# taz.de -- Ein-Mann-Lobby Horst Glanzer: Lästiger Patient | |
> Der pensionierte Polizist ruft Politiker und Zeitungen an. Er will die | |
> Gesetze ändern. Er nervt. Er gibt nicht auf. Und – er hat Erfolg. | |
Bild: Verspätet in den OP, weil die Versicherung zögert? Dank Glanzer nicht m… | |
Horst Glanzers Krankengeschichte taugt nicht zur Frühstückslektüre. Sie | |
handelt von Eiter, Schmerzen und zerfressenen Knochen, und die Details | |
wären in den Klinikarchiven besser aufgehoben als in einem Zeitungsartikel. | |
Doch fürs Archiv sind sie mittlerweile zu bedeutsam: Weil Horst Glanzer vor | |
mehr als zehn Jahren an einer Nasennebenhöhlenentzündung erkrankte, kennt | |
ihn heute der halbe Bundestag. | |
Er sagt, er habe ein eigenes Reformvorhaben „in den Koalitionsvertrag | |
reingeschrieben“, und liegt damit nicht einmal ganz falsch. Jetzt | |
beschäftigt er auch noch den Bayerischen Landtag. Ohne Horst Glanzers | |
Krankengeschichte kommen wir hier also nicht aus. | |
Im November 2003 ist der damalige Polizeibeamte aus Niederbayern seit | |
Monaten arbeitsunfähig. Sein Schädel ist mit Entzündungen überzogen. Die | |
linke Kieferhöhle, zwei Siebbeinzellen, beide Stirnhöhlen: voller Eiter. | |
Das Sekret drückt von hinten auf das linke Auge, so dass der Patient nur | |
noch verschwommen sieht. Die Entzündungen haben auch auf den Oberkiefer | |
übergegriffen, so dass der Knochen zerfällt und Glanzer nicht mehr kauen | |
kann. Sein Arzt attestiert einen „stark reduzierten Gesamteindruck“, im | |
schlimmsten Fall könnte sich die Krankheit auf das Gehirn ausweiten und | |
tödlich enden. | |
## Dass so etwas nie mehr passiert | |
Eines schwört sich Glanzer in diesen Novembertagen: „Wenn ich überlebe, | |
sorge ich dafür, dass so etwas nie mehr passiert. Niemandem.“ Er wird laut | |
bei diesem Satz, noch immer. Wenn er sich am Telefon in Rage redet, dröhnt | |
seine Stimme so kräftig, dass seine Gesprächspartner einen | |
Sicherheitsabstand zum Hörer halten. Und das, obwohl Glanzer durch die | |
Krankheit bis heute geschwächt ist. Mit Ende fünfzig ist er längst | |
pensioniert. | |
So etwas soll also nie mehr passieren, niemandem, und dafür kämpft Glanzer | |
nun. Mit einem Faxgerät und seinem Telefon bearbeitet er Abgeordnete und | |
Ministerialbeamte. Eine Ein-Mann-Lobby für bessere Patientenrechte. Sein | |
erstes Projekt: Neue Fristen für die privaten Krankenkassen. Früher konnten | |
sich die Versicherer Zeit lassen, um Anträge für Behandlungen über 2.000 | |
Euro zu prüfen. Künftig sollten sie binnen zwei Wochen entscheiden. Glanzer | |
glaubt: Hätte es eine solche Regelung im Jahr 2003 gegeben, wäre er heute | |
kein Invalide. | |
Tatsächlich verlief seine Krankheit dramatisch, weil sie monatelang | |
unbehandelt blieb. Wegen diverser Vorerkrankungen und Allergien war er auf | |
eine Spezialklinik am Vierwaldstättersee angewiesen. | |
Die Behandlung kostet dort aber mindestens 1.400 Franken pro Tag, 2003 | |
entspricht das etwa 910 Euro. Patienten müssen im Voraus zahlen oder die | |
Kostenzusage ihrer Krankenkasse vorweisen. Glanzer bekam seine Kostenzusage | |
erst, nachdem sich der Eiter monatelang ausbreiten konnte. Er war Kunde der | |
Barmenia und der Allianz und sagt, die beiden Kassen hätten ihre | |
Entscheidung bewusst herausgeschoben. Sein Schweizer Arzt spricht von einer | |
„erheblichen und nicht nachzuvollziehenden Zeitverzögerung“. | |
Die Barmenia widerspricht. „Herr Glanzer hätte sich sofort ambulant oder | |
sogar stationär in Deutschland behandeln lassen können“, teilt die | |
Versicherung mit. Dass der Aufenthalt in der Spezialklinik nötig war, sei | |
aus den eingereichten Attesten zunächst nicht hervorgegangen. | |
Sowohl die Barmenia als auch die Allianz bekamen vor Gericht recht: | |
Schadensersatzprozesse gegen seine Krankenkassen verlor Glanzer in zwei | |
Instanzen. Vor die dritte Instanz schaffte es der Fall erst gar nicht, und | |
so kam der Pensionär zu seinem zweiten Reformvorhaben: Die Änderung der | |
Zivilprozessordnung. Sie sah damals vor, dass Richter Berufungen | |
schriftlich ablehnen können, ohne die Kläger anzuhören. So sollten sie | |
aussichtslose Fälle aussortieren. | |
## Die Regelung musste also weg | |
In der Praxis schmetterten die Gerichte aber bis zu 27 Prozent der | |
Berufungsanträge ab, darunter auch Fälle mit Erfolgschancen. Deshalb sei | |
