# taz.de -- Flüchtlingsheime in Berlin: „Es fehlen klare Sanktionen“ | |
> Die Kontrollen über die Zustände in Flüchtlingsheimen reichen nicht aus, | |
> sagt der Piraten-Abgeordnete Fabio Reinhardt. Deshalb schaut er | |
> unangemeldet vorbei. | |
Bild: Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf | |
taz: Herr Reinhardt, Sie führen gemeinsam mit Abgeordneten der anderen | |
Oppositionsparteien Grüne und Linke unangemeldete Kontrollen in Berliner | |
Flüchtlingsheimen durch. Für die Kontrolle ist eigentlich die Heimaufsicht | |
beim Landesamt für Gesundheit und Soziales zuständig. Haben Sie zu denen | |
kein Vertrauen? | |
Fabio Reinhardt: Die Kontrollen des Landesamts sind nicht ausreichend. Sie | |
finden ja erst wieder seit Ende 2013 und auch nur auf Druck der Opposition | |
statt. Unsere Fraktion hat die Protokolle dieser Kontrollen gelesen und | |
stellte fest, dass sie in aller Regel angemeldet stattfinden und private | |
Heimbetreiber dann dem Senat auf der Nase herumtanzen. | |
Wie tanzen sie denn dem Senat auf der Nase herum? | |
Beispielsweise bemängelte der Senat, dass in Sanitärräumen keine Mülleimer | |
stehen. Die Antwort des Betreibers Gierso war: Dann stellen wir die eben | |
auf und wir schicken dem Senat die Rechnung. Eigentlich müssten sie dazu | |
aber das Geld aus ihren Tagessätzen verwenden. Bei anderen Auflagen wurde | |
mit juristischen Spitzfindigkeiten argumentiert, warum sie nicht erfüllt | |
werden müssten. Es fehlen klare Sanktionen des Landes. Und schließlich | |
trifft sich das Landesamt im Vorfeld einer Kontrolle nicht mit Bewohnern | |
und Unterstützern, die ihnen genau sagen, wo in den einzelnen Heimen die | |
Probleme sind. Das haben wir als Opposition aber getan. | |
Gierso betreibt das von Ihnen erwähnte Heim in einer ehemaligen Schule in | |
Wedding. Ihre Grünen-Kollegin Canan Bayram verglich die Bedingungen in | |
diesem offiziellen Flüchtlingsheim einmal mit denen in der besetzten | |
Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg. | |
Den Vergleich hat Frau Bayram gewählt, um die Kritik der CDU an der | |
Gerhard-Hauptmann-Schule zu relativieren. Mein Ansatz ist ein anderer. In | |
einer offiziellen Einrichtung des Landes Berlin, und das ist die Schule in | |
Wedding, müssen Standards stimmen. Der Senat sagt, das ist nur eine | |
Notunterkunft. Aber viele Bewohner wohnen schon deutlich länger als ein | |
Jahr in solchen miesen Notunterkünften. Das verstößt gegen die | |
Menschenwürde. | |
Beispielsweise müssen acht ledige Männer in einem Klassenraum leben, der | |
mit einfachen Stoffdecken bis zu zwei Drittel der Raumhöhe in drei Teile | |
unterteilt ist. Der Klassenraum hat aber nur eine einzige Neonlampe. Sie | |
können nicht entscheiden, wann sie Licht machen. Nicht jeder Bewohner hat | |
einen Zimmer- und Toilettenschlüssel. Das heißt, man kann nicht | |
entscheiden, wann man ins Zimmer geht und wann zur Toilette. Das ist eine | |
massive Einschränkung der Selbstbestimmung. Das Gebäude ist als Unterkunft | |
einfach ungeeignet und muss geschlossen werden. | |
Wie sieht es mit den Sanitäranlagen dort aus? | |
In der zweiten Etage hat zum Zeitpunkt unserer Kontrolle keine einzige | |
Männertoilette funktioniert. Alle Duschen waren zu diesem Zeitpunkt | |
entweder verschlossen, nicht funktionstüchtig oder es kam nur kaltes Wasser | |
heraus. Als Piraten haben wir in diesem Heim mal einen angemeldeten Besuch | |
gemacht. Da haben die Duschen funktioniert. Insofern hatte der | |
unangemeldete Besuch einen Mehrwert. | |
In der ehemaligen Weddinger Schule erhielt eine private Initiative | |
Hausverbot, die sich um die Kinder kümmerte und Kritik der Bewohner | |
aufgriff. Besteht das Problem noch? | |
Ja, ebenso in anderen Heimen mit privaten Betreibern – im Unterschied zu | |
Heimen mit gemeinnützigen Trägern. Private Betreiber schotten sich oft | |
gegen Kritik ab. Eine ehemalige ehrenamtliche Helferin hat uns bei der | |
Kontrolle in dem Gierso-Heim begleitet. Mit uns gemeinsam kam sie nach | |
Wochen erstmals wieder in das Heim. Als wir ins Kinderspielzimmer kamen, | |
haben etwa 20 Kinder alles stehen und liegen gelassen und sich der Frau in | |
die Arme geworfen. So eine enge Bindung bestand. Und die wurde durch das | |
Hausverbot unnötig zerstört. Das Land soll nun in Sachen Hausverbot einen | |
Schiedsspruch fällen, doch der lässt auf sich warten. | |
Kritik haben Sie auch an der neuen Unterkunft im Neuköllner Ortsteil Britz | |
geübt. Was stimmt hier nicht? | |
Die Unterkunft ist wohl etwas überstürzt in Betrieb genommen worden. Das | |
Kinderzimmer war noch nicht eröffnet und die Betreuung noch nicht geregelt. | |
Da muss noch nachgebessert werden. Sehr bedenklich ist die flächendeckende | |
Videoüberwachung im Innenbereich. Die scheint auch andere Heimen der | |
privaten Firma Pewobe zu betreffen. Der Eingang und sämtliche Flure werden | |
videoüberwacht. Die Bilder werden wohl auch aufgezeichnet, wie lange, ist | |
unklar. Der Datenschutzbeauftragte kennt das Problem und wir bleiben auch | |
dran. | |
22 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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