| # taz.de -- Pressefreiheit in Russland: Vom Netz genommen | |
| > Kremlkritische Sender werden diskreditiert, auch im Internet. Nach den | |
| > Olympiatagen könnte der Kurs der Gleichschaltung noch verschärft werden. | |
| Bild: „Wir sind uns sicher, dass die Anbieter uns nicht freiwillig abschalten… | |
| MOSKAU taz | Ein starkes Signal: Noch im Trubel der Olympischen Spiele | |
| zeichnete Präsident Wladimir Putin einen treuen Gefolgsmann aus und verlieh | |
| ihm einen Orden für Verdienste am Vaterland vierter Klasse. Gewürdigt wurde | |
| [1][Dmitri Kiseljow], erst im Dezember zum Chef der neuen | |
| Propagandamaschine „Russland heute“ ernannt worden. | |
| Der TV-Moderator ist Russlands heimlicher Propagandaminister, der im | |
| Staatsfernsehen sonntags neue Feinde sichtet und neue Fronten eröffnet. Er | |
| gibt die Schärfe der [2][Schwulenhass] vor, verunglimpft Nachbarn und | |
| wittert hinter allem eine westliche Verschwörung. | |
| Eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches mehr, aber insofern doch | |
| erwähnenswert, als der Pegel der Aggressivität selbst den der Sowjetunion | |
| im Kalten Krieg überschreitet. Das Signal beunruhigt und passt zu einer | |
| Reihe von Maßnahmen, die nach den olympischen Tagen von Sotschi weitere | |
| Einschränkungen der Meinungsfreiheit befürchten lassen. | |
| So geriet Ende Januar der unabhängige Kanal „Doschd“ [3][ins Visier der | |
| Hüter] der reinen Kremllehre. Der intelligent gemachte Infosender war | |
| bislang im Kabelnetz und im Internet zu empfangen. Auch anspruchsvollere | |
| Debatten gehören zum Programm. In der Ukraine war der Kanal von Anfang an | |
| vor Ort und lieferte ein umfassenderes Bild als die Kremlmedien. „Wir | |
| zeigen immer das, was du woanders nicht siehst. Wir sind unabhängig“, meint | |
| der Gründer Alexander Winokurow. | |
| ## Ein Shitstorm brach los | |
| Der Ärger begann mit einer Umfrage, die eine Viertelstunde auf der Website | |
| des Senders zu lesen war: „Hätte sich Leningrad ergeben sollen, um Leben | |
| von Hunderttausenden Menschen zu retten?“ Russland hatte just den 70. | |
| Jahrestag des Endes der Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg gefeiert. | |
| In den sozialen Netzwerken brach ein Shitstorm los. Die offizielle Lesart | |
| des Großen Vaterländischen Krieges ist im Russland Putins sakrosankt. Der | |
| Sender nahm die Frage von der Webseite und entschuldigte sich. Doch zu | |
| spät. | |
| Große Kabelnetzanbieter kündigten nacheinander die Verträge mit „Doschd“, | |
| dessen Publikum anfangs die aufbegehrenden städtischen Mittelschichten | |
| stellten, die nach dem Wahlbetrug der Kremlpartei Ende 2011 auf die Straße | |
| gingen. | |
| Inzwischen hat der Sender auch in der Provinz Publikum gewonnen, meint | |
| Winokurow. Ursprünglich erreichte „Doschd“ 17,4 Millionen Haushalte, nach | |
| den Kündigungen blieben nur noch 2 Millionen übrig. „Wir sollen verrecken�… | |
| sagt Winokurow, der davon überzeugt ist, dass die Anbieter zum Abschalten | |
| gezwungen wurden. „Wer dieses Szenario einfädelte, weiß genau, dass wir | |
| fast nur mit Werbung Geld verdienen und keine Sponsoren haben.“ Er hofft | |
| immer noch auf eine Lösung, schließlich heißt „Doschd“ in der Unterzeile | |
| auch: „Optimistischer Kanal“. | |
| Winokurow weiß als Geschäftsmann, dass das Geld nicht mehr lange reicht. | |
| Die Mitarbeiter sind zwar bereit, erst mal auf einiges zu verzichten, doch | |
| hält er das für keine brauchbare Lösung. Der Medienunternehmer will | |
| unbedingt zurück ins Netz: „Es ist immer noch besser, in einem entstellten | |
| Markt zu leben, als überhaupt nicht“, sagt er. Unter den Netzbetreibern, | |
| die einknickten, sind bekannte Oligarchen. Selbst das große Business könne | |
| nicht frei entscheiden. „Wer soll unter solchen Bedingungen bereit sein, in | |
| Russland zu investieren?“, fragt er. | |
| ## Verbreitung von Extremismus | |
| Natürlich war die Umfrage nur Vorwand. Schon vorigen Sommer gab es einen | |
| Versuch, „Doschd“ wegen der Verbreitung von Extremismus zu belangen. Wie | |
