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# taz.de -- Bundesregierung zur Pille danach: Kaum Nebenwirkungen
> Die Regierung räumt ein, dass die „Pille danach“ keine schwerwiegenden
> Nebenwirkungen hat. An der Rezeptpflicht will sie trotzdem festhalten.
Bild: Thrombose-Risiko durch die „Pille danach“: 1 zu 5 Millionen.
BERLIN taz | Im Streit um die „Pille danach“ gerät die Argumentation von
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), die Rezeptpflicht
beizubehalten, weil das Risiko der Nebenwirkung zu groß sei, zur Farce:
Exakt zwei Fälle schwerwiegender Nebenwirkungen nach Einnahme des
Notfall-Verhütungsmittels sind dem zuständigen Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte bekannt – zwei Fälle aus ganz Deutschland,
und zwar im Zeitraum von 1998 bis heute. Das räumte die Bundesregierung
gegenüber der Linksfraktion im Bundestag ein, die hierzu eine kleine
Anfrage gestellt hatte.
Das Risiko, aufgrund der Einnahme der „Pille danach“ eine Thrombose zu
entwickeln, liege somit bei 1 zu 5 Millionen, schreibt die Bundesregierung:
„Diese Berichtsrate liegt deutlich unterhalb der Inzidenz für entsprechende
Fälle in der Normalbevölkerung.“ Dort entwickelten von 100.000 Frauen im
gebärfähigen Alter zwischen 15 und 44 Jahren 5 bis 10 Frauen eine Thrombose
– ohne „Pille danach“. Bei den beiden berichteten Fällen kommt hinzu: Ob
überhaupt ein kausaler Zusammenhang der Erkrankung mit der Einnahme der
Pille bestand, ist unklar; die Bundesregierung schätzt ihn „nicht als
wahrscheinlich“ ein.
Bereits ein vom Bundesgesundheitsministerium beauftragter
Sachverständigenausschuss hatte Anfang des Jahres empfohlen, die Pille
danach aufgrund der quasi nicht-existenten Nebenwirkungen von der
Verschreibungspflicht zu entbinden; der Bundesrat hat sich 2013 ebenfalls
dafür ausgesprochen.
Frauenärzte, die an der Verschreibung verdienen, beharren indes auf der
Beibehaltung der Beratungs- und Rezeptpflicht. Unterstützt werden sie vom
Präsidenten der Bundesärztekammer, der katholischen Kirche und dem Minister
Gröhe. Dessen Sprecherin sagte der taz, Gröhe halte trotz der neuen
Erkenntnisse weiterhin an der Rezeptpflicht fest.
Dies wiederum hält die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler, Sprecherin für
Arzneimittelpolitik und Patientenrechte, für „unfassbar“. Es könne nicht
sein, schimpfte Vogler, „dass das Gesundheitsministerium seine Position
praktisch nicht begründen kann und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in
den Wind schlägt“. Ihre Fraktionskollegin Conny Möhring wirft Gröhe einen
„Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte von Frauen“ vor.
Tatsächlich räumt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die kleine
Anfrage ein, dass andere Arzneimittel, etwa Paracetamol oder Aspirin,
rezeptfrei abgegeben werden dürfen, obwohl ihre schwerwiegenden
Nebenwirkungen (Leberschädigungen, Magengeschwüre, schwere Hautreaktionen)
sehr viel häufiger auftreten (weniger als 1 Fall von 1.000 Anwendungen) als
die Nebenwirkungen der Pille danach.
## In 80 Ländern ist die „Pille danach“ rezeptfrei
In Deutschland sind derzeit zwei Präparate verfügbar, die als Pille danach
fungieren. Das eine Medikament, PiDaNa (Wirkstoff: Levonorgestrel) wurde
1998 vom BfArM, also der nationalen Zulassungsbehörde, zugelassen. Das
andere, EllaOne (Wirkstoff: Ulipristalacetat), wurde zentral von der
europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA zugelassen; in Deutschland
ist es seit 2009 verfügbar. Insgesamt werden nach Angaben des BfArM in
Deutschland rund 400.000 Verordnungen pro Jahr mit der Diagnose
„Notfallkontrazeption“ ausgeführt, hiervon entfallen etwa 300.000 auf
PiDaNa, der Rest auf EllaOne.
In 80 Ländern weltweit sind Notfallverhütungspräparate mit dem Wirkstoff
Levonorgestrel rezeptfrei erhältlich; auch die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) spricht sich gegen die Verschreibungspflicht aus. Begründung: Je eher
das Präparat erhältlich sei und eingenommen werden könne, desto höher die
Warscheinlichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern.