auch seine Klage gescheitert, sagt Glanzer. Die Regelung musste also weg. | |
Der Niederbayer ist nicht der einzige Bürger, der sich von der Justiz | |
verraten fühlt. Er ist auch nicht der Einzige, der deshalb bei Abgeordneten | |
vorspricht, dem Ministerium schreibt oder eine Petition einreicht. | |
Eines macht ihn trotzdem besonders: Er hat tatsächlich bekommen, was er | |
wollte. Zumindest teilweise. Vor drei Jahren änderte der Bundestag die | |
Zivilprozessordnung, auch die neuen Fristen für private Krankenkassen sind | |
mittlerweile Gesetz. | |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirkte als Justizministerin an den | |
Reformen mit. Sie sagt: „Ohne Herrn Glanzer hätte es die Änderungen nicht | |
gegeben.“ | |
Und das, obwohl er noch nie in Berlin war. Wer telefonieren kann wie der | |
Mann aus Niederbayern, der muss eben nicht persönlich in der Hauptstadt | |
vorsprechen. Die Durchwahlnummern wichtiger Politiker zitiert er aus dem | |
Kopf. | |
Selbst Leutheusser-Schnarrenberger rief er zu ihrer Zeit als Ministerin | |
regelmäßig an – bevorzugt sonntagvormittags in ihrem Haus am Starnberger | |
See. | |
„Vorzimmer gibt es für mich nicht“, sagt er. Wie er an die Nummern kommt? | |
Sein Geheimnis. Wie er die Gesprächspartner überzeugt? Hartnäckigkeit, bis | |
zum Äußersten. Wer den Hörer abnimmt, muss Zeit einplanen. Dreißig Minuten | |
Minimum, vorher legt Glanzer nicht auf. Ein paar Stunden später fragt er | |
per SMS nach dem aktuellen Stand. Bekommt er keine Antwort, ruft er am | |
nächsten Tag wieder an. | |
Eigentlich unverschämt. Man könnte ihn deshalb als Querulanten und | |
Nervensäge abtun und läge damit nicht ganz falsch. Trotzdem würde es zu | |
kurz greifen. Erstens sind Glanzers Anliegen berechtigt: Von den beiden | |
Gesetzesänderungen profitieren Millionen Bürger. Zweitens macht ihn gerade | |
seine Art so erfolgreich: Womöglich haben manche Politiker für die Reformen | |
gestimmt, damit die Anrufe endlich aufhören. | |
Doch damit hätten sie sich verkalkuliert. Glanzers Telefon ist weiterhin in | |
Betrieb, denn noch hat er nicht alle Ziele erreicht. „Er hat zwar große | |
Veränderungen initiiert, aber persönlich profitiert er überhaupt nicht | |
davon“, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. | |
## Die Verantwortlichen im Knast sehen | |
Nach eigenen Angaben ist Glanzer auf Spenden angewiesen, da er durch die | |
Krankheit 300.000 Euro Schulden angehäuft hat. Von den Versicherungen kann | |
er kein Schmerzensgeld mehr erwarten, die Gesetzesänderungen gelten | |
schließlich nicht rückwirkend. Was bleibt: die Hoffnung auf Genugtuung. | |
„Mir ist wichtig, die Verantwortlichen in Stadelheim zu sehen“, sagt | |
Glanzer. | |
Stadelheim, der Münchner Knast. Verantwortlich sind in seinen Augen die | |
Mitarbeiter seiner Krankenkassen. Vor Jahren zeigte er sie wegen | |
Körperverletzung an, aber die Staatsanwaltschaft erkannte keine Straftat. | |
Glanzer, natürlich, fand sich damit nicht ab. Er schrieb eine Beschwerde an | |
die Generalstaatsanwaltschaft – erfolglos. Er schrieb eine | |
Aufsichtsbeschwerde ans Ministerium – ebenfalls erfolglos. Er schrieb eine | |
Petition an den Bayerischen Landtag – und wartet jetzt auf das Resultat. | |
Im Juli behandelt der Rechtsausschuss seine Forderung, die | |
Staatsanwaltschaft möge das Verfahren wiederaufnehmen. „Ein interessanter | |
Fall“, heißt es dazu aus der Opposition. Das bayerische Justizministerium | |
spricht allerdings von einem ordnungsgemäßen Verfahren, und die | |
CSU-Mehrheit wird im Ausschuss kaum gegen die eigene Regierung stimmen. | |
Wahrscheinlich konzentriert sich Glanzer also bald wieder auf den | |
Bundestag. Dort läuft sein drittes Reformvorhaben: Gerichtsgutachter sollen | |
in Prozessen offenbaren, ob sie befangen sein könnten. | |
Glanzers Eingabe zum Thema hat der Petitionsausschuss des Bundestags | |
bereits dem Justizministerium empfohlen; SPD und Union haben den Punkt in | |
ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. | |
Ob sie das Vorhaben umsetzen, wird aus der Ferne genau kontrolliert. „Heute | |
Morgen habe ich die Bundeskanzlerin in die Angelegenheit eingebunden“, sagt | |
Horst Glanzer. Auch da könnte was dran sein. | |
26 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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