aber
auch versucht, die olympische Infrastruktur aus dem Jahre 2004 in Schuss zu
halten.
Der stellvertretende Sportminister Kontonis weiß um die Wichtigkeit der
Attraktivität von Sportstätten gerade für die griechische Jugend. „Sie ist
eine wichtige Motivation, damit sie sich überhaupt für den Sport
interessiert“, hat der linke Politiker ausgemacht. Doch die meisten
griechische Eltern raten ihren Kindern von einer Karriere im
Hochleistungssport ausdrücklich ab – und das nicht nur wegen der
augenscheinlich maroden Situation der Sportstätten.
So klagen nahezu alle olympischen Sportarten über Nachwuchsmangel. Und das
bereits seit rund sechs Jahren. Wenn überhaupt, dann strebt der talentierte
Nachwuchs eine Fußball- oder Basketballkarriere an. Denn damit lässt sich
auch in der Heimat mit Glück noch Geld verdienen. „Ich kann das gut
verstehen“, erklärt der Ruderer Tsilis.
Ein Blick auf den olympischen Medaillenspiegel demonstriert das griechische
Sportdilemma in den Zeiten der Krise. Bei den Spielen in Athen 2004
errangen die Griechen 16 Medaillen, in Peking vier Jahre später reichte es
nur noch zu vier (zweimal Silber, zweimal Bronze). In London 2012 wurde
dann der vorläufige Medaillentiefpunkt erreicht. Mit nur zwei
Bronzemedaillen im Gepäck kehrten die griechischen Sportler aus der
englischen Hauptstadt zurück.
Spätestens nach London hat auch der Leistungssport in Griechenland die
ökonomische Krise mit voller Wucht zu spüren bekommen. Den meisten
Spitzenathleten im blau-weißen Nationaltrikot wurden die Zuwendungen
gestrichen.
„Bis London hat jeder Top-Athlet rund 8.000 Euro jährlich als staatliche
Förderung erhalten“, erinnert sich der Ruderer Tsilis noch an die besseren
Zeiten. Dann war Schluss damit.
Schließlich gelang es dem Nationalen Olympischen Komitee Griechenlands
(HOC) vor zwei Jahren, die griechische Nationalbank als Sponsor für
Athleten mit echter Olympiaperspektive zu gewinnen. Immerhin, die
allergrößte ökonomische Not der Athleten hat das monetäre Engagement der
Bank ein wenig gelindert. „Wir haben ja seit London keine staatliche
Subvention mehr für die Vorbereitung erhalten“, klagt der Präsident des
HOC, Spyros Kapralos, im Gespräch.
Vor zwei Jahren legte das HOC deshalb das Programm „Adoptieren Sie einen
Sportler auf dem Weg nach Rio“ auf. Firmen, Banken und solvente
Privatpersonen wurden gebeten, Athleten zu sponsern. „Dadurch konnten 55
Sportler erfolgreich unterstützt werden“, erläutert der Sportfunktionär und
ehemalige Wasserballspieler Kapralos.
Dass die privatwirtschaftliche Alimentierung der griechischen Top-Athleten
von diesen positiv bewertet wurde, verwundert dann auch nicht angesichts
ihrer anhaltend miserablen Situation im Sportalltag wie im Beruf.
1 Aug 2016
## AUTOREN
Torsten Haselbauer
Kostas Kalfopoulos
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Krise in Griechenland
Rudern
Syriza
Schwerpunkt Krise in Griechenland
ILO
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Russland
IOC
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gipfel in Athen: Aufstand der Südländer
Alexis Tsipras plant eine „Achse des Südens“ gegen die EU-Sparpolitik. Auch
ein Gegenentwurf zur nationalen Politik der Osteuropäer soll her.
ILO-Bericht zu jungen Menschen weltweit: Jugendarbeitslosigkeit steigt wieder
Weltweit sind 13,2 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, heißt es im Bericht
der Arbeitsorganisation ILO. Nach Verbesserungen ist die Quote wieder
gestiegen.
Deutschland und Neuseeland siegen: Konkurrenzlos besessene Ruderer
Die Neuseeländer Eric Murray und Hamish Bond holen im Zweier wieder Gold.
Seit 2009 sind sie ungeschlagen. Den Doppelvierer beherrschen Deutsche.
Pro & Contra Russland bei Olympia: War die IOC-Entscheidung richtig?
Das russische Olympia-Team wird nicht komplett gesperrt. Entschied das IOC.
Ist das richtig so?
IOC-Entscheidung Russland und Olympia: Kein Komplett-Ausschluss in Rio
Das IOC gibt die endgültige Entscheidung an die internationalen
Sommersportverbände weiter. Die russischen Leichtathleten sind aber
trotzdem raus.
Vor den Olympischen Spielen in Rio: Krisen, Proteste und so gar kein Elan
Rio de Janeiro ist pleite, die Stimmung ist miserabel, von Euphorie keine
Spur. Die Brasilianer sind mit diversen Krisen beschäftigt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.