# taz.de -- Ausstellung im Saint Louis Art Museum: Der andere Blick | |
> Renata Stih und Frieder Schnock waren als Gastprofessoren an der Kunstuni | |
> Saint Louis und auf der Suche nach deutschen Spuren im Saint Louis Art | |
> Museum. | |
Bild: Phantomzeichnung des Reichstags 1933, mit Flammen (Ausschnitt). | |
Saint Louis im Bundesstaat Missouri: Zur Weltausstellung 1904 noch die | |
drittgrößte Stadt in den USA, wirkt heute alles eine Nummer zu groß. Doch | |
der Wohlstand ist geblieben. Vor der videoüberwachten Backsteinvilla im | |
britischen Landhausstil steht ein dicker Mercedes, im holzgetäfelten tea | |
room hängt ein knallbunter Sam Francis, die Hecken sind vom mexikanischen | |
Gärtner gestutzt, im flauschigen Teppich grinst der Pudel. | |
„I Want to be a Dog in America“, betitelt das für seine subversiven | |
Interventionen bekannte Künstlerpaar Renata Stih und Frieder Schnock | |
treffend eine Fotoarbeit, die 2013 anlässlich ihres Aufenthalts als | |
Gastprofessoren an der Kunstuniversität von Saint Louis entstanden ist. | |
Saint Louis ist eine wahre Kunstmetropole. Nicht nur der Gateway Arch von | |
Eeero Saarinen am Ufer des Mississippi lohnt einen Besuch, sondern auch der | |
riesige Forest Park im Zentrum, der sich durchaus mit seinem zenralen New | |
Yorker Vorbild messen kann. | |
Auf dem grünen Hügel über dem Park thront das Kunstmuseum und gibt sich | |
stolz als die Akropolis von Missouri. Im West Wing standesgemäß ein Tizian | |
vom Feinsten, daneben die legendäre Max-Beckmann-Sammlung (der hier von | |
1947 bis 1949 unterrichtete) und schließlich die Großformate von Gerhard | |
Richter und Anselm Kiefer im eleganten Neubau von David Chipperfield – sie | |
alle markieren ein internationales Anspruchsniveau. | |
Die in Berlin lebenden Künstler Renata Stih und Frieder Schnock haben | |
während ihres Gastaufenthalts an der Kunstuniversität von Saint Louis nicht | |
nur die Studierenden mit den von ihnen entwickelten und Maßstäbe setzenden | |
Methoden der Erinnerungsarbeit vertraut gemacht, sondern selbst | |
beispielhaft vorgeführt, wie man das von deutschen Spuren durchsetzte | |
Museumsareal mit dem Suchbesteck der Institutional Critique erkunden, | |
Verborgenes aufdecken, scheinbar Bekanntes neu inszenieren kann und muss, | |
um zeitgenössisch zu sein. | |
Im Rahmen ihrer Recherchen, die von einer Ausstellung abgeschlossen werden | |
sollten, waren sie auf überraschende Funde, aber auch Verluste gestoßen: | |
Das um 1900 auf einer USA-Tournee präsentierte Gipsmodell des Berliner | |
Reichstags ging in Saint Louis verloren, als sich das Museum | |
organisatorisch von der Universität trennte. Eine Phantomzeichnung des | |
Reichstags mit den Flammen von 1933 ruft nun dessen Bedeutung für die | |
deutsche Geschichte in Erinnerung, mit versprengten Notizen auf dem Blatt | |
lenken Stih & Schnock den Blick auf die permanenten Gefährdungen der | |
parlamentarischen Demokratie in Deutschland. | |
## Marlene Dietrich smoked here | |
Im selben Raum wird auch auf das Schicksal der Emigranten angespielt, | |
scheinbar leichtfüßig: „Marlene Dietrich smoked here“ oder „Walter Grop… | |
smoked here“, so die Inschriften auf Fotografien amerikanischer | |
Zufluchtsorte, die dann doch subkutan alle Schrecken der Emigration und die | |
Leerstellen der Geschichte andeuten. Stih & Schnock haben im Saint Louis | |
Art Museum auch Werke der Sammlung ihrem Röntgenblick des historischen | |
Bewusstseins unterzogen und dabei wahre Palimpseste aufgedeckt, so etwa die | |
Geschichte der sogenannten „Katzenstein-Madonna“. | |
Der 1936 in die USA ausgewanderte Arzt Dr. F. C. Katzenstein erhielt das | |
gotische Schnitzwerk aus dem Besitz seiner jüdischen Eltern 1949 vom | |
Central Collecting Point für Beutekunst in Wiesbaden, nachdem diese 1942 | |
von den Nazis ermordet worden waren. Katzenstein überließ das fatale | |
Erbstück sofort dem Museum. Seinen Brief zur Provenienz haben Stih & | |
Schnock als gelben (!) Kranz spitzer Schriftzüge um ein Röntgenbild dieser | |
Madonna aus Deutschland angeordnet. Mit ihrer Überschreibung wurde der | |
Bildtypus der schmerzensreichen, von Schwertern durchbohrten Muttergottes | |
abgewandelt zu einer jüdischen mater doloris – Mutter und Sohn. | |
Die auf mehrere Räume verteilte Ausstellung der beiden Konzeptkünstler, die | |
durch ihre „Orte der Erinnerung“ in Berlins Bayerischem Viertel (1993) und | |
ihre Beiträge zur Debatte um das monströse Holocaust-Mahnmal am | |
Brandenburger Tor bereits international bekannt geworden waren, fand also | |
weniger im Museum als vielmehr mit dem Museum statt. Längst eine Strategie | |
der Selbstbehauptung von Künstlern gegenüber Kuratoren. | |
Auch die präzisen Bezüge auf die in Saint Louis so hervorragend vertretene | |
deutsche Gegenwartskunst lieferten beachtliche Irritationen. Direkt neben | |
die Dokumentation von Joseph Beuys’ New Yorker Performance „I Like America | |
and America Likes Me“ (1974), damals in der Galerie von René Block | |
aufgeführt, hängten sie ihre Fotoarbeit „I Want to be a Dog in America“ | |
(2013). | |
Hatte Beuys als Schamane im Zusammenspiel mit einem lebenden Kojoten ein | |
Modell für Alterität inszeniert, seinerzeit für ein amerikanisches Publikum | |
während des Vietnamkriegs, so bieten Stih & Schnock nun unter völlig | |
veränderten Bedingungen eine zeitgenössische europäische Perspektive auf | |
die USA: „I Want to be a Dog in America“, am besten gut bewacht mit einem | |
NSA-Mikrochip im Fell! | |
14 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Hans Dickel | |
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