| # taz.de -- Biopics zu Florence Foster Jenkins: Der Drang zum hohen C | |
| > Sie war berühmt für ihren schiefen Gesang. Jetzt widmen sich eine Doku | |
| > und eine Komödie der Exzentrikerin Florence Foster Jenkins. | |
| Bild: Nicht nur die Stimme ist schief: Joyce DiDonato spielt Florence Foster Je… | |
| Die „schlechteste Sängerin der Welt“ war sie sicherlich nicht. Immerhin | |
| hatte Florence Foster Jenkins Gesangsstunden und verfügte über eine gewisse | |
| Technik. Dass diese Frau, die ihr beträchtliches Vermögen dafür | |
| verpulverte, sich öffentlich als große Sopranistin zu inszenieren, als | |
| „schlechteste Sängerin“ aller Zeiten in die Geschichte eingegangen ist, hat | |
| andere Gründe. Sie muss eine Person gewesen sein, deren Beschreibung | |
| unbedingt einen Superlativ erforderte. Nur: welchen? | |
| Derzeit kommen gleich zwei Filme über die extravagante Dame in die Kinos. | |
| In Ralf Plegers semidokumentarischem Film „Die Florence Foster Jenkins | |
| Story“ trägt die weltberühmte Mezzosopranistin Joyce DiDonato als Florence | |
| unter anderem einen Schuh als Hut auf dem Kopf und zeigt, dass sie nicht | |
| nur sehr schön, sondern bei Bedarf ebenfalls schön schief singen kann. Im | |
| Spielfilm „Florence Foster Jenkins“, der in zwei Wochen startet, liefert | |
| Stephen Frears eine andere, fiktive Version Florence Fosters ab, die von | |
| Meryl Streep verkörpert wird. | |
| Florence Foster Jenkins lebte von 1868 bis 1944 und hegte von Kindheit an | |
| eine große Liebe zum Gesang, dessen Ausübung ihr aber vom Vater verboten | |
| wurde. Eine frühe Heirat ermöglichte ihr eine gewisse Freiheit; die Ehe | |
| aber war unglücklich. Nach der Scheidung und dem Tod des Vaters, der ihr | |
| viel Geld hinterließ, begann Florence am öffentlichen Musikleben | |
| Philadelphias teilzunehmen und in mittelgroßem privatem Rahmen als Sängerin | |
| aufzutreten. | |
| Die kuriose Diskrepanz zwischen ihrem selbstbewussten Auftreten und ihrer | |
| fehlenden Musikalität machte sie mit der Zeit zum bestaunten | |
| Publikumsliebling. Schallplattenaufnahmen, die sie auf eigene Kosten | |
| anfertigen ließ, sorgten dafür, dass sie auch für die Nachwelt zur | |
| Kultfigur werden konnte. | |
| ## Führte Syphilis zu Wahrnehmungsstörungen? | |
| Von beiden Florence-Filmen ist Frears’ Werk die ungleich aufwendigere und | |
| mit höherem Staraufgebot hergestellte Produktion. Das Aufwendigste an | |
| Plegers Film wiederum taucht bei Frears überhaupt nicht auf. Pleger hat mit | |
| viel ausstatterischer Fantasie „lebende Bilder“ nachgestellt, wie Florence | |
| Foster Jenkins sie inszenierte, um ihren Auftritten einen sie überhöhenden | |
| Rahmen zu verleihen. Dafür wurden opulente Bühnenbilder entworfen und | |
| Statisten engagiert, die der Sängerin als Elfen, Cherubime und dergleichen | |
| zur Seite stehen mussten. | |
| Pleger widmet seinen Film überwiegend der Frage, was an der | |
| Selbstdarstellerin so faszinierte (immerhin gab sie ein komplett | |
| ausverkauftes Konzert in der Carnegie Hall) und nähert sich dem Phänomen | |
| über den von Susan Sontag geprägten camp-Begriff. Echte Interviews mit | |
| Zeitzeugen und fiktive Interviews mit Menschen, die Foster Jenkins kannten | |
| und von Schauspielern dargestellt werden, formen sich zu einem Porträt der | |
| Ausnahmegestalt aus Sicht ihrer Zeitgenossen. In psychologischer Hinsicht | |
| bleibt der Film flach oder enthält sich der Deutung, legt aber die | |
| Erklärung nahe, dass möglicherweise eine Syphiliserkrankung dazu geführt | |
| hat, dass Foster Jenkins an Wahrnehmungsstörungen litt. | |
| Eine ähnliche Zurückhaltung hätte Stephen Frears sich mit einem Spielfilm | |
| natürlich nicht leisten können. Frears’ Zugriff auf dieses Frauenleben ist | |
| zupackend auf eine Art, die der realen Florence Foster Jenkins | |
| möglicherweise nicht gerecht wird. Er entwirft eine eigene narrative | |
| Wahrheit. „Florence hat etwas beibehalten, was Kindern eigen ist“, wird | |
| Meryl Streep im Presseheft zitiert. „Man kann etwas nicht richtig gut, | |
| stürzt sich aber in die Vorstellung, es gut zu können, und hat einfach Spaß | |
| daran.“ | |
| ## Es hätte ein großer Stephen-Frears-Film werden können | |
| Das fasst das Konzept von Frears’ Film gut zusammen. Er packt uns bei | |
| unerfüllten Sehnsüchten und bringt uns dazu, sich mit dieser kindlichen | |
| älteren Dame, die doch nur singen will, zu identifizieren. Zu diesem Zweck | |
| wurde der Filmfigur jede exaltierte Schrillheit ausgetrieben. Von der | |
| Extravaganz, die laut Zeitzeugen nicht nur Foster Jenkins’ Auftritte, | |
| sondern auch ihre Alltagsoutfits auszeichnete, ist bei Frears kaum etwas zu | |
| sehen. Unvorstellbar, dass Meryl Streeps Florence einen Schuhhut tragen | |
| würde! | |
| Auch wirkt sie keineswegs so dominant, wie man sich eine Selbstdarstellerin | |
| dieses Kalibers vorgestellt hätte. Eher teilt man den Drang, sie zu | |
| beschützen, der ihren langjährigen Liebhaber umtreibt. Dieser wird | |
| verkörpert von Hugh Grant, der in der Rolle des gealterten Galans eine | |
| erstaunlich gute Figur macht. Als Florences Pianist zeigt Simon („Howard | |
| Wolowitz“) Helberg, dass er sogar Klavier spielen kann. Und natürlich ist | |
| die Streep toll wie immer. | |
| Es ist groß, wie sie Florences naive Selbsttäuschung spielt. Dass sie | |
| ebenso gut die dominante Zicke geben kann, darf sie dagegen nicht zeigen. | |
| Schade. Frears’ Filmerzählung hat Hand, Fuß und Herz, und trotzdem fehlt | |
| etwas. Es wäre eine so viel interessantere Story gewesen, eine | |
| selbstbewusst-kapriziöse, weniger hilfsbedürftige Protagonistin in den | |
| Mittelpunkt zu stellen, die am Ende trotzdem als Opfer der Tragödie ihres | |
| Lebens unser ganzes Mitgefühl verdient. Das hätte der große | |
| Stephen-Frears-Film werden können, den man richtig gern gesehen hätte. | |
| 9 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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