| # taz.de -- Flüchtlingstheater: Spielen gegen Angst und Ignoranz | |
| > In dem Stück „Grenzfaelle“ verkörpern Flüchtlinge vom Oranienplatz ihre | |
| > eigene Geschichte: Regisseurin Anna-Katharina Schröder macht Theater als | |
| > Annäherung und aufrüttelnde Agitprop. | |
| Bild: Wie kann ein Mensch illegal sein? | |
| Als „Ona“ ihren Monolog hält, wird es mucksmäuschenstill. Stumm blicken d… | |
| anderen Afrikaner auf der Bühne vor sich hin, einer nickt. Bis eben haben | |
| sie herumgealbert, jede noch so kurze Probenpause für einen Scherz genutzt. | |
| Jetzt steuert das Stück auf seinen Höhepunkt zu, „Ona“ hält der | |
| Tischgesellschaft einen flammenden Vortrag: „Wie kann ein Mensch illegal | |
| sein? Du behauptest, manche wären mehr wert als andere. Du sagst, jemand | |
| wäre besser als ein anderer aufgrund seiner Herkunft oder seiner | |
| Ausbildung. Du leugnest, dass wir alle Menschen sind. In unseren Herzen | |
| sind wir alle eins. Ohne die Vorstellungen eines Status gäbe es keine | |
| Unterschiede. Die Grenzen existieren nur in unseren Köpfen.“ | |
| Der Mann, der die Frau „Ona“ spielt, weiß, wovon er spricht. Er ist einer | |
| von sechs Flüchtlingen, die zur Zeit mit Regisseurin Anna-Katharina | |
| Schröder und vier Schauspielerinnen im obersten Stock des Kulturhauses | |
| Schlesische27 ein Theaterstück proben, das am 23. April im Heimathafen | |
| Neukölln Premiere hat. Fünf der jungen Männer haben auf dem Oranienplatz | |
| campiert, der eineinhalb Jahre von Flüchtlingen besetzt war und vor knapp | |
| zwei Wochen geräumt wurde. Der sechste lebt seit 13 Jahren „illegal“ in | |
| Deutschland, ohne Status und Papiere. | |
| Das Stück „Grenzfaelle“ behandelt ihre Probleme: jahrelange Ungewissheit | |
| und Angst vor der Abschiebung, keine Arbeitserlaubnis, kein Geld, keine | |
| Zukunft. Und es handelt davon, dass ihr Schicksal den meisten Deutschen | |
| herzlich egal ist, die Mauer zwischen Hiesigen und „Fremden“ unüberwindlich | |
| scheint. | |
| Zwischen Flüchtlingen und Theaterfrauen ist von Fremdheit allerdings nichts | |
| zu spüren: Alle sind gleichermaßen aufgeregt an diesem Nachmittag, als sich | |
| die taz angesagt hat und die erste Stellprobe ohne Textbücher ansteht. Die | |
| eintrudelnden Männer werden von den Frauen reihum gedrückt und geherzt, | |
| kichernd die letzten Neuigkeiten ausgetauscht. Annina Butterworth, eine der | |
| Schauspielerinnen, erzählt über die Zusammenarbeit: „Wir sind alle sehr | |
| motiviert, etwas mitbewirken zu dürfen. Und aufgrund der Brisanz des Themas | |
| sind alle authentisch und mit viel positiver Energie dabei.“ Ihre Kollegin | |
| Alexandra Krüger beeindruckt vor allem die „positive Dynamik“ der Männer, | |
| die angesichts ihrer Geschichte umso erstaunlicher sei: „Da können wir | |
| Europäer uns eine Scheibe abschneiden.“ | |
| Doch bei aller Leichtigkeit holt der Flüchtlingsalltag die Theaterwelt | |
| immer wieder ein: Gerade musste einer der Männer nach Spanien wegen seiner | |
| Papiere. Und wer weiß, ob nicht vor der Premiere noch jemand abgeschoben | |
| wird? „Die einzige Sicherheit hier ist die Begeisterung und Freude am | |
| gemeinsamen Spiel“, sagt Regisseurin Schröder. | |
| „Ona“, der eigentlich anders heißt, aber wie die anderen mit seinem | |
| Rollennamen zitiert werden möchte, ergänzt: „Wir haben Angst vor der | |
| Polizei, kein Geld und kaum Essen – aber wir spielen.“ Warum, erklärt | |
| „Momo“, der lange Zeit Teil der Mediengruppe vom Oranienplatz war, so: | |
| „Theater ist Spaß, und den braucht man, um den ganzen Stress zu vergessen.“ | |
| Außerdem sei es eine gute Möglichkeit, den Zuschauern eine Geschichte zu | |
| erzählen: „Die Leute wissen ja gar nicht, wer wir sind.“ | |
| Auch Anna-Katharina Schröder hatte mit Flüchtlingen früher nichts zu tun – | |
| bis zu einer Demo der Oranienplatz-Flüchtlinge im Herbst. „Ich wurde | |
| gepackt von der Atmosphäre und der großartigen Energie dieser Menschen“, | |
