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# taz.de -- SPD-Vize Ralf Stegner: Der Antreiber
> Er ist politmedialer Profi. Stegner hadert nicht damit, dass ihm seine
> Partei den Job als Generalsekretär verweigerte. Er macht ihn einfach
> trotzdem.
Bild: Ralf Stegner ist nicht schlecht gelaunt. Er guckt einfach gern so.
BERLIN/LAHR/BIBERACH taz | Heinz Siefert ist extra die acht Kilometer aus
Kippenheim nach Lahr gefahren, um dieses Lob mal persönlich loszuwerden.
Der SPD-Ortsverein tagt im Gasthof Löwen, sie haben drei der runden Tische
zusammengerückt. 20 Genossen, mehrere ergraute Haarschöpfe, sind gekommen,
um dem wichtigen Besuch aus dem Norden zuzuhören. Siefert, 54 Jahre, beiger
Pulli und Vollbart, hebt die Hand.
„Uns fehlt eine ehrliche Haut ganz vorne, die ausspricht, was viele
Sozialdemokraten denken.“ Siefert beugt sich vor. „Ich hätte mir gewünsch…
dass du den Job bekommst, Ralf.“ Viele im Raum nicken.
Für Ralf Stegner, ebenfalls 54, müssen solche Momente eine Genugtuung sein.
Er wartet zwei Sekunden, genießt, dann stemmt er sich hoch. Gerade hat er
über die Erfolge der SPD in den ersten 100 Tagen der Koalition geredet,
jetzt muss er über seinen eigenen Misserfolg sprechen.
Stegner ist der profilierteste SPD-Linke der Republik, ein Schnellredner
mit latentem Hang zur Provokation, ein Vollprofi im politmedialen Business.
Seit Neuestem ist er auch stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD,
oder genauer: nur stellvertretender Bundesvorsitzender.
## Frau statt Mann
Als die plötzlich regierende SPD Ende vergangenen Jahres einen neuen
Generalsekretär suchte, machte sich Stegner berechtigte Hoffnungen. Doch
den Job bekam eine Frau, weil SPD-Chef Sigmar Gabriel auffiel, dass seine
Regierungstruppe allzu männlich wirkt. Yasmin Fahimi, Tochter eines
iranischen Vaters, Frau eines mächtigen Gewerkschaftsbosses und Mitglied im
wichtigen Landesverband Niedersachsen. Stegner musste sich mit dem
Vizevorsitz begnügen.
Was tun, wenn einem der eigene Laden den Traumjob verweigert hat? Wie geht
ein impulsiver Typ wie Stegner damit um, wenn eine