# taz.de -- Rita Süssmuth über Frontex: „Wir brauchen eine Quote“ | |
> Rita Süssmuth, einst Mitgestalterin des deutschen Zuwanderergesetzes, | |
> über ungenügende Regelungen der Einwanderung – und was der Papst tun | |
> könnte. | |
Bild: Flüchtlingslager in La Valetta auf Malta. | |
taz: Frau Süssmuth, die EU hat in dieser Woche neue Regeln für ihre | |
Grenzschutzagentur Frontex beschlossen. Sie soll Flüchtlingsboote auf hoher | |
See kontrollieren und zurückschicken dürfen. Was sagen Sie dazu? | |
Rita Süssmuth: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir das weiterhin | |
verantworten können. Wir können die Schleuser, die zur gefährlichen Fahrt | |
über das Mittelmeer ansetzen, nicht bekämpfen, wenn wir keine anderen | |
legalen Wege der Einwanderung nach Europa öffnen. Auch der UNHCR fordert | |
das. Ich werde die Schleuser nur los, wenn die Menschen wissen: In welche | |
Länder kann ich gehen, wer wird dort gesucht. Dafür müssen wir die | |
Bedingungen schaffen. | |
Wie könnte das geschehen? | |
Wir brauchen eine weniger scharfe Trennung: hier die Migranten, dort die | |
Flüchtlinge. Wir haben schon in unserem ersten Zuwanderungsbericht gesagt, | |
wir müssen auch bei den Asylsuchenden schauen, inwiefern wir sie aufgrund | |
ihrer Zertifikate, ihrer Kenntnisse und ihres Könnens aufnehmen sollten. | |
Wir stellen immer wieder fest, dass viele Flüchtlinge eine Ausbildung oder | |
einen Hochschulabschluss besitzen. Kanada zum Beispiel nimmt aus der Gruppe | |
der Asylsuchenden immer wieder Arbeitsmigranten auf. | |
Die Länder im Süden Europas klagen unter der Last der vielen Flüchtlinge. | |
Sie sind aber nach EU-Recht verpflichtet, diese Menschen aufzunehmen. | |
Müssen die Flüchtlinge nicht auch gerechter verteilt werden? | |
Wir brauchen da Regelungen im Sinne einer Quote. Der Ehrlichkeit halber | |
muss man sagen, dass Deutschland neben Schweden und der Schweiz schon jetzt | |
zu den Ländern gehört, die am meisten Flüchtlinge aufnehmen. Und natürlich | |
muss ich Rücksicht nehmen auf Länder wie Spanien oder Portugal. Spanien war | |
vor dem finanziellen Zusammenbruch ein Land mit einer sehr großzügigen | |
Aufnahme, aber heute finden die Menschen dort gar keine Arbeit mehr. | |
In der EU scheint es wenig Bereitschaft zu geben, am bestehenden System zu | |
rütteln. | |
Dahinter steht die Befürchtung: Wenn wir jetzt irgendetwas korrigieren, | |
dann bricht uns das ganze System zusammen. Aber wir kommen mit unseren | |
bisherigen Rezepten nicht aus, wir müssen unser Denken umstellen. Dabei | |
müssen wir immer auch die Belastbarkeit des einzelnen Landes sehen. Ich | |
kann nicht eine übergroße Zahl an Migranten nach Köln und Duisburg schicken | |
und in andere Regionen niemanden. Ich brauche den Ausgleich innerhalb der | |
Europäischen Union und den Ausgleich im einzelnen Mitgliedsland. | |
Politiker aller Parteien sind sich einig, dass man die Fluchtursachen in | |
den Herkunftsländern bekämpfen muss. Sind das nicht nur wohlfeile Worte? | |
Auch bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit müssen wir neue Wege gehen. | |
Holland und manche skandinavischen Länder sind dafür beispielhaft. Sie | |
engagieren sich in den Ländern, aus denen viele ihrer Einwanderer stammen, | |
zum Beispiel in der Verbesserung der Pflege oder in der Ärzteausbildung. | |
Oder indem Migranten, die im Norden Aufnahme gefunden haben, wieder in ihre | |
Herkunftsländer zurückgehen, um dort Kleinstunternehmen oder Kindergärten | |
und Schulen aufzubauen. Das ist ein neuer Ansatz in der | |