| andere Sender hatte auch er eine Meldung im Zusammenhang mit dem Terrorchef | |
| des [4][islamistischen Doku Umarow] aufgegriffen. | |
| Seit zwei Monaten sei indes klar, dass nach einem Anlass gesucht wurde. Dem | |
| war eine Reportage des [5][Oppositionellen und Antikorruptionskämpfers | |
| Alexei Nawalny] vorausgegangen, in der von Villen und Grundstücken | |
| berichtete wurde, die bekannte Vertreter des Kreml nicht in der | |
| Vermögenserklärung erwähnt hatten. Seit Kündigung der Verträge Anfang | |
| Februar herrscht nun Ruhe. Der Kreml wartet wohl darauf, dass das Licht von | |
| alleine ausgeht. | |
| Inzwischen gerät auch der Radiosender „Echo Moskwy“ in die Schusslinie. | |
| Trotz diverser Versuche der Einflussnahme gelang es diesem über die Jahre, | |
| unabhängiger als andere Medien zu bleiben, eine Stimme der Opposition zu | |
| sein. Doch auch dieses Bild hat sich verschoben, so eindeutig trifft das | |
| nicht mehr zu. | |
| Letzte Woche tauschten die Aktionäre in einer außerordentlichen Sitzung den | |
| seit 23 Jahren erfolgreichen und liberalen Generaldirektor aus. Seine | |
| Stelle übernimmt die 35-jährige Journalistin Jekaterina Pawlowa. Sie war | |
| vorher beim staatlichen Radioauslandssender „Stimme Russlands“ als | |
| Redakteurin und Vizechefin tätig. | |
| ## Die emotionale Verfassung des Präsidenten | |
| Pawlowas Ehemann, Alexander Pawlow, ist stellvertretender Pressesprecher | |
| des Kreml. „Echos“ legendärer Chefredakteur, Alexei Wenediktow, hält die | |
| Entscheidung für „absolut politisch“. Ziel sei es, auf die politische Linie | |
| der Redaktion einzuwirken. Anfang März steht auch die Wahl des | |
| Chefredakteurs an. Bislang ist Wenediktow noch der einzige Kandidat. Er | |
| beabsichtigt auch nicht, vorzeitig das Handtuch zu werfen. | |
| Der Publizist und frühere Vorsitzende des staatlichen Fernsehens WGRTK, | |
| Nikolai Swanidse, verglich das Vorgehen mit der Attacke auf „Doschd“. Wie | |
| die Sache ausginge, hinge von der emotionalen Verfassung des Präsidenten | |
| ab, meinte Swanidse. Im Moment seien Kräfte am Werk, die nach dem Motto | |
| handelten: „Wir brauchen diese liberale Plattform nicht, wo sich Leute | |
| versammeln, die uns das Wasser abgraben wollen.“ | |
| Offiziell kontrolliert der Staat nur zwei TV-Anstalten. Viele private | |
| Sender gehören unterdessen zum Medienimperium des alten Putin-Freundes Juri | |
| Kowaltschuk, der zudem einen erheblichen Teil der größten russischen | |
| Mediengruppe „Gazprom Media“ besitzt. Gazprom ist mit zwei Dritteln der | |
| Aktien größter Aktionär auch bei „Echo Moskwy“. | |
| Zweifelsohne hat Kowaltschuk auch auf das unübersichtliche Geflecht aus | |
| Firmen und Finanzstrukturen des Mediennetzes direkten Einfluss. Nicht | |
| zuletzt kontrolliert der Kremlfreund auch den Löwenteil des | |
| TV-Werbemarktes. Viel fehlt nicht mehr, bis die elektronischen Medien im | |
| Umkreis des Kreml monopolisiert sind. | |
| ## Internetseiten verbieten | |
| Gleichzeitig weitet der Staat auch den Zugriff auf das Internet aus. Der | |
| Gründer von „VKontakte“ wurde dazu gedrängt, das beliebte soziale Netzwerk | |
| an den Oligarchen Alischer Usmanow zu verkaufen. Der Milliardär erwarb | |
| schon häufiger im Auftrag des Kreml unliebsame Medien und zog ihnen die | |
| Stachel. | |
| Auch in seinem renommierten Verlagshaus Kommersant wird gerade aufgeräumt. | |
| Internetseiten können nach einem neuen Gesetz ohne Gerichtsbeschluss | |
| verboten werden, wenn denn ein Verdacht auf Extremismus besteht. Und der | |
| besteht fast immer, wenn es ins Konzept passt. | |
| Der Kreml scheint sich seiner Sache nicht sicher. Was an die Folgen des | |
| Wahlbetrugs der Kremlpartei 2011 erinnern könnte, soll mit Stumpf und Stil | |
| beseitigt werden. Wladimir Putin ist misstrauisch. Schließlich wurde auch | |
| der Zusammenbruch des Kommunismus durch eine freiere Presse beschleunigt. | |
| 23 Feb 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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