| # taz.de -- Forscherin über Antiziganismus in Ungarn: „Dieses Denken führte… | |
| > In Ungarn ist der Antiziganismus Staatspolitik. Arbeitsethos und | |
| > Nationalismus sind Triebkräfte der Ausgrenzung, sagt die | |
| > Wissenschaftlerin Magdalena Marsovszky. | |
| Bild: Gabor Vona, Vorsitzender der rechtsextremen Jobbik. | |
| taz: Frau Marsovszky, wieso kann eine rassistische Partei wie Jobbik ein | |
| Fünftel der ungarischen Wähler ansprechen? | |
| Magdalena Marsovszky: Das völkische Denken kulminierte mit dem Wahlsieg der | |
| völkischen Parteien Fidesz und der Jobbik. Jobbik steht ideologisch | |
| aufseiten der Regierung und übt zur Durchsetzung einer völkischen Politik | |
| Druck aus. Dieses nationale Denken ist aber durchaus in allen | |
| Gesellschaftsschichten vorhanden. | |
| Es scheint aber, dass die Ausgrenzung der Roma in Ungarn besonders | |
| ausgeprägt ist. | |
| Sie ist nicht nur in Ungarn so stark, sondern auch in anderen | |
| postkommunistischen Ländern. Dieses ethnonationalistische Denken war ja | |
| auch im Sozialismus sehr stark vorhanden. Es wurde damals zwar der | |
| Universalismus propagiert, aber man hat stark in nationalen Kategorien | |
| gedacht. Man spricht in der Forschung davon, dass die Wende in den | |
| realsozialistischen Ländern weniger eine demokratische als eine | |
| ethnonationale Wende war. | |
| Also das, was latent vorhanden war, darf nun endlich in Ungarn offen | |
| ausgesprochen werden? | |
| Ja, es gibt eine Kontinuität seit dem 19. Jahrhundert. Dieses Denken hat | |
| zum Holocaust geführt, auch in Ungarn. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es | |
| nur sehr wenige Jahre, in denen ein demokratischer Aufbau versucht wurde, | |
| dann kam schon die nächste Diktatur. Ich beobachte die erneuten | |
| ethnonationalistischen Tendenzen seit den 1970er Jahren. Deswegen konnte | |
| die Demokratie seit der Wende auch nicht gefestigt werden. | |
| Es heißt ja, dass die Roma heute diskriminiert werden, weil sie nicht | |
| arbeiten. Im Sozialismus hatten sie Arbeit. | |
| Im Arbeiter-und-Bauern-Staat gab es Arbeitspflicht. Die Roma wurden vor | |
| allem als ungelernte Hilfskräfte in großen Fabrikanlagen angestellt. Als | |
| diese Anlagen nach der Wende zusammenbrachen, waren die Roma die ersten, | |
| die entlassen wurden. Die Romagettos sind um die ehemaligen | |
| Industrieanlagen entstanden, nicht nur in Ungarn. Dann gab es keine | |
| Arbeitspflicht mehr und deshalb meint man fälschlicherweise, dass die | |
| Ausgrenzung der Roma mit dem Kapitalismus zusammenhängt. Wenn das | |
| Arbeitsethos großgeschrieben wird – egal in welchem Wirtschaftssystem –, | |
| dann gelten Menschen, die aus dem Arbeitsprozess herausfallen, als | |
| Schmarotzer. Der Ethnonationalismus und das Arbeitsethos sind die zwei | |
| großen Triebkräfte des Antiziganismus. | |
| Ministerpräsident Viktor Orbán rühmt sich, einen Roma-Beauftragten | |
| eingesetzt zu haben und ein Programm für die Roma umzusetzen. | |
| Das Problem ist, dass der Romabeauftragte Flórián Farkas ein Parteimann | |
| ist, der nur umsetzt, was von der Regierungspartei Fidesz bewilligt wird. | |
| Er unterstützt keine Bürgerrechtsarbeit. Alle Programme, auch solche, die | |
| mit EU-Geldern finanziert werden, arbeiten gegen die universalen | |
| Menschenrechte und fördern ein Denken in ethnischen Kategorien. Der | |
| Roma-Bürgerrechtler Aladár Horváth sagt, da würden Multiplikatoren | |
| ausgebildet, die die rassistische Politik weitertragen. Es werde eine Art | |
| Kapo-Mentalität gefördert. | |
| Dass viele Roma kriminell werden, gilt aber als eine Tatsache. | |
| Das ist ein falscher Ansatz. Es sind die Gesellschaftsstrukturen, die die | |
| Menschen in die Kriminalität zwingen. Die meisten Roma sind arbeitslos und | |
| die Sozialhilfe wird an kommunale Arbeit gebunden. Dafür bekommen sie aber | |
| so wenig Geld, dass sie davon nicht leben können. Sie werden permanent | |
| schikaniert: von der Polizei oder den lokalen Behörden, es werden ihnen für | |
| Nichtigkeiten Strafen auferlegt, die sie nie bezahlen können. Sie müssen | |
| dann Geld von Kredithaien leihen, die direkt vor den Sozialämtern stehen. | |
| Weil die beim Eintreiben der Schulden sehr rücksichtslos sind, haben die | |
| Menschen schon am Monatsanfang kein Geld mehr. | |
| 9 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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