Entwicklungszusammenarbeit. | |
Papst Franziskus hat Europas Gleichgültigkeit gegenüber dem Los der | |
Flüchtlinge angeprangert. Was heißt das für Sie als Katholikin? | |
Der Papst hat vor Lampedusa den Kranz ins Wasser geworfen, als | |
Hoffnungszeichen. Das hat mich auf eine Idee gebracht, die Ihnen verrückt | |
erscheinen mag: Er könnte doch auch eine Gruppe von Flüchtlingen in seinem | |
Vatikanstaat aufnehmen. Auch wenn man sie hinterher wieder auf andere | |
Länder verteilt, so würde er damit ein Zeichen setzen, dass jeder von uns | |
auf seine Weise helfen kann. Das geschieht ja auch. Deutschland ist kein | |
Land, das verhärtet ist: Das erleben Sie vielfach vor Ort, wo Menschen in | |
Not, Flüchtlingen und Migranten oft unbürokratisch geholfen wird. | |
Wegen der Krise in den südlichen EU-Ländern ziehen so viele Menschen nach | |
Deutschland wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wie weit lässt sich Migration | |
heute noch aktiv steuern? | |
In Deutschland ist zu allen Zeiten gesteuert worden – auch die | |
Gastarbeiteranwerbung war, selbst wenn viele das nicht so wahrhaben | |
wollten, eine gesteuerte Zuwanderung. Richtig ist trotzdem, dass der | |
Steuerung Grenzen gesetzt sind. Die restriktivsten Asyl- und | |
Flüchtlingsgesetze können nicht verhindern, dass sich die Ärmsten der Armen | |
trotzdem auf den Weg machen. Wobei ich mich korrigieren muss: Es sind oft | |
die Stärksten, die von ihrer Familie in die Lage versetzt werden, sich auf | |
den Weg zu machen, damit sie ihnen helfen können, wenn sie im Ausland sind. | |
Dass diese Rechnung aufgeht, kann man an den hohen Quoten von Rückzahlungen | |
in die Heimat ablesen. | |
Sie haben im Auftrag der Bundesregierung mal eine Expertenkommission | |
angeführt, die eine moderne Zuwanderungspolitik für Deutschland entwerfen | |
sollte. Zwölf Jahre ist das her. Was hat sie gebracht? | |
Da gab es verschiedene Phasen. Von der Abgabe unseres Berichts im Jahr 2001 | |
bis zum Zuwanderungsgesetz 2005 war die Debatte von erheblicher Ablehnung | |
und vielen Widerwärtigkeiten begleitet. Nach 2005 hat in der Tat ein | |
Umdenken eingesetzt, und mit dem ersten Integrationsgipfel, dem Nationalen | |
Integrationsplan und den Integrationskursen wurden die Weichen neu | |
gestellt. Hinzu kam ein zunehmender Fachkräftebedarf, sodass sich der Fokus | |
der öffentlichen Debatte von den Schwächen der Migranten zu ihren | |
Potenzialen verlagert hat. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Das Wort von der Willkommenskultur hat Einzug gehalten, im Ausland | |
erworbene Examen und Berufsabschlüsse werden leichter anerkannt, und wir | |
haben ein anderes Verhältnis zu den Migrantenverbänden entwickelt. Die | |
wurden früher oft abgelehnt mit dem Hinweis, sie würden ja nur für ihre | |
Gruppe arbeiten und wollten gar keine Integration. Da sehe ich überall | |
erhebliche Verbesserungen. Aber es stimmt schon: Das hat schon sehr, sehr | |
lange gedauert, bis unsere Vorschläge angenommen wurden. 2013 wurden sie | |
erstmals auch vom Bund finanziell unterstützt. | |
Bräuchte Deutschland ein Integrationsministerium? | |
Ich glaube, das ist nicht die Lösung. Integration ist eine | |
Querschnittaufgabe, die viele Ressorts betrifft. Ein eigenes | |
Integrationsministerium müsste Bereiche aus verschiedenen Ressorts nehmen | |
und bündeln. Es muss mit anderen Aufgabenbereichen verbunden sein, sonst | |
ist es zu schwach, wie ein König ohne Geld. | |
19 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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