# taz.de -- Syrer in Schleswig-Holstein: Einsames Warten | |
> In Deutschland lebende Syrer sollen unbürokratisch ihre Verwandten | |
> einladen dürfen. In der Praxis klappt das jedoch nicht. | |
Bild: Hofft, seinen Bruder bald bei sich zu haben: Ibrahim A. aus Syrien. | |
NEUMÜNSTER taz | Ibrahim A. wartet auf Post – vom Innenministerium, von der | |
Ausländerbehörde, von wem auch immer. „Aber ich erfahre nichts, ich weiß | |
nichts“, sagt der 32-jährige Syrer, der seit zwei Jahren in | |
Schleswig-Holstein lebt. So geht das Warten weiter, und damit die | |
Unsicherheit für A.s Bruder Ali. Der hält sich momentan in der Türkei auf, | |
lebt mit neun Landsleuten in einer engen Wohnung, schlägt sich mit | |
Aushilfsjobs durch. | |
Ende vergangenen Jahres wuchs die Hoffnung, dass Ali zu seinem Bruder nach | |
Neumünster reisen könnte: Im Land lebende Syrer sollten vergleichsweise | |
unbürokratisch ihre Verwandten einladen dürfen, die auf der Flucht vor dem | |
syrischen Bürgerkrieg sind. Schon damals warnten Flüchtlingsorganisationen, | |
dass die Hürde hoch ist. Das zeigt sich auch in Schleswig-Holstein. Für | |
3.511 Menschen wurden Anträge gestellt, eingereist ist bisher kein | |
einziger. „Aktuell läuft das Prüf- und Aufnahmeverfahren des Bundesamtes | |
für Migration und Flüchtlinge“, teilt das Kieler Innenministerium auf eine | |
Anfrage der Piraten-Fraktion mit. | |
Nicht verwunderlich, findet die Arbeitsgemeinschaft der | |
Landesflüchtlingsräte: „Die Aufnahmeprogramme der Länder sind falsch | |
konstruiert“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme vom Dezember. So | |
gebe es in einzelnen Bundesländern Kontingente, zudem seien bestimmte | |
ethnische Gruppen wie Kurden oder Palästinenser ausgeschlossen. | |
Auf Ibrahim A. trifft zumindest das nicht zu: Er und sein Bruder sind Syrer | |
und besitzen entsprechende Pässe. Beide fürchten, bei der Einreise in ihr | |
Herkunftsland dazu gezwungen zu werden, sich einer kämpfenden Seite | |
anzuschließen. Ibrahim A., der nach seinem zweijährigen Aufenthalt in | |
Schleswig-Holstein bereits fließend Deutsch spricht, hat vor seiner Flucht | |
in Dubai als Logistikmanager bei einem international tätigen Unternehmen | |
gearbeitet. | |
In Deutschland – „das beste Land überhaupt“ – arbeitet er allerdings | |
zurzeit noch nicht. Das macht es ihm schwer, Verwandte einzuladen. Denn die | |
„Bereitschaft der Bezugspersonen zur Übernahme eines gewissen | |
Kostenbeitrags“ ist eines der Kriterien für die Auswahl der Verwandten, die | |
nach Deutschland einreisen dürfen. Laut Antwort des Kieler Ministeriums sei | |
die „Höhe und Form dieses Beitrags unerheblich“. Mit dem Problem steht | |
Ibrahim A. nicht allein: Gerade wer selbst als Flüchtling kommt, besitzt in | |
der Regel kaum Mittel, um Eltern oder Cousinen aus eigener Kraft | |
nachzuholen und zu versorgen. | |
Angesichts dieser Probleme sei unklar, wann die ersten Familienangehörigen | |
nachkommen dürfen. Auch wie viele Menschen es letztendlich werden, mag das | |
Ministerium nicht beantworten. „Unter Berücksichtung der bisher | |
eingegangenen Anträge ist mit einer Aufnahme von deutlich über 120 Personen | |
zu rechnen“, heißt es weiter in der Antwort des Ministeriums, die der taz | |
vorliegt. | |
„Die Antwort wirft leider diverse neue Fragen auf“, sagt Angelika Beer, | |
Abgeordnete der Piraten-Fraktion. Unklare Kriterien, unbekannte | |
Wartezeiten: „Das ist Stochern im Nebel, keine humanitäre | |
Flüchtlingspolitik.“ Nach Beers Kenntnis sei – anders als in der Antwort | |
formuliert – doch mindestens eine Familie über die „Nachzugsregelung“ na… | |
Schleswig-Holstein gekommen, auch wenn sie eigentlich nach Münster statt | |
nach Neumünster wollte. Vor allem kritisiert Beer, dass die syrischen | |
Familien im Unklaren gelassen werden, ob ihre Verwandten einreisen dürfen | |
oder im Auswahlverfahren gescheitert sind. | |
Ibrahim A. bereitet sich unterdessen auf die Prüfung zum | |
Verwaltungsfachwirt vor: „Das ist BWL, mit ziemlich schwieriger | |
Fachsprache“, sagt er. In fünf Monaten kann er den Abschluss in der Tasche | |
haben und auf Arbeit hoffen. Vielleicht probiert er es dann erneut, seinen | |
Bruder nachzuholen – falls die Zeit reicht. Die Antragsfrist für den | |
Familiennachzug endet im September. | |
22 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Esther Geisslinger | |
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