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# taz.de -- Filmstart „Philomena“: Zorn und Milde
> Kaum zu ertragen, aber geschickt verpackt – in „Philomena“ entlarvt
> Stephen Frears’ die kitschige Story seiner Protagonistin als eben solche.
Bild: Zynismus trifft Rechtschaffenheit: Steve Coogan als Martin, Judi Dench al…
Sie sind oft zu süßlich, setzen auf süchtiges Konsumentenverhalten und
werden von ihren eigenen Schreibern verachtet: „Human interest stories“
sind das Junkfood des Journalismus.
Die Geschichte von Philomena, die als junge Frau in Irland vor 50 Jahren
unter Zwang ihren unehelich geborenen Sohn zur Adoption freigab, ist so
eine. Später hat Philomena doch noch geheiratet und es zum Status einer
geliebten Mutter und Großmutter gebracht. Von ihrem Erstgeborenen hat sie
ein halbes Jahrhundert lang niemandem etwas erzählt.
Aber dann bricht sie plötzlich ihr Schweigen und beschließt, ihn zu suchen.
Wie soll sie es anstellen? Nun, es ist die perfekte „human interest story“,
Reue und Rührung inklusive, da braucht es doch eigentlich nur noch einen
Schreiber, denn das bedeutet: einen Verlagsauftrag und eine entsprechende
Finanzierung der Recherche.
Ganz so offensichtlich wollten es Regisseur Stephen Frears und seine
Drehbuchautoren Steve Coogan und Jeff Pope bei der Verfilmung dieser wahren
Geschichte aber dann doch nicht machen – weshalb ihr Film kalkuliert vom
anderen Ende aus anfängt, dem des Schreibers.
Den spielt Steve Coogan selbst, als frisch in Ungnade gefallener
Regierungsberater namens Martin Sixsmith, der sich nun auf seinen
eigentlichen Beruf, den Journalismus, zurückbesinnen muss. Ein Buch
schreiben, das ist bislang die beste Idee, die er so hat.
Dann kommt ihm der Zufall zu Hilfe und macht ihn mit Philomenas
Lebensgeschichte und ihrem Ansinnen bekannt. Natürlich verachtet Sixsmith
„human interest stories“, eigentlich will er auf keinen Fall so etwas
schreiben. Aber wie das so ist mit Junkfood: Manchmal ist der Appetit
einfach größer, da nimmt man das bisschen Selbstekel in Kauf.
Der Vorteil dieses Ansatzes, der statt der titelgebenden Figur und ihrem
tragischen Schicksal erst mal den gekränkten Karrieristen mit seinen
oberflächlichen Problemen ins Zentrum stellt, enthüllt sich über die
gesamte Dauer des Films. Martins Widerstreben gegen den inhärenten Kitsch
von Philomenas Geschichte dient nicht zuletzt dem Zuschauer als
Absicherung: Nein, es geht hier nicht primär um Rührung und die Generierung
von „human interest“. Später wird sich Martin sogar dem eigenen
Auftraggeber gegenüber widersetzen, Philomena in seiner Story
„auszunutzen“.
## Ohne Martin wäre die Geschichte schwer zu ertragen
Auch wenn sich das seinerseits sehr kalkuliert anhört, ist doch Coogans
Figur des blasierten Schreiberlings das Beste an diesem Film. Als Martin
gibt er den Eingebildeten und Ambitionierten, der gelegentlich auch zu
echtem Engagement bereit ist, dessen größte Gabe aber in seinem trockenen,
weltläufigen Zynismus besteht.
Ohne ihn wäre Judi Denchs Philomena in ihrer Rechtschaffenheit nur schwer
zu ertragen. Zusammen ergeben sie ein leidlich witziges „odd couple“, wie
es das britische Kino mit seinem Sinn für Klassenunterschiede so gern hat:
Er der in „Oxbridge“ ausgebildete, atheistisch gesinnte BMW-Fahrer; sie die
kleine Frau aus einfachen Verhältnissen (was man Judi Dench hier nicht
immer abnimmt), die über dem Frühstücksangebot eines amerikanischen Hotels
den Kopf verliert, sich ansonsten aber nicht von ihrem Glauben abbringen
lässt, weder von dem an die psychologische Wahrheit ihrer Groschenromane
noch von dem an die katholische Kirche.
Letzteres bildet so etwas wie den geheimen Kern dieser Geschichte. Denn
Philomena brachte ihren Sohn im „Schutz“ eines jener von katholischen
Nonnen geleiteten irischen Magdalenen-Heime zur Welt, deren bigotte
Ausbeutung von „gefallenen Mädchen“ unter anderem Peter Mullan in seinem
finsteren, 2002 mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichneten Film „Die
unbarmherzigen Schwestern“ an den Pranger stellte.
Bei Stephen Frears deckt Philomena mit Martins Hilfe auf, dass ihr Sohn
damals an ein Elternpaar aus den USA regelrecht verkauft wurde – und dass
dies kein Einzelfall war.
Während Martin angesichts solcher Enthüllungen und dem hartnäckigen
Schweigen der noch lebenden Beteiligten in den Modus des gerechten Zorns
umschaltet und Türen einrennt, bleibt Philomena stets ruhig und auf
Verzeihen bedacht.
Wo der Film von der Sohnes-Suche in den Weiten Amerikas ansonsten in
abgegriffenen Mustern von Hindernisaufbau und Hindernisüberwindung erzählt,
ist es letztlich dieser Haltungskonflikt zwischen Martin und Philomena, der
die Spannung bewahrt.
Und am Ende überrascht dieser doch so durchkalkulierte Film damit, dass er
keinen seiner beiden Protagonisten ins Unrecht setzt: Martins bittere
Empörung und Philomenas milde Akzeptanz erweisen sich als gleichermaßen
angemessen.
26 Feb 2014
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Film
Doku
Scarlett Johansson
Raubkunst
ZDF
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