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# taz.de -- Kolumne Wir lassen lesen: „Fußball, Macht und Diktatur“
> Von der Nazi-Diktatur bis heute wurde der Fußball instrumentalisiert. Das
> Buch „Fußball, Macht und Diktatur“ dokumentiert Beispiele und enttarnt
> Mythen.
Bild: In „Fußball, Macht und Diktatur“ thematisiert: Stalin und der Rasenb…
Ein Wissenschaftler-Team der Universität Graz und des Ludwig Boltzmann
Institutes für Kriegsfolgenforschung hat das nicht ganz neue Thema der
Instrumentalisierung des Massenspektakels Fußball für ein Herrschaftssystem
untersucht – mit besonderer Berücksichtigung autoritär-diktatorischer
Regime.
Den Ausgang nahm das Projekt 2012 in der Steiermark, indem die Beziehungen
zwischen der Nazi-Diktatur und den populären Vereinen Sturm Graz und GAK
unter die Lupe genommen wurden. Der GAK gilt als Kern der Kollaboration mit
den Herrschenden, Sturm Graz wird von den Anhängern immer noch naiverweise
als der prototypisch „unpolitische Klub“ missverstanden.
Schon in diesem Zusammenhang zeigt sich die Vielschichtigkeit des Problems.
Die klare Beschreibung des einen Vereins, GAK, als Nazi-Kernzone mit
Arierparagraf ist historisch ebenso wenig „eindeutig“ wie die angeblich
apolitische Vergangenheit von Sturm Graz. Das theoretische Konstrukt der
Instrumentalisierung ist vielleicht zu grob, blendet es doch die Vielfalt
der Eigeninteressen der handelnden Personen weitgehend aus.
Doch die Schwierigkeit darf auch nicht über die bis heute laufenden
Versuche hinwegtäuschen, Sportler, Mannschaften und Sport-Events wie die
eben vergangenen Olympischen Winterspiele und Paralympics für politische
Interessen einzuspannen. Ein konsequenter Vertreter der Herrschenden ist
der Präsident des Österreichischen Skiverbandes, der Unternehmer Peter
Schröcksnadel.
Rechtzeitig vor dem Beginn der Winterspiele in Sotschi legte er „seinen“
Sportlern nahe, sich politischer Kommentare zu enthalten. Hatte er Angst,
die Interessen und die Imagepolitur des russischen Präsidenten Wladimir
Putin könnten durch kecke Stellungnahmen österreichischer Athleten
gefährdet werden?
## Herrschende Verhältnisse zementieren
Schröcksnadel steht in einer Tradition von Sportfunktionären, die
herrschende Machtverhältnisse zementieren, indem sie Sportlern und Publikum
Keuschheit predigen. Im vorliegenden Buch zitiert der Historiker Matthias
Marschik den österreichischen Fußball-Nationaltrainer Edi Frühwirth:
„Burschen, das geht uns nichts an.“ Nämlich die politischen und alle
anderen Verhältnisse im Dritten Reich, ausgenommen das Fußballspielen.
Heute ist der „Kaiser“ Franz Beckenbauer ein Proponent der Volks- und
Sportlerverdummung, indem er beispielsweise nach einem Ausflug ins Land des
WM-Ausrichters Katar (2022), wo nach Angaben des Internationalen
Gewerkschaftsbundes ungewöhnlich viele Arbeiter auf den WM-Baustellen
sterben, bekannt gab, er habe „keine Sklaven“ bemerkt.
Brisant wird die Untersuchung dort, wo hierzulande unbekannte
Forschungsgebiete beleuchtet werden. So erzählt der Vizedirektor des
Moskauer Staatsarchivs für Zeitgeschichte, Michail Prosumenschikow, über
den Fußball zu Zeiten des sowjetischen Diktators Josef Stalin und seines
Nachfolgers Nikita Chruschtschow.
So waren die Ergebnisse der 1936 erstmals ausgetragenen sowjetischen
Meisterschaft nicht nur von den sportlichen Leistungen der
Klubmannschaften, sondern auch von den administrativen Muskeln ihrer hohen
politischen Gönner bestimmt. Eine (nicht auf die UdSSR beschränkte)
Eigenart war auch die Zuordnung gewisser Klubs zu Machtzentren. So galt Lok
Moskau als Domäne der UdSSR-Verkehrsbetriebe.
## Enttarnte Mythen
Die propagandistische Wirkung nach innen scheint freilich unumstritten, der
Europameistertitel 1960 (im Finale 2:1 über Jugoslawien) wird dem
Sowjetregime nicht geschadet haben. In der Ukraine wird bis heute ein
Mythos beschworen, demzufolge ein 1942 errungener Sieg von Dynamo Kiew über
eine Auswahl der deutschen Wehrmacht im wahrsten Sinn des Wortes tödlich
für die beteiligten Ukrainer endete. Stimmt nicht, schreibt der Journalist
Thomas Urban.
In Polen wiederum geht bis heute vor jedem einschlägigen Ländermatch die
Medienmär um, die „Wasserschlacht von Frankfurt“ während der EM-Endrunde
1974 habe die Startruppe rund um Kazimierz Deyna und Grzegorz Lato gegen
den späteren Weltmeister Deutschland nur deswegen 0:1 verloren, weil die
deutschen Platzwarte bloß die vom Regen überschwemmte Platzhälfte vor dem
Tor der Polen säuberten. Die polnischen Angreifer konnten daher die Kugel
gar nicht ins deutsche Tor bugsieren, weil sie stets rechtzeitig in einer
(deutschen) Wasserlache stecken blieb.
24 Apr 2014
## AUTOREN
Johann Skocek
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