# taz.de -- Parlamentswahl in Ungarn: Populismus an Zigeunerhass-Soße | |
> Viktor Orbáns Fidesz und die Jobbik-Faschisten feiern ihren Sieg in | |
> Ungarn. Ressentiments und Wohltaten für das Volk haben ihre Erfolge | |
> gesichert. | |
Bild: Wähler mit Kindern in Tiszavasvari, östlich von Budapest, am Sonntag | |
WIEN taz | „Alle Zweifel sind zerstreut – wir haben gewonnen!“ Ungarns | |
Ministerpräsident Viktor Orbán und seine rechtsnationalistische | |
Fidesz-Partei feierten am späten Sonntagabend vor Tausenden Anhängern in | |
Budapest ihren Wahlsieg. „Das ist ein großartiger Sieg, dessen Bedeutung | |
wir heute noch gar nicht erkennen können“, sagte Orban. | |
Allerdings hat seine Partei rund 600.000 Stimmen und 9 Prozentpunkte | |
verloren. Dennoch wird der Premier vier weitere Jahre mit großer Mehrheit | |
regieren können. Knapp 45 Prozent der Stimmen bringen nach dem neuen | |
Wahlrecht eine Zweidrittelmehrheit. Die Auszählung der Briefwahlstimmen in | |
den Nachbarländern dürfte das entscheidende 133. Mandat bestätigen. | |
Ein guter Teil der verlorenen Stimmen ging an die rechtsextreme Jobbik, die | |
ihren Anteil von 16,7 Prozent auf 20,8 steigern konnte. Vor allem im Osten | |
und in Gemeinden, in denen die Roma-Minderheit besonders sichtbar ist, | |
konnte die rassistische Partei, die gegen die „Zigeuerkriminalität“ | |
mobilisiert, zulegen. | |
Der linken Oppositionsallianz Kormányváltás („Regierungswechsel“) blieb … | |
Schmach erspart, hinter die rechtsextreme Jobbik zurückzufallen. Von ihren | |
11 Direktmandaten holte sie 9 in Budapest. Die Grüne Partei LMP verlor 2 | |
Prozentpunkte und schaffte es mit etwas über 5 Prozent gerade noch ins | |
Parlament. | |
## Mehr in der Tasche | |
Wieso konnte es zu diesem Wahlerfolg der Rechtspopulisten und | |
Rechtsradikalen kommen? | |
Nüchtern betrachtet, geht es den meisten in Ungarn heute nicht besser als | |
vor vier Jahren. Die Wirtschaft wurde zwar stabilisiert, doch das Wachstum | |
ist bescheiden. Mindestlöhne und Pensionen sind niedrig. Arbeitslose | |
bekommen nur noch drei statt früher zwölf Monate Unterstützung. Die | |
Mehrwertsteuer von 27 Prozent (Grundnahrungsmittel: 18 Prozent) trifft | |
jene, die wenig verdienen, am stärksten. | |
Der Politanalyst Robert Polacek hat eine einfache Erklärung für den Erfolg | |
von Fidesz parat: „Für die Ungarn ist Wohlstand wichtig. Und wenn sie | |
zwischen Wohlstand und Freiheit wählen müssen, dann wählen sie eher, dass | |
mehr in der Tasche bleibt und schauen über etwaige demokratische Defizite | |
hinweg.“ | |
Tatsächlich haben viele Ungarn den Eindruck, dass ihnen mehr in der Tasche | |
bleibt. In der Vorwahlzeit wurden die Wohnnebenkosten zweimal um 10 Prozent | |
gesenkt. Per Dekret zwang Orbán die privaten Energieversorger, etwa die | |
deutsche Eon, ihre Tarife zu drosseln. Das kam gut an. Und in der | |
monatlichen Abrechnung wurde jedem Haushalt vorgerechnet, wie viel er | |
gespart hatte. Dass der Betrag auf orangefarbenem Hintergrund, also auf der | |
Farbe von Fidesz, ausgedruckt stand, muss auch dem Dümmsten klargemacht | |
haben, wem er die Wohltat zu verdanken hat. | |
## Viele blieben zu Hause | |
Der Politologe Dieter Segert, der sich an der Uni Wien auf die politischen | |
Systeme in Mittel- und Osteuropa spezialisiert hat, sieht das ähnlich: „Die | |
Ungarn sind zu sehr mit dem Überleben beschäftigt, um sich mit hoher | |
Politik auseinanderzusetzen. Viele Menschen in Ungarn leben trotz Arbeit am | |
Existenzminimum, viele brauchen mehrere Jobs. Jede Preiserhöhung ist eine | |
Katastrophe. Dass Fidesz die Wohnnebenkosten gesenkt hat, ist für diese | |
Menschen viel wichtiger als etwa das umstrittene Mediengesetz“. | |
Von jenen, die die Wohltaten der Regierung nicht verspüren, blieben viele | |
zu Hause oder machten ihrem Ärger mit einem Votum für Jobbik Luft. Die | |
Rechtsextremen, die im Wahlkampf betont sanft auftraten und auf | |
Neonazi-Sprüche verzichteten, konnten vor allem auch bei Erstwählern und | |
Studierenden punkten. | |
„Auf den Unis stehen wir in direkter Konkurrenz zu Jobbik“, sagt Katalin | |
Csiba von der grünen LMP. Da die ungarische Gesellschaft für | |
westeuropäische Begriffe insgesamt ziemlich rechts steht, werden der Ruf | |
nach der Todesstrafe und die Kampagnen gegen Roma auch nicht als | |
extremistisch empfunden. | |
Jobbik sei für die unterschiedlichste Klientel attraktiv, sagt der | |
Philosoph Gáspár Miklós Tamás: „Da sind die traditionellen Nationalisten, | |
die Siebenbürgen zurückhaben wollen und den autoritären Reichsverweser und | |
Hitler-Verbündeten Miklós Horthy als Prachtkerl feiern. Der ältere | |
Mittelstand liebt das.“ | |
Dann sei da das jüngere Publikum, „das die Neonazi-Parolen und | |
faschistische Rockbands mag. Diese Leute sind tätowiert, homophob und | |
hassen alle mit einer anderen Hautfarbe.“ Und schließlich gebe es „die | |
Naiven in den ärmsten Gegenden von Ungarn, die glauben, dass der | |
Sozialstaat schlecht ist, weil sie ihn mit den Zigeunern teilen müssen“. | |
Viktor Orbán habe, so Tamás, einen Sozialstaat für den Mittelstand | |
errichtet: „Er ist kein Vertreter der Sozialbourgeoisie oder des | |
Großkapitals. Und es gibt zwei bis drei Millionen Ungarn, die die positiven | |
wirtschaftlichen Konsequenzen seiner Politik wirklich spüren. Die sind auch | |
die Wähler. Es ist ja hauptsächlich der Mittelstand, der wählt. Die Parolen | |
sind auf die zugeschnitten, sehr geschickt und einfach.“ Bei den ärmeren | |
Menschen und in der Provinz könne der Nationalismus überzeugen: „Die weit | |
verbreitete Einstellung gegen den Westen und die EU wird geschickt genutzt. | |
Es gibt eine gängige Meinung, dass die reichen Westleute uns ausbeuten und | |
belügen.“ | |
7 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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