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# taz.de -- Vorurteile gegen Roma: „Diskriminieren, wo es geht“
> Das Bild von den armen, arbeitssuchenden Rumänen, die massenhaft in
> Berlin einreisen, ist antiziganistisch, sagt Marius Krauss vom Verein
> Amaro Foro.
Bild: Typisch Roma? Eine Akkordeonspielerin sitzt vor dem Sinti-und-Roma-Denkma…
taz: Herr Krauss, Ihr Verein Amaro Foro demonstriert am Freitag gegen
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Warum?
Marius Krauss: Friedrich macht seit Monaten Stimmung gegen Rumänen und
Bulgaren sowie gegen Asylsuchende aus den Balkanländern, insbesondere gegen
Roma. Er fordert etwa ein „Schnellverfahren“ für Roma, die Asyl beantragen.
Aber ein Recht muss für alle gleichermaßen gelten. Leben wir in einem
Rechtsstaat oder nicht?
Er meint wohl, die Mehrheit der Deutschen denkt wie er.
Das glaube ich zwar nicht. Aber es stimmt, dass antiziganistische
Stimmungen in der Bevölerung stark vorherrschen. Und Friedrich spielt mit
der Angst der Leute nach dem Motto: Uns geht es schlecht, und jetzt kommen
auch noch die und nehmen uns was weg. Dieser Rechtsruck passiert gerade
europaweit.
Aber ist die Angst nicht verständlich? Wenn man durch Berlin läuft, sieht
man immer mehr bettelnde Roma.
Gegenfrage: Woher wissen Sie, dass das Roma sind?
Stimmt, ich denke das nur. Sie sehen so aus, wie man sich Roma vorstellt.
Unter den Bettlern sind viele, die keinen Roma-Hintergrund haben. Sie
werden nur dazu gemacht: Das Betteln wird zu einer Roma-Eigenschaft
gemacht, Armut wird dazu gemacht, Diebstahl ebenso. Außerdem: So viele sind
es ja auch nicht, die herkommen. Es gibt in Berlin vielleicht 7.000 Rumänen
und etwa doppelt so viele Bulgaren. Und wie überall in Europa sind von
diesen Migranten etwa zehn Prozent Roma, mehr nicht. Man tut immer so, als
kämen sie in Massen – aber das stimmt nicht.
Wieso ziehen eigentlich so viele Rumänen nach Neukölln?
In Neukölln gibt es einen ganz speziellen Fall: Hierher zogen mit der Zeit
1.500 Menschen aus demselben rumänischen Dorf namens Fontanelle. Sie sind
der Grund, warum man über den angeblichen Massenzuzug nach Neukölln redet.
Außerdem fallen sie auf, sie tragen Kopftuch und viele Röcke und haben
viele Kinder. Was niemand sagt: Sie gehören zu den evangelikalen
Pfingstlern und dürfen nicht verhüten. Aber weil sie auch Roma sind, ist
für die meisten die Sache klar: Roma und viele Kinder gehört ja zusammen.
Das passt perfekt zum antiziganistischen Bild. Die anderen Roma, die es
auch gibt, erkennt man gar nicht als solche.
Die Neuköllner Stadträtin Franziska Giffey (SPD) hat vor kurzem gesagt, ihr
Bezirk stoße an seine Grenzen. Es gebe eine Schule, in der ein Viertel der
Schüler aus Rumänien stamme.
Da kann ich nur raten, die Kinder auf mehrere Schulen zu verteilen. Dieses
ganze Prinzip mit den so genannten Willkommensklassen, in denen nur Kinder
aus einer Region oder einer Ethnie zusammensitzen – manchmal für mehrere
Jahre –, ist fragwürdig. Das nennt sich Segregation und ist eigentlich
verboten.
Sie sitzen mit Ihrer Beratungsstelle auch in Neukölln. Welche Probleme
haben die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Die Themen ändern sich. Als wir angefangen haben vor vier Jahren, ging es
in der Beratung viel um das EU-Freizügigkeitsgesetz. Fälschlicherweise hieß
es ja oft, etwa von Herrn Friedrich, Rumänen und Bulgaren dürften nur drei
Monate in Deutschland bleiben. Bei den Ämtern verhielt man sich
entsprechend. Diese Barrieren mussten wir erstmal abbauen. Dann ging es
viel um Arbeit: Wie finde ich überhaupt welche, wie kann ich mir über
Freiberuflichkeit oder einen künstlerischen Beruf etwas aufbauen?
Und heute?
Es kommen zum Beispiel Leute, denen eine Hausverwaltung sagt: Nein, an
Rumänen vermieten wir nicht, das sind eh „Zigeuner“. Die nehmen kein Blatt
vor den Mund. Bei Ämtern sind sie etwas vorsichtiger mit ihrer Wortwahl,
aber ansonsten diskriminieren sie, wo es geht. Also, die Beschwerden über
Antiziganismus nehmen zu. Dieses Problem muss endlich angepackt werden.
Denn es ist die Wurzel aller Benachteiligungen und sozialer Ausgrenzungen.
24 Oct 2013
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Antiziganismus
Hartz IV
Großbritannien
Rumänien
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