| erzählt die 25-Jährige. Sofort sei sie entschlossen gewesen, etwas über die | |
| Flüchtlinge und mit ihnen zu machen. Noch auf der Demo habe sie Menschen | |
| angesprochen. „Es geht mir um die persönliche Begegnung: Inwieweit sind wir | |
| offen für ’die Anderen‘ und sie für uns?“ Aber auch politisch will Schr… | |
| etwas bewegen, die Zuschauer „konfrontieren“. | |
| Angst vor billigem Agitprop hat die Jung-Regisseurin, die unter Dimiter | |
| Gotscheff am Deutschen Theater assistiert hat, auf jeden Fall nicht. Ihre | |
| Botschaft ist klar und deutlich: Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für | |
| alle, die jetzt hier sind. „Grenzen auf für alle“, will Schröder allerdin… | |
| auch nicht. „Das geht nicht“, sagt sie ohne Zögern. Eine Lösung für die | |
| Flüchtlingsproblematik habe sie nicht – aber eine Hoffnung: „Wenn wir es | |
| schaffen, unsere persönlichen Vorurteile, also unsere eigenen Grenzen | |
| abzubauen, können wir irgendwann auch politisch etwas ändern. Wir müssen | |
| rauskommen aus unseren selbst gebauten Käfigen.“ | |
| In denen stecken zu Beginn des Stücks alle Protagonisten: Jack, ein | |
| ehemaliger Flüchtling, hat sich zum Geschäftsmann hochgearbeitet und will | |
| von seiner Herkunft nichts mehr wissen. Er ist verheiratet ist mit Marie, | |
| die zu seinem Entsetzen ein paar Flüchtlinge aus Afrika zu einem wichtigen | |
| Geschäftsessen mitbringt. Marie wiederum behandelt die Flüchtlinge | |
| herzlich, aber von oben herab, indem sie ihnen Jacks Anzüge aufnötigt und | |
| permanent ihre Sprache korrigiert. Die Politikerin, von der Jack eine | |
| Baugenehmigung braucht, ist eine klischierte Vertreterin ihres | |
| Berufsstands: Sie redet viel und jedem nach dem Mund, ohne sich festnageln | |
| zu lassen. Und dann gibt es noch die Anwältin, mit der Jack seine Geschäfte | |
| auskungelt, und die eine schlichte Vertreterin des | |
| Das-Boot-ist-voll-Flügels ist. | |
| Bevor die Tischgesellschaft von den aufeinander prallenden Welten gesprengt | |
| wird, unterbricht die Regisseurin die Probe. Ihr Zettel ist voll mit | |
| Anmerkungen, im nächsten Durchgang soll es an die Feinheiten der Szene | |
| gehen. Doch dann stürmt einer der Männer ans Klavier und leitet mit | |
| kräftigen Akkorden die Pause ein. | |
| Beim Gespräch im Treppenhaus erzählt „Jack“ seine Geschichte: Vor 13 Jahr… | |
| kam der heute 42-Jährige nach Europa, er lebt ohne Papiere, also illegal in | |
| Berlin. Mehr will er nicht verraten über sich, die Angst entdeckt zu | |
| werden, ist zu groß. „Aber ich lebe ganz normal. Auch wenn ich nicht weiß, | |
| was morgen passieren wird“, sagt er – und strahlt dabei so vergnügt und | |
| sorglos, dass man es fast glauben kann. | |
| Dann holt er seinen Freund „Momo“ dazu, durch den er zu dem Theaterprojekt | |
| kam. „Wir haben uns in Mecklenburg-Vorpommern im Heim kennen gelernt“, | |
| erzählt „Jack“. „Momo“ hat in seiner Heimat in einer Theatergruppe | |
| gespielt. Jetzt ist er einer der Altgedienten im Berliner | |
| Flüchtlingsprotest, im September 2012 kam er zu Fuß aus Hamburg nach | |
| Berlin. Seitdem lebte er am Oranienplatz. | |
| Dass der Bezirk den Platz nun hat räumen lassen, ist für „Momo“ ein herber | |
| Schlag: Ohne das Camp, befürchtet er, fehlt ein öffentlich sichtbarer Ort, | |
| um „die Bewegung“ fortzuführen. „Natürlich brauchen wir auch ein Haus z… | |
| Schlafen und Sachen waschen.“ Er selbst sei nach der Räumung bei Freunden | |
| untergekommen. Aber weiterhin gebe es für die Flüchtlinge keine Garantie, | |
| dass sie nicht über kurz oder lang abgeschoben werden. | |
| Dann geht „Momo“ zurück zu den anderen, die Probe wird fortgesetzt. Auch | |
| die Bühne ist ein Ort des Protests. | |
| ## ■ 23. April, Premiere im Heimathafen Neukölln, weitere Aufführungen: | |
| 26./27. 4. und 6./7. 5. ■ | |
| 18 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| ## TAGS | |
| Kreuzberg | |
| Flüchtlinge | |
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