Die europäische Arzneimittel-Zulassungsbehörde EMA hatte unlängst
angekündigt, die europäische Verschreibungspflicht für EllaOne
möglicherweise noch in diesem Sommer aufzuheben. Hoffnungen, dass damit
demnächst zumindest ein Notfall-Kontrazeptivum auch in Deutschland einfach
in der Apotheke frei verkäuflich sein würde, zerschlug eine Sprecherin des
Bundesgesundheitsministeriums jedoch: Wenn die EMA die Rezeptpflicht für
ein Präparat aufhebe, dann heiße das noch lange nicht, dass Deutschland
dieser Entscheidung folgen müsse, sagte sie der taz. Und wie es derzeit
aussehe, werde der Minister an der Verschreibungspflicht für beide
Präparate, EllaOne und PiDaNa, festhalten.
Sollte Gröhe tatsächlich bei seiner starren Haltung bleiben, könnte dies
zur Nagelprobe für die schwarz-rote Koalition werden. Denn die SPD hat
zuletzt – in Bundestagsdebatten und in den Medien – vehement eine Aufhebung
der Rezeptpflicht gefordert und dabei den Anschein erweckt, sie werde dies
durchsetzen, notfalls auch gegen den Willen des eigenen Koalitionspartners.
Insgeheim aber setzte sie offenbar darauf, dass sich das Problem von allein
lösen werde, weil die EMA ja die Rezeptpflicht auf europäischer Ebene
ohnehin aufheben wolle. Das erfuhr die taz aus SPD-Fraktionskreisen. Damit,
so die Hoffnung der SPD, gebe es dann auch in Deutschland eine
verschreibungsfreie Pille danach – quasi von höherer Ebene angeordnet und
ganz ohne Koalitionsknatsch. Dieses Kalkül geht nun womöglich nicht auf.
## SPD auf Tauchstation
Damit aber gerät wiederum die SPD in ein Dilemma: Lässt sie Gröhe gewähren,
ist ihre eigene Glaubwürdigkeit dahin. Hält sie an ihrem Versprechen fest,
für die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ zu kämpfen, riskiert sie einen
handfesten Koalitionskrach. Denn die Rezeptfreiheit durchzusetzen ist alles
andere als einfach. Befreiungen von der Verschreibungspflicht erfolgen
generell per Verordnung des Bundesgesundheitsministers – und mit Zustimmung
des Bundesrats, also der Länderkammer. Der Bundestag hat dabei nichts
mitzureden.
Derzeit nun ist es so, dass eine ganze Reihe von Medikamenten aus der
Verschreibungspflicht entlassen werden sollen – per Gesamtpaket. Die
SPD-dominierte Länderkammer hatte aber schon im vergangenen Jahr
beschlossen, diesem an sich unstrittigen Paket nur unter der Bedingung
zuzustimmen, dass der Katalog der künftig rezeptfreien Mittel um die „Pille
danach“ erweitert wird. Bleibt sie bei dieser Haltung, dann werden künftig
viele Medikamente, die auch die SPD gern rezeptfrei hätte, weiterhin nur
von Ärzten verschrieben werden können.
Unklar ist, ob dies wiederum zu Klagen von Pharma-Herstellern führen
könnte, die nach dem Arzneimittelgesetz unter bestimmten Bedingungen
möglicherweise einen Anspruch darauf haben könnten, dass ihre Präparate aus
der Verschreibungspflicht entlassen werden. „Nach Erkenntnissen des
Bundesgesundheitsministeriums hat es noch kein entsprechendes Verfahren
gegeben“, sagte eine Sprecherin der taz.
Die SPD ist unterdessen auf Tauchstation gegangen. Die Familienministerin
Manuela Schwesig (SPD) etwa, deren Ressort für das
Schwangerschaftskonfliktgesetz zuständig ist und der es trotz erheblicher
Anstrengungen nicht gelang, das Thema „Pille danach“ in die
Koalitionsvereinbarung aufzunehmen, schweigt derzeit beharrlich. Auf die
Frage der Linksfraktion, welche Position eigentlich das
Bundesfamilienministerium einnehme in der umstrittenen Frage der
Ministerverordnung, antwortete die Bundesregierung nicht.
Stattdessen teilte sie schwammig mit, Schwesigs Ministerium führe
„umfangreiche Maßnahmen durch mit dem Ziel einer zielgruppenspezifischen
Information und Aufklärung zu allen Methoden der Empfängnisverhütung
einschließlich der Methoden zur Nachverhütung“. Aus SPD-Fraktionskreisen
erfuhr die taz, die Sozialdemokraten hätten sich darauf geeinigt, „in
dieser heiklen Frage auf Zeit zu spielen“.
21 Mar 2014
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Pille danach
Hermann Gröhe
Gesundheit
Schwangerschaft
Depression
Pille danach
Patientenrechte
Untersuchung
Pharmakonzerne
Schwerpunkt Abtreibung
Pille danach
Rezept
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