# taz.de -- Die Lust der Frauen: Sich anfassen | |
> Wenn guter Heterosex für Frauen wie lesbischer Sex ist, dann ist der | |
> Penis Diener und nicht länger Gebieter. Ein Plädoyer, die Unterschiede | |
> aufzuheben. | |
Bild: Es ist kein Fehler, beim Sex alle Farben zuzulassen. | |
Dieser Text ist eine Erkundung. Erkundet wird: der Körper der Frau. 1,73 | |
Meter, 64 Kilogramm. Grüne Augen. Langsam wandert ihr Blick von der weißen | |
Zimmerdecke über die über und über mit blauen Aquarellen bedeckte Wand | |
hinunter zu ihrem entblößten Körper. Weil sie ihn liegend nur verschwommen | |
sehen kann, stützt sie sich auf die Arme, hebt den Kopf. Vor ihr wölben | |
sich die Brüste, weich, weiß, nur auf den Spitzen die Röte, dahinter die | |
hügelige Ebene, zwischen den Beinen die Schlucht. Eine Hand liegt darauf. | |
Über Lust zu schreiben, ist einfach. Da ist dieser nackte Körper. Aber was | |
kommt danach, nachdem diese Frau, die ihren eigenen Körper erkundet und | |
deren Schlucht zur Quelle wird, einer, aus der Wasser kommt und | |
Wahrnehmungen sprudeln, die gar nicht gesagt sind, in den Blick gerät? | |
Wessen Hand auf ihrer Scham liegt, steht hier nicht. | |
Sex haben; mit jemandem ins Bett gehen; mit jemandem schlafen, den | |
Beischlaf vollziehen – wenn es schön ist, wird schlafen in der Sprache | |
lieben. Schlafen also. Danach kommt Träumen. | |
Derbe Ausdrücke aber gibt es zuhauf: bohren, stoßen, nageln. Darauf haben | |
Frauen gewartet, dass sie Holz sind, in das hineingebohrt wird. – | |
Besteigen, stechen, reiten. Darauf haben Frauen gewartet, dass sie Rösser | |
sind, die man antreiben, die man peitschen kann, ein Schlag auf die Flanke. | |
– Bespringen, vögeln, mausen. Darauf haben Frauen gewartet, dass sie in die | |
Falle gehen. – Und bumsen, ficken, knallen sind keine Augenwörter, das sind | |
Ohrwörter. Schon klar, worauf das hinausläuft. | |
Jemand hat also mit jemandem etwas. Was genau, bleibt ungesagt. | |
## Andeutungen in der Literatur | |
Nun ist es jedoch so, dass Sex nur in der Literatur mit dem Ungesagten | |
auskommt. Marguerite Duras: „Er stöhnt, er weint. Er ist in einer | |
erbärmlichen Liebe. Und weinend tut er es.“ | |
Wenn aber ein Autor, eine Autorin sich doch vorwagt in die genauere | |
Beschreibung – Vladimir Nabokov „nach einer langen, regungslosen Wache | |
bewegten sich meine Tentakel wieder auf sie zu“, Michael Faber „Sein Pimmel | |
wird an ihrer Zunge hart, und als er im warmen Nest ihres Mundes zu voller | |
Größe geschwollen ist“, Haruki Murakami „Sie legte das Ohr an meinen | |
Bauchnabel und nahm meine Hoden in den Mund“, Philip Roth „Sie beugte sich | |
vor und nahm meinen Schwanz zwischen ihre Brüste, damit ich gut sehen | |
konnte, wie er dort eingebettet war“, Anäis Nin „Der Mann sah ihr zu. Seine | |
Hand lag auf ihrem Kopf, und er drückte ihn herunter, so dass ihr Mund sich | |
schließlich über seinen lüsternen Kolben stülpte“, Henry Miller „Oh Tan… | |
wo ist jetzt deine warme Möse, diese dicken schweren Strumpfbänder, diese | |
weichen üppigen Schenkel. In meinem Pint ist ein sechs Zoll langer Knochen. | |
Ich will jede Falte in deiner Möse aushobeln. Samenträchtige Tanja. Dein | |
Sylvester, ja er versteht, ein Feuer zu machen, aber ich weiß, wie man eine | |
Möse entflammt. Ich ficke dich, Tanja, dass du gefickt bleibst!“ – wenn | |
sich also doch jemand vorwagt in die genauere Beschreibung, dann ist der | |
Penis der Gebieter. | |
Besser wäre, der Penis wäre Diener. | |
## Das Ungesagte im Alltag | |
Literatur kann alles, kann geschwätzig sein oder verschwiegen. Und die | |
Wirklichkeit? Ich sitze in der Berliner U-Bahn. Mir gegenüber ein Mann. | |
Braune Cordhose, brauner Anorak, dicke Brille, Cord-Käppi auf den weißen | |
Haaren. Die Daumen seiner verschränkten Hände kreisen umeinander. Am | |
Ringfinger der Ehering. Hatte er schon einmal Sex ohne Penetration? | |
