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# taz.de -- Hans-Richter-Werkschau in Berlin: Der lächelnde Entwerfer
> Eine Ausstellung in Berlin durchmisst das Schaffen des Künstlers und
> Kunstermöglichers Hans Richter. Das Motto: Alles dreht sich, alles bewegt
> sich.
Bild: Künstlerisches Schaffen, das eher zur Skizze, zum Entwurf tendiert: Rich…
„Alles dreht sich, alles bewegt sich“ heißt einer der schönsten Kurzfilme
von Hans Richter. Jahrmarktattraktionen werden da in filmische Attraktionen
übersetzt, Publikum, Schausteller, Akrobaten, aber auch Richters Kamera
verwandeln sich in, wie es in einer Schrifteinblendung zu Beginn heißt,
„Amüsiermaschinen“.
Alles dreht sich, alles bewegt sich: So könnten auch insgesamt Leben und
Werk eines Künstlers überschrieben sein, der, 1888 in Berlin geboren, große
Teile seines Lebens im Ausland verbrachte, diverse Kunstströmungen und
-ismen mitprägte, Kontakte zu gleich mehreren Avantgarde-Generationen
pflegte; und dessen künstlerisches Schaffen fast durchweg eher zur Skizze,
zum Entwurf, zum nicht selten vor der Fertigstellung abgebrochenen, dann
manchmal an ganz anderer Stelle wiederaufgenommenen Versuch tendiert als
zum in sich geschlossenen, großen Einzelwerk.
Eine Werksschau im Martin-Gropius-Bau durchmisst nun dieses Schaffen,
spannt zum einen einen historischen Bogen von den 1910er bis in die 1970er
Jahre, bewegt sich zum anderen durch die unterschiedlichen Gattungen
hindurch: Film, bildende Kunst, Publizistik; damit nicht genug, nimmt die
Ausstellung „Hans Richter: Begegnungen – Von Dada bis heute“ den Künstler
gleichzeitig die zahlreichen Arbeits- und Freundschaftsbeziehungen in den
Blick, die Richters Werk von Anfang bis Ende prägten.
In den 1910er Jahren war er Teil der berühmten Zürcher Dada-Gruppe, für die
von ihm Mitte der 1920er gegründete, einflussreiche Zeitschrift G schrieben
unter anderem Mies van der Rohe und Hans Arp, später verfolgte er
Filmprojekte mit Kasimir Malewitsch und Jean Cocteau; und als Dozent für
Filmtechnik am City College of New York kam er in Kontakt mit einer neuen
Generation der amerikanischen Kinoavantgarde. Zentrale Figuren des New
American Cinema wie Maya Deren und Jonas Mekas waren seine Schüler.
## Erschaffer und Ermöglicher
Zu den vielen Perlen der Ausstellung gehört ein kurzer Porträtfilm, den
Mekas seinem Lehrer widmete: grobkörnige, sommerliche Impressionen des im
Alter entspannt in sich ruhenden, verschmitzt lächelnden Richter. In einem
anderen, gleichermaßen mysteriösen und faszinierenden, im Nachlass
entdeckten und nur wenige Sekunden kurzen Filmschnipsel wollen sich Richter
und Marcel Duchamp die Hand geben – allerdings stehen die beiden mehrere
Meter auseinander, die Geste bleibt in der Luft hängen.
Exemplarisch für Richters lebenslange Rolle als gleichzeitiger Erschaffer
und Ermöglicher von Kunst kann sein vielleicht bekanntester Film „Dreams
That Money Can Buy“ stehen, der zwischen 1944 und 1947 im US-amerikanischen
Exil entstand. Der beginnt mit einer Spielfilmhandlung, inszeniert beinahe
im Stil eines Film noir: Ein zunächst verloren und einsam in seinem Zimmer
sitzender junger Mann namens Joe entdeckt, dass er in der Lage ist, seinen
Mitmenschen durch einen tiefen Blick in deren Augen Träume zu induzieren–
und verbringt den restlichen Film damit, diese Fähigkeit zu Geld zu machen.
Die mal eher erotoman-introspektiv, mal wild surrealistisch sich
entfaltenden Träume, die er seinen Kunden andreht, gestaltete Richter in
enger Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die meisten von ihnen waren
ebenfalls vor der nationalsozialistischen Aggression nach Amerika
geflüchtet: Max Ernst, Duchamp, Fernand Léger, Man Ray. Die alternative
Traumfabrik, die da von europäischen Migranten fernab von Hollywood
herbeifabuliert wird, ist einerseits ein Gegenmodell zur dominanten
Kulturindustrie. Gleichzeitig hat das Strukturprinzip des Films, das
unbehauene Nebeneinander ganz unterschiedlicher sinnlicher und visueller
Intensitäten, viel mit dem Spektakel des frühen Kinos und dessen Ursprung
auf dem Jahrmarkt zu tun: Alles dreht sich, alles bewegt sich.
