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# taz.de -- Griechenland im Zweiten Weltkrieg: Deutschlands unerledigte Altlast…
> Joachim Gaucks Staatsbesuch in Griechenland wird ihn in das Dorf
> Lyngiádes führen. Dort verübten deutsche Soldaten 1943 ein Massaker.
Bild: Gedenken in Distomo, wo die Deutschen im NS auch ein Massaker verübten.
BREMEN taz | Der griechische Staatspräsident Karolus Papoulias ist im
nordgriechischen Epirus-Gebirge aufgewachsen. Nach dem Putsch der Obristen
von 1967 lebte er einige Jahre als politischer Flüchtling in Köln. Er
spricht fließend Deutsch.
Er war es wohl auch, der die Idee hatte, Bundespräsident Joachim Gauck
anlässlich seines Staatsbesuchs in Griechenland nach Lyngiádes einzuladen:
Der Ort liegt in Sichtweite von Papoulias Elternhaus.
Das Massaker, das die Wehrmacht am 3. Oktober 1943 in der Gemeinde
anrichtete, war bis vor Kurzem auch in Griechenland nicht sonderlich
bekannt. Hunderte griechische Ortschaften hatten durch „Sühnemaßnahmen“ d…
Wehrmacht ein ähnliches Schicksal erlitten.
Bekannt sind vor allem diejenigen Märtyrerorte, wo die Zahl der Opfer
besonders hoch war. In Lyngiádes wurden „nur“ 82 Frauen, Kinder und Greise
umgebracht. Die meisten Männer überlebten, weil sie zur Walnussernte
auswärts unterwegs waren.
## Wer nicht gleich tot war, bekam den Gnadenschuss
Bei meinen Nachforschungen in den 90er Jahren habe ich nach langem Suchen
alle fünf Überlebenden des Massakers von Lyngiádes ausfindig gemacht und
befragt. Sie berichteten, wie alle Dörfler, die nicht im letzten Moment
hatten fliehen können, von Soldaten des Feldersatzbataillons 79 unter
Hauptmann Alfred Schröppel unter Schreien und Hieben mit Gewehrkolben auf
dem Dorfplatz zusammengetrieben wurden.
Dort sahen sie, wie die Soldaten ihre Häuser plünderten und die Beute auf
dem Dorfplatz zusammentrugen: Lebensmittel, Aussteuern, Viehzeug –
Wertvolleres gab es nicht.
Anschließend wurden die Dorfbewohner in Zehnerguppen in die Keller der
Häuser getrieben und zusammengeschossen. Wer nicht gleich tot war, bekam
einen Gnadenschuss.
Die fünf Davongekommen haben unter den Leichen liegend überlebt und sich
nicht gerührt, bis die Deutschen abgezogen waren und die angezündeten
Häuser über ihnen zusammenzustürzen drohten. Sie konnten im letzten Moment
aus den rauchenden Kellern ins Freie entkommen.
## Die Opfer verstummen überwältig von der Erinnerung
Von den fünf lebt heute nur noch ein einziger: Panaiotis Babousikas. Er
hatte das Massaker als Säugling überlebt und war in der folgenden Nacht an
der Brust seiner getöteten Mutter gefunden worden. Daher hat Babousikas
selbst keine Erinnerungen an die Ereignisse.
Er konnte mir nur das berichten, was er von anderen gehört hatte, aber er
zeigte mir eine 30 Zentimeter lange Narbe auf seinem Rücken: einer der
Gebirgsjäger hatte versucht, auch dieses Baby mit einem Bajonettstich zu
töten.
Die Überlebenden waren dankbar, dass ihre Geschichte aufgeschrieben wurde,
damit solche Schrecknisse nicht in Vergessenheit geraten. Sie hatten über
das damals Erlebte oft noch nicht einmal mit ihren eigenen Kindern
gesprochen.
Es gibt nicht nur das Schweigen der Täter, die später behaupten, „von
nichts gewusst“ zu haben, sondern auch das Schweigen der Opfer, die,
überwältigt von der Erinnerung, verstummen.
## Deutschland verweigert beharrlich Entschädigungszahlungen
Was kann man von Gaucks Besuch im Märtyrerort Lyngiádes erwarten? Der
gemeinsame Auftritt mit dem griechischen Staatspräsidenten bietet sich auch
deshalb an, weil in Griechenland allgemeiner Zorn über die von der
Bundesregierung verfolgte Austeritätspolitik hohe Wellen schlägt.
Karikaturen der Kanzlerin mit Hakenkreuzbinde oder Hitler-Schnauzbart sind
dort weit verbreitet – als Antwort auf das Focus-Titelbild mit der
griechischen Venus von Milo, die den „Stinkefinger“ hebt. Auch die
Aufforderung der Bild-Zeitung, die „Pleitegriechen“ mögen doch endlich ihre
Inseln verkaufen, ist in Griechenland nicht vergessen.
Bei solchem Klima liegt es nahe, dass in Griechenland jetzt immer öfter an
deutsche Kriegsuntaten erinnert wird. Unter der Wehrmachtsbesatzung hat das
Land Schreckliches erlitten, aber Deutschland weigert sich bis heute
beharrlich, Griechenland Entschädigungen für den damaligen Terror und die
Ausplünderung des Landes zu zahlen.
Auch der Zwangskredit für die deutschen Besatzungskosten, für den damals
die Goldvorräte aus der griechischen Nationalbank abtransportiert wurden,
wurde nie zurückgezahlt, was damals sogar die Besatzer in Aussicht gestellt
hatten. Mit Zins und Zinseszins hat er inzwischen astronomische Höhen
erklettert.
Gauck wird in Lyngiádes beim Mahnmal des Massakers vom 3. Oktober 1943
vermutlich Papoulias vor laufenden Kameras umarmen. Das hatte er kürzlich
auch in Oradour-sur-Glane mit Frankreichs François Hollande getan. Man
fragt sich, ob es nötig war, 70 Jahre mit einer solchen Geste der
Versöhnung zu warten.
4 Mar 2014
## AUTOREN
Christoph U. Schmink-Gustavus
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