Später, noch immer in der U-Bahn, ein anderer Mann, seine Beine ganz breit. | |
Und diese Frau im schwarzen Mantel, sie riecht nach Zigaretten, die Haut | |
zwischen Zeige- und Mittelfinger ganz braun, ob wohl schon einmal jemand | |
sie mit feuchten Fingern auf der Klitoris zum Aufstöhnen brachte? | |
Wer über Sex schreibt, weicht aus, stellt Fragen. Antworten gibt es nicht. | |
Weil es vermessen wäre, zu sagen, so und so und so ist es, so und so und so | |
muss es sein. An der Station „Feuerbachstraße“ verlässt der Cordhosenmann | |
den Zug. Feuer und Bach und Straße. An der Station „Schöneberg“ steigt die | |
Raucherin aus. | |
Komm endlich zur Sache. | |
Es gibt keine Sache. | |
## In die Lehre gehen | |
Die Frau, die ausgestreckt auf dem Bett liegt, und deren Blick über die | |
Wand zum Körper schweift, ist nur zehn Jahre in die Lehre gegangen bei | |
einem Mann auf der Suche nach dem Eros. Sie hat sich unter diesem Mann | |
verrenkt, um sich zu spüren. Sie hat sich auf ihn gesetzt, um sich zu | |
spüren. Sie hat Jahre gebraucht, um Worte zu finden für ihr Begehren, | |
langsamer, schneller, hat den Mund verschlossen, und wieder gelernt, ihn zu | |
öffnen. Der Eros war weit. Als sie ihn fand, merkte sie, dass sie auch bei | |
einer Frau in die Lehre hätte gehen können. | |
Manchmal dauern Dinge. Die Frau, 1,73 Meter, 64 Kilo, grüne Augen, denkt, | |
ihren Körper dabei betrachtend, über die Lehre nach. Wie sie den Mund | |
öffnete und sagte, dass sie angefasst werden möchte, „fass mich an!“ und | |
nicht merkte, dass der Satz gar nicht über ihre Lippen kam und wie sie also | |
erst lernen musste, diesen Satz zu sagen und wie sie nach und nach lernte, | |
zu sagen, dass sie angefasst werden möchte, weich und feucht und zart, fast | |
so, als wäre, wer sie anfasst, der Regen, der Wind. | |
Und wie die Lehre immer anspruchsvoller wurde, auch darüber denkt sie nach, | |
denn sie merkte, dass nur sie in die Lehre ging, nicht aber dieser Mann, | |
der doch Gebieter war, Herr, schon aufgrund seines Geschlechts, das, anders | |
als ihr Geschlecht, ein Ziel hat in ihr, und wie sie am Ende merkte, dass | |
sie möchte, dass sein feuchter, harter Penis nicht in ihr, sondern auf | |
ihrer Klitoris spielt, sie berührt, sie befeuchtet, tastend in Einklang mit | |
ihrem schwebenden Auf und Ab, denn jede Berührung verlangte eine Pause vor | |
der nächsten und dass sie wollte, dass er dies tat, ohne in sie | |
einzudringen, und wie sie merkte, dass er gar nicht ihr Lehrer war, sondern | |
sie niemanden hatte, der sie etwas lehrte, nur sie sich selbst. Da endlich | |
sagte sie, „berühre meine Klitoris mit dem Penis“, und er tat es. | |
Es war ihre Erkundung. | |
## Von anderen lernen | |
Und dann war es doch nicht ihre Erkundung. In Ruanda, diesem kleinen | |
zentralafrikanischen Land, so wird gesagt, kennen die Männer die Glut, die | |
von einem Penis ausgeht, der auf der Klitoris tanzt. „Kunyaza“, sagen sie, | |
was soviel heißen soll, wie „zum Fließen bringen“. Und in Ruanda gelte die | |
Freude der Lust zwischen den Geschlechtern, dank Kunyaza, denn Kunyaza ist | |
für die Frau. Aus ihr soll das Wasser strömen. | |
Das erfuhr sie viel später, zufällig, eigentlich hörte sie erst davon, als | |
sie diesen Text schrieb und anderen erzählte, was sie schreiben wolle. | |
Zuvor aber lernte sie, dass sie gar keinen Mann braucht, der ihre Klitoris | |
berührt, und dass sie, wenn eine Frau sie berührt, sie anfasst, dies alles | |
erleben kann, von sich aus. Denn wenn eine Frau eine Frau liebt, erkundet | |
sie das Geschlecht, sucht den Eros, indem sie die Klitoris sucht, und | |
vielleicht auch weitergeht, tiefer in die Schlucht, hinab zur Quelle, zum | |
Wasser. | |
Die Hand, die auf der Scham der Frau liegt, die ihren Körper betrachtet, | |
ist es die Hand einer Frau? | |
8 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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