# taz.de -- Krimis im ZDF: Wir töten und töten und töten | |
> Reinhold Elschot will den Samstagskrimi im ZDF zum zweiten „Tatort“ | |
> ausbauen. Dafür starten gleich vier neue Reihen. Los geht's düster. | |
Bild: Mit „Helen Dorn“ geht's am Samstagabend los | |
In Reinhold Elschots Universum gibt es einen Fixstern: den Zuschauer. | |
Respektive die Zuschauerin. Sieht der Zuschauer nicht mehr das, was sich in | |
Elschots Welt tut, dann ist diese Welt aus der Umlaufbahn und damit aus dem | |
Blickfeld geraten. Dann hat Elschot „Mist gebaut“, sagt er – und seine | |
Welt, „der Sender“, hat ein Problem – „wir machen ja Fernsehen nicht f�… | |
uns, sondern für unsere Zuschauer“. | |
Elschot ist Stellvertretender Programmdirektor des ZDF und als | |
Hauptredaktionsleiter Fernsehspiel auch für die Filme des Zweiten | |
zuständig. Zuletzt kreiste der Sender ziemlich geschmeidig durchs deutsche | |
TV-Universum. Er war vom Fixstern aus stets gut zu sehen. Und was die | |
dortigen Bewohner von der ZDF-Welt sahen, schien ihnen zu gefallen: 2012 | |
Marktführer mit einer Durchschnittsquote von 12,6 Prozent, 2013 wieder | |
Marktführer, sogar mit 12,8 Prozent. | |
Hauptgründe für den Zuspruch: die Fußball-Champions-League (dafür kann | |
Elschot nichts) und die Krimis des Zweiten (dafür kann Elschot jede Menge). | |
Und weil Elschot keinen Mist bauen will, baut er lieber das aus, was seiner | |
Meinung nach kein Mist ist – und wofür er etwas kann: die Krimis. Auf dass | |
die Marktführerschaft ewig halte. | |
Nachdem kürzlich zuerst Iris Berben als „Rosa Roth“ und anschließend | |
Wolfgang Stumph als ungehörig netter Kommissar „Stubbe“ ihre Dienste | |
quittierten, ersetzt Elschot sie nun mit neuen Formaten, aber natürlich | |
nicht mit zwei, nein, mit vier. | |
## Tausendmal gesehen | |
Den Anfang macht „Helen Dorn“. In der einen Hauptrolle Anna Loos: taffe | |
Kommissarin, hat aber mal einen schlimmen Fehler gemacht und leidet | |
darunter genauso wie unter dem komplizierten Verhältnis zu ihrem Vater, der | |
auch mal Polizist war. Tausendmal gesehen. In der anderen Hauptrolle | |
Matthias Matschke als Gregor Georgi. Der ist bei der Arbeit einfach | |
„unangenehm“, so erklärte es Matti Geschonneck, der Regisseur der ersten | |
„Helen Dorn“-Folge (Titel: „Das dritte Mädchen“) seinem Hauptdarsteller | |
Matschke. Doch privat ist Georgi überhaupt kein Gebrochener, kein | |
Getriebener, sondern ein sehr in sich und seiner Familie Ruhender – ohne | |
dass die Darstellung von Georgi dabei in | |
Böse-Welt-da-draußen-und-heile-Welt-hier-im-Nest-Kitsch abrutscht. | |
Bei Helen Dorn scheinen die Macher (Drehbuch: Magnus Vattrodt) in Marotten, | |
bei Gregor Georgi in Figuren gedacht zu haben. „Ich bin wirklich sehr | |
dankbar, dass der Georgi nicht holzschnittartig ist“, sagt Matschke. Georgi | |
ist fein gearbeitet. Und erst wenn man ihn sieht, fällt einem auf, welch | |
grobe Tischlerarbeiten die meisten Charaktere in deutschen Krimis sind. | |
Matschke kann tatsächlich froh sein, diese Rolle abbekommen zu haben, denn | |
erreicht der Samstagabend unter Elschot nur annähernd das, was dem | |
ZDF-Fernsehfilmchef vorschwebt, dürfte Matschke sich in der öffentlichen | |
Wahrnehmung kaum noch von Georgi lösen können. | |
Elschot baut den Samstagabend gerade zur „Tatort“-Konkurrenz aus. Neben der | |
eher düsteren Reihe „Helen Dorn“ schickt er dafür folgende Neustarter ins | |
Rennen: „München Mord“, laut Elschot „fast ein neues Genre: nahe an der | |
Kriminalkomödie und doch sehr ernst“; „Kommissarin Heller“ (Elschot: „… | |
Kolleginnen sagen mir, die Frau sei wirklich so, wie junge Mädchen gerne | |
wären: frech, manchmal unverschämt, hat einen eigenen Kopf und setzt sich | |
durch“) und „Friesland“ (Jens Jensen, bodenständiger Durchschnittstyp, u… | |
Süher Özlügül, junge Power-Migrantin, ermitteln in Ostfriesland, obwohl sie | |
eigentlich nur Streifendienst schieben sollten). | |
## Zehn Wochen geht das so | |
Zehn Wochen lang kommt – nur einmal unterbrochen durch „Wetten, dass ..?“… | |
jeden Sonnabend um 20.15 Uhr ein Krimi. Angefangen hat die neue | |
Samstagskrimioffensive vergangene Woche mit einem alten Bekannten: | |
„Wilsberg“. An diesem Wochenende läuft „Helen Dorn“, dann folgen mit �… | |
starkes Team“ und noch einmal „Wilsberg“ wieder gut abgehangene | |
Krimistücke, bevor mit „München Mord“ die zweite Reihenpremiere am 29. M�… | |
dran ist. „Kommissarin Heller“ und „Friesland“ folgen in gebührendem | |
Abstand. | |
„Hammock-“, also „Hängematten-Programmierung“ nennen die US-Amerikaner… | |
etwas, sagt Elschot: Etablierte Formate wechseln sich mit den neuen ab und | |
sollen sie stützen und mitziehen. „Man soll mit Zahlen ja vorsichtig sein, | |
ich sag’s dennoch mal: Nicht jeder Film muss auf Anhieb – sagen wir mal – | |
fünfeinhalb Millionen Zuschauer haben. Wenn wir am Ende aber zusammen mit | |
den neuen Formaten einen solchen Schnitt auf unserem Sendeplatz hätten, | |
wäre ich schon sehr zufrieden.“ | |
Wirklich? Bescheidenheit beim Quoten-Apologeten vom Lerchenberg? Der letzte | |
„Stubbe“ erreichte doch gut 8 Millionen Zuschauer, den „Tatort“ schalten | |
allsonntäglich zwischen 8 und 13 Millionen Menschen ein. | |
Dennoch: Zwei Freischüsse hat jede der neuen Krimireihen. Wenn Elschot und | |
seine Kollegen von einem Format überzeugt sind, könnte es auch sein, dass | |
trotz anfänglich eher schwacher Zuschauerzahlen noch ein dritter oder gar | |
vierter Teil in Auftrag gegeben wird: „Wir wissen ja, dass manche Dinge | |
Zeit brauchen, um ihr Potenzial zu entfalten.“ Außerdem ist der Vorsprung | |
der Krimis im Ersten sowieso nicht so schnell aufzuholen: „Beim ’Tatort‘ | |
steht die Marke längst über dem Einzelprodukt“, sagt Elschot, „das ist da… | |
was jeder Programmmacher gerne hätte.“ | |
Und weil er schließlich auch Programmmacher ist, bekommt Elschot nun seinen | |
eigenen „Tatort“. Der hat zwar noch keinen gemeinsamen Vorspann und heißt | |
ziemlich inspirationslos „Samstagskrimi“, aber was soll’s? Vorsprung kann | |
man aufholen. Hauptsache, der Zuschauer bekommt beim ZDF das, was er | |
erwartet: Mord, Aufklärung, Bestrafung. Verbrechen lohnt sich nicht. Und | |
das nicht nur am Samstag, sondern auch sonntags spät, häufig am Montag um | |
20.15 Uhr – und natürlich auch in der leichten Variante im | |
Vorabendprogramm. | |
## Krimis als Katalysator | |
Aber warum schaut das Publikum nur noch Krimis? Elschots Erklärung: „Der | |
Zuschauer weiß sofort etwas mit dem Genre anzufangen: Er weiß, dass es eine | |
böse Tat geben und dass am Ende alles mehr oder weniger gut ausgehen wird. | |
Die Erwartung ist also recht klar umrissen und einfach zu bedienen. Ein | |
Drama oder eine Komödie sind unsicherer in der Ansprache.“ | |
Doch auch auf Macherseite hat der Krimi – neben den Quoten – einen | |
entscheidenden Vorteil gegenüber Dramen: Er ist der einfachste Kniff, um | |
seine Protagonisten in verschiedene Gesellschaftsschichten, Gewerbe und | |
Gegenden zu schicken. Ein Mord im Kühlhaus, schon erschließen sich die | |
Ermittler das Fleischerhandwerk – und der Zuschauer darf zugucken. „Der | |
Krimi ist ein Katalysator“, sagt Matschke, der in „Helen Dorn“ erstmalig | |
der Kommissar ist und nicht der | |
„Der-könnte-doch-eigentlich-auch-ein-Verdächtiger-ach-nee-doch-nicht-Typ“. | |
Für Matschke ist ein Krimi ein „trojanisches Pferd“ im Wohnzimmer: „Man | |
sagt, dass man einen Krimi macht und lässt den Zuschauer dann in die | |
Abgründe der Kinderprostitution, der Drogen oder des Lebens im Reihenhaus | |
schauen.“ | |
Und so wird immer mehr gemordet und ermittelt und gemordet und ermittelt. | |
Zumindest wenn es nach Elschot geht: Der Buchmarkt sei schließlich in | |
erster Linie auch ein Kriminalroman-Markt. „Da kommen immer wieder neue | |
Autoren, neue Kommissare – und da fragt keiner, ob wir nicht aufhören | |
sollten, Krimis zu schreiben.“ Er liest gern Don Winslow. Und der | |
Fernsehzuschauer guckt gern Krimis. So sei das halt. „Und ich kann ihnen | |
das doch nicht wegnehmen“, sagt Elschot. „Warum soll ich das Publikum zu | |
etwas erziehen, was es nicht haben will? Ich bin kein Pädagoge.“ | |
8 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
## TAGS | |
Tatort | |
ZDF | |
Krimi | |
Krimis | |
ZDF | |
Roadmovie | |
ZDF | |
ZDF | |
Wetten, dass... ? | |
NDR | |
ZDF | |
Tatort | |
ZDFneo | |
ZDF | |
Silke Burmester | |
Grimme-Preis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ZDF-Krimi „Wilsberg“: Frühe Leiche? Hinterm Supermarkt | |
20 Jahre auf Sendung und nun die 50. Folge: „Wilsberg“ befolgt beim | |
Jubiläum alle Regeln, damit Zuschauern nichts Überraschendes begegnet. | |
Roadmovie im ZDF: Loser auf der Suche | |
Drei schräge Vögel, ein alter Ford: Felix Stienz’ Debütfilm „Puppe, Icke… | |
der Dicke“ hat einen guten atmosphärischen Drive. | |
„Spreewaldkrimi“ und „Tatort“: So schön kaputt | |
Eigentlich will Roeland Wiesnekker nicht mehr die Gebrochenen spielen und | |
macht es doch – in dieser Woche gleich zwei Mal. Gut so. | |
Der Wochenendkrimi: Endlich Weltniveau | |
Das ZDF kann Krimi. Auch die neue Kommissarin am Samstagabend bestätigt | |
diesen Eindruck. Der Film überzeugt durch exzellente Bilder. | |
Das Ende von „Wetten, dass...?“: Nur noch Erinnerungen | |
Die Sendung war weniger das „Lagerfeuer der Nation“ als kollektive | |
Regression. Heute nimmt das Sinnlose Überhand, Talente werden anderswo | |
gecastet. | |
NDR-Tatort aus Kiel: Borowski hat es schwer | |
Der Kommissar sucht mit einem Mini-U-Boot auf dem Meeresgrund nach | |
Beweisen. Das gibt tolle Tiefsee-Bilder, aber leider wird zu viel erklärt. | |
Kommentar ZDF-Urteil: Naiv, aber nützlich | |
Der Anteil von Politikern in Gremien beim ZDF wird deutlich reduziert. Doch | |
die sogenannten Freundeskreise wird das Urteil nicht verhindern. | |
Hamburg-„Tatort“ mit Til Schweiger: Breitbeinig den Kiez retten | |
Jaja, Macho-Schweiger kann bloß Macho-Schweiger spielen. Damit verhilft er | |
dem trutschigen Tatortformat aber endlich mal zu Spannung und Action. | |
Krimiserie „Code 37“ auf ZDFneo: Die Revolverheldin | |
In der belgischen Serie klärt eine taffe Kommissarin Sexualdelikte auf. Die | |
Vergangenheit der Protagonistin scheint nicht von Gewalt verschont. | |
Neue Reihe im ZDF: Thrillerbaukasten zur Nacht | |
Das ZDF zeigt Abgründiges zur fortgeschrittenen Uhrzeit. „Der zweite Mann“ | |
mit Max Riemelt ist ein würdiger Auftakt für die „Stunde des Bösen“. | |
Kolumne Die Kriegsreporterin: Bordi rennt zum Mischimaschi-Blatt | |
Ein verrückter Borderliner fabuliert wild beim Europäer, im ZDF werden | |
Schwachsinns-Dummbatz-Fragen gestellt und ein alter Knacker gibt den | |
Zampano. | |
Aus für den Deutschen Fernsehpreis: Mehr als ein Reförmchen | |
Im Herbst wird der Deutsche Fernsehpreis zum vorerst letzten Mal verliehen. | |
Seine Zukunft ist ungewiss, dabei füllte er eine große Lücke. |