# taz.de -- Brasilien vor der Fußball-WM: Mit dem „Surreal“ gegen Wucher | |
> Die Bewohner der WM-Metropole bekommen die Nebeneffekte des | |
> Großereignisses hart zu spüren. Alles ist überteuert. Eine Fake-Währung | |
> soll Abhilfe schaffen. | |
Bild: Neue Banknote mit Salvador Dalí | |
RIO DE JANEIRO dpa | Noch ist die Fußball-WM nicht angepfiffen, und die | |
Olympischen Spiele 2016 scheinen weit weg. Doch dass Rio de Janeiro bei | |
Sportsfreunden und Touristen mehr denn je in den Fokus gerät, haben seine | |
Bewohner längst gemerkt – an den Preisen nämlich, die den Stadtbewohnern | |
gehörig über den Kopf wachsen. | |
Die „Cariocas“, Rios Einwohner, haben eine kreative Form des Protests gegen | |
einen um sich greifenden Wucher gefunden. Auf der Facebook-Seite „Rio | |
Surreal“ laden sie Fotos von überteuerten Mahlzeiten und unverschämten | |
Rechnungen hoch. | |
Doch nicht nur digital wird angeprangert. Die Bewegung bietet auch den | |
„Surreal“ als parallele Schmäh-Währung zum Brasilianischen Real zum | |
Ausdrucken an: Statt dem Lorbeer-bekränzten Bildnis der Republik, das | |
normalerweise Geldscheine und Münzen schmückt, blickt dem Betrachter der | |
spanische Surrealismus-Künstler Salvador Dalí entgegen. | |
In mehreren brasilianischen Städten sind die „Surreal“-Banknoten schon im | |
Umlauf und werden Händlern überteuerter Waren als Zeichen der Missbilligung | |
überreicht – wie zum Beispiel in einer Bar in Leblon, einem Nobelstadtteil | |
Rios, die einen Hamburger für sage und schreibe 99 Reais – rund 30 Euro – | |
angeboten hatte. | |
Mehr als 200 000 Unterstützer hat „Rio Surreal“ bereits. Die Gründerinnen | |
Daniela Name und Andrea Cals glauben, dass der Zuspruch die Frustration der | |
Brasilianer widerspiegelt: „Sie haben es satt. Der Anstieg der Preise hat | |
alle Grenzen gesprengt, das ist übel“, sagt Cals. | |
## „Olympische Inflation“ | |
Laut dem Wirtschaftsexperten José Julio Sena von der | |
Getulio-Vargas-Stiftung (FGV) lassen sich die Preise teils mit der | |
niedrigen Arbeitslosigkeit im Land begründen, die nach offizieller | |
Statistik in den vergangenen drei Jahren bei rund 6 Prozent lag. Dies führe | |
zu steigenden Einkommen und einer wachsenden Nachfrage. | |
Aber das allein verursache nicht die Überteuerung, sagt der Ökonom: „Es | |
gibt keine objektive Rechtfertigung für diese als völlig absurd empfundenen | |
Preise. Unbestreitbar gibt es Menschen, die Profit aus einer Situation | |
schlagen wollen.“ Gemeint sind die sportlichen Großereignisse, die in | |
Brasilien und besonders in Rio anstehen – die Fußballweltmeisterschaft in | |
diesem Sommer und die Olympischen Spiele 2016. | |
Wer im berühmten Strand-Stadtteil Ipanema in diesem Juni und Juli eine | |
Wohnung mieten möchte, wird mindestens 1500 Euro dafür zahlen müssen – pro | |
Tag, versteht sich. Eine Nacht im Drei-Sterne-Hotel liegt bei rund 365 Euro | |
– zweieinhalbmal so teuer wie sonst. | |
Der FGV zufolge betrifft die „olympische Inflation“ vor allem den | |
Dienstleistungssektor, besonders in den nobleren Vierteln. „Jenseits der | |
touristischen Gebiete können die Verbraucher von Rio günstigere Produkte | |
finden“, sagt der Ökonom Fabio Bentes. | |
## Hohe Mieten, hohe Preise | |
Seit Rio zur Olympia-Stadt gekürt wurde, sind laut einer aktuellen Studie | |
in einigen Stadtvierteln die Ladenmietpreise fast zehnmal stärker gestiegen | |
als die Inflation – ein Argument, dass die Ladenbesitzer gern anführen, um | |
die steigenden Warenpreise zu erklären. Angesichts der Aussicht, dass die | |
Preise wohl bis 2016 nicht sinken werden, finden die Gründerinnen von „Rio | |
Surreal“ einen Boykott angebracht. „Não pague!“ (Bezahlen Sie nicht!) | |
empfiehlt das Motto der Website, auf der täglich neue Kuriositäten gepostet | |
werden. | |
Eines der Phänomene, die der Wucher erzeugt hat, ist die Verabredung zum | |
„Isoporzinho“, einem Stelldichein mit Selbstverpflegung. Das Wort leitet | |
sich von den Kühlboxen aus Styropor (isopor) ab, mit denen sonst vor allem | |
fliegende Händler Kaltgetränke transportierten. Nun ist der Kühler auch für | |
Brasiliens Mittelschicht cool genug, um sich selbst zu versorgen. Zu einem | |
„Isoporzinho“ kommen rasch auch mal mehrere Tausend Menschen im | |
öffentlichen Raum zusammen. | |
„Das ist keine politische Geste, auch kein Protest. Wir wollen einfach mit | |
Freunden etwas trinken gehen, ohne ein Vermögen für die Rechnung zu | |
bezahlen“, sagt Guigga Tomaz, der eine Facebook-Seite für die Verabredung | |
zum „Isoporzinho“ eingerichtet hat. Der Seite entsprang auch der Aufruf, | |
eigene Stühle mit an den Strand zu nehmen. Denn auch die Liegestuhl-Miete | |
kostet mittlerweile das Dreifache. | |
11 Mar 2014 | |
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