Auch in anderer Hinsicht kann diese ganz und gar eigensinnige Arbeit als
Schlüssel zum Werk dienen. Schon im Titel weist „Dreams That Money Can Buy“
auf ein Nahverhältnis von Richters Schaffen zur Ökonomie hin. In früheren
Filmen wie „Inflation“ oder „Die Börse“ hatte er Versuche unternommen,…
prinzipiellen Unsichtbarkeit der Finanztransaktionen im entwickelten
Kapitalismus doch wieder eine visuelle Repräsentation entgegenzustellen.
## Träume für Philips
Zu den Entdeckungen der Ausstellung zählen außerdem selten gezeigte
Werbefilme, mit denen Richter sich in den 1930er Jahren im Exil über Wasser
hielt (zunächst vor allem in den Niederlanden und der Schweiz, erst 1941
ging es in die USA). Gebrauchsfilme sind das formal, Richter verkauft in
ihnen Träume nicht auf eigene Rechnung, sondern unter anderem für den
Elektrogiganten Philips, für den er in einem dieser außergewöhnlich
fantasievollen und spielerischen Arbeiten Musiker in Glühbirnen steckt.
Die Ausstellung separiert das filmische Material nicht in der Blackbox,
stattdessen wird es umstandslos auf die Wände projiziert, teilweise direkt
neben die übrigen Objekte. Man kann diese Entscheidung nachvollziehen,
gerade auch, weil die Schau den Anspruch hat, nicht einfach ein einzelnes
Werk, sondern ein ganzes kulturelles Feld darzustellen. Was nicht heißt,
dass die unterschiedlichen Medien sich nicht trotzdem gelegentlich einander
in die Quere kommen.
Die Frage, wie man ursprünglich für den Kinoraum produzierte Bewegtbilder
in einem musealen Kontext präsentiert, ist bei jemandem wie Richter
besonders zentral. Er pendelte nicht nur Zeit seiner Karriere zwischen
experimentellem Filmschaffen und bildender Kunst, die beiden Werkbereiche
scheinen sich auch beständig aufeinander zu beziehen: Bilder, die bereits
filmisch dynamisiert wirken, Filme, in denen ein Überschuss an
„zeichnerischen“ Formen sichtbar bleibt.
## Vom Hintergrundrauschen zum Störgeräusch
Besonders augenfällig ist das bei seinen gemeinsam mit dem schwedischen
Maler Viking Eggeling entwickelten Rollbildern der frühen 1920er, die fast
wie auf einem Filmstreifen einzelne Objekte diskontinuierlich nebeneinander
anordnen. Die in einem extrem breiten Querformat gestalteten Arbeiten
können kaum noch mit einem Blick erschlossen werden, zwingen zu einer
Verzeitlichung der Rezeption. 1943/44 griff Richter diese Technik in einem
seiner erstaunlichsten Werke wieder auf: Das als Collage aus flächigen
Farben und Zeitungsausschnitten erstellte Rollbild „Stalingrad“ fügt sich
zu einem Durchgang durch den Zweiten Weltkrieg.
Im Martin-Gropius-Bau kann man in einem der Ausstellungsräume direkt,
nämlich fast wirklich mit einem Blick, nachvollziehen, wie sich derartig
protokinematografische Studien in die ersten, minimalistischen Filme
Richters („Rhythmus 21“, „Rhythmus 23“) fortsetzen. Einmal geht da das
Konzept auf, bewegte und unbewegte Bilder in unmittelbarer Nachbarschaft zu
präsentieren. In einigen anderen Ausstellungsräumen droht das filmische
Material dagegen zum Hintergrundrauschen beziehungsweise, aus der
Perspektive der anderen ausgestellten Objekte, zum Störgeräusch zu
verkommen. Die Filme laufen jeweils durchgängig geloopt, auf einem Monitor
flackern gar drei Filmbilder gleichzeitig – übereinander gestapelt.
Lediglich „Dreams That Money Can Buy“ erhält, als eine Art Zielpunkt der
Ausstellung, einen halbwegs isolierten eigenen Raum. Umso schöner und
wichtiger, dass die Kuratoren am 3. und 4. April, in Zusammenarbeit mit der
Deutschen Kinemathek, im Kino Arsenal, nur ein paar hundert Meter Luftlinie
vom Martin-Gropius-Bau entfernt, in drei Programmen einige zentrale Filme
von und über Richter vorführen. Was man in diesem Fall nicht als
Begleitprogramm, sondern als integrativen Bestandteil der Ausstellung
verstehen sollte.
27 Mar 2014
## AUTOREN
Lukas Foerster
## TAGS
Martin-Gropius-Bau
Avantgarde
Maya
Indonesien
Filmgeschichte
Lemberg
Architektur
Ausstellung
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