| # taz.de -- Streit um Flüchtlingsunterbringung: Schnell umziehen bis Dienstag | |
| > Das Land kündigt Gierso, einem Betreiber von fünf Flüchtlingsheimen. Für | |
| > 800 Menschen muss nun binnen Tagen ein Obdach gefunden werden. | |
| Bild: Die Firma Pewobe setzte im März 300 Flüchtlinge auf die Straße. Droht … | |
| Das Land Berlin hat am Mittwoch seine Verträge mit der Firma Gierso | |
| Boardinghaus Berlin fristlos gekündigt. Das Unternehmen ist Betreiber von | |
| fünf Flüchtlingsunterkünften mit rund 900 Bewohnern. Nach Darstellung von | |
| Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) hat Gierso gedroht, | |
| alle BewohnerInnen am kommenden Dienstag vor die Tür zu setzen. Nun werde | |
| man die Betroffenen bis dahin anderweitig unterbringen, erklärte sie in | |
| einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Die Kündigung der Verträge | |
| sei eine Reaktion auf die Drohung der Firma. „Wir lassen uns nicht | |
| erpressen“, begründete sie den drastischen Schritt. | |
| Hintergrund des Streits sind offenkundige Geldprobleme von Gierso. Im Mai | |
| hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) laut Breitenbach | |
| einen „Pfändungs- und Überweisungsbeschluss“ erhalten. Das bedeutet, die | |
| monatlichen Überweisungen des LAF an die Gierso für laufende Kosten werden | |
| seither für Forderungen von Dritten an die Firma gepfändet. | |
| Darüber hinaus, so Breitenbach, gebe es schon länger einen Streit zwischen | |
| Gierso und dem LAF über Forderungen der Firma in Höhe eines siebenstelligen | |
| Betrages. Dieses Geld wolle Gierso „für Umbauten und Ähnliches“ erstattet | |
| bekommen, so die Senatorin. Die Forderungen seien zum Teil geprüft, ein | |
| Drittel bereits abgelehnt worden. Aber kurz nach Bekanntwerden des | |
| Pfändungsbeschlusses habe Gierso dem Land ein Ultimatum gestellt: „Wenn wir | |
| die Forderungen nicht erfüllen, würden sie ihre Unterkünfte zum 27. Juni | |
| schließen.“ | |
| ## Optionen werden geprüft | |
| Um eine drohende Obdachlosigkeit der BewohnerInnen zu verhindern, würden | |
| nun verschiedene Optionen geprüft, erklärte die Senatorin. Eines der | |
| betroffenen Heime mit 100 Plätzen, das sich in der Staakener Straße in | |
| Spandau befindet, könne weiter betrieben werden, weil die Immobilie dem | |
| Land Berlin gehört. Daher würden nun Ausweichquartiere für 800 Menschen | |
| gesucht. | |
| Das LAF werde sich um sie alle kümmern, versprach Breitenbach, obwohl ein | |
| Teil von ihnen bereits anerkannte Flüchtlinge seien, für deren | |
| Unterbringung und Versorgung die Bezirke und Jobcenter zuständig sind. Auch | |
| gebe es in manchen Heimen offenbar Wohnungslose, die ebenfalls durch die | |
| Bezirke untergebracht werden. „Wir haben keine genauen Zahlen“, gab die | |
| Senatorin zu, die Gierso rücke ihre Listen seit einiger Zeit nicht mehr | |
| heraus. | |
| Die BewohnerInnen, darunter auch Familien mit Schulkindern, sollten nach | |
| Möglichkeit in andere Gemeinschaftsunterkünfte in der Nähe umziehen, sofern | |
| dort Kapazitäten frei seien. | |
| „Wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt: Wir haben auch neue, fertige | |
| Unterkünfte, die wir zur Not nehmen können“, sagte Breitenbach. Diese seien | |
| jedoch eigentlich für andere Umzüge geplant, die sich dann verzögern | |
| würden. | |
| ## Ähnlich wie bei Pewobe | |
| Die Affäre weist auffallende Parallelen mit dem „Fall Pewobe“ auf. Dieser | |
| Firma des umstrittenen Unternehmers Helmuth Penz, der seit den 90er Jahren | |
| mit der Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen für das Land Berlin | |
| sehr viel Geld verdient hat, hatte noch Breitenbachs Vorgänger Mario Czaja | |
| (CDU) im vorigen Spätsommer gekündigt. Hintergrund waren auch hier | |
| jahrelange Streitigkeiten um Geldforderungen der Pewobe beziehungsweise | |
| Rückforderungen vom Land für bezahlte, aber nicht erbrachte Leistungen wie | |
| etwa nicht vorhandenes Personal. | |
| Trotz der Kündigung betrieb die Pewobe einen Teil der Heime weiter, auch | |
| weil das Land keine alternativen Unterbringungsmöglichkeiten hatte. Im März | |
| setzte die Firma 230 Flüchtlinge, für die das LAF zuständig war, auf die | |
| Straße. Seither beherbergen die verbliebenen drei Pewobe-Heime nur noch | |
| anerkannte Flüchtlinge in Bezirkszuständigkeit. | |
| Eine weitere Verbindung zwischen Pewobe und Gierso: Lange Jahre war Penz | |
| Geschäftsführer von Gierso und hielt zudem 25 Prozent der Anteile an der | |
| GmbH. Beide Firmen erhielten immer wieder Aufträge vom Landesamt für | |
| Gesundheit und Soziales (Lageso), zu dem das LAF früher gehörte – teils | |
| ohne Ausschreibung und obwohl es immer wieder Beschwerden gab, dass die | |
| Firmen ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht einhalte, etwa zu wenig | |
| Sozialarbeiter in den Heimen beschäftigte. | |
| Ein besonderes Geschmäckle bekam dies, weil der seit 2012 amtierende | |
| Gierso-Geschäftsführer Tobias Dohmen ein Patenkind des früheren | |
| Lageso-Chefs Franz Allert war. Im Dezember 2015 trat Allert zurück. | |
| Offiziell allerdings nicht deswegen, sondern wegen des Chaos am Lageso im | |
| Zuge des Flüchtlingsansturms 2015. | |
| ## Die Patensohn-Affäre | |
| Unangenehm wurde es für Gierso und Pewobe, als nach Bekanntwerden der | |
| „Patensohn-Affäre“ im November 2014 das Lageso die Zügel anzog: Die | |
| Abrechnungen beider Firmen wurden nachgeprüft, das Amt erhob | |
| Rückforderungen in Millionenhöhe. Im September 2016 gab es eine | |
| großangelegte Razzia: 36 Wohnungen und Büros beider Firmen wurden | |
| durchsucht wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs. Auch gegen | |
| Behördenmitarbeiter wird seither ermittelt. | |
| Wirtschaftlich hat all dies den Unternehmen sicher nicht gutgetan. Die | |
| Pewobe, nur ein kleines Licht im weiten Firmennetz von Penz, wurde in | |
| Berlin Castle umbenannt und hatte zwischenzeitlich Insolvenz angemeldet. | |
| Jetzt scheint Gierso die Luft auszugehen. Das ergibt sich auch aus der | |
| Unternehmensbilanz. Danach hatte Gierso bereits im Jahr 2015 | |
| Verbindlichkeiten, vulgo: Schulden, und zwar in Höhe von knapp sechs | |
| Millionen Euro – bei null Euro Eigenkapital. Demgegenüber standen | |
| Forderungen von etwas mehr als sechs Millionen Euro – was das Geld sein | |
| dürfte, das man nun dringend vom Land haben wollte. Sollte dies nicht | |
| zahlen, dürfte eine Insolvenz nur schwer zu verhindern sein. | |
| Eine von Gierso für Mittwochnachmittag angekündigte Stellungnahme ist bis | |
| Redaktionsschluss nicht eingetroffen. | |
| 22 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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| Unterbringung von Geflüchteten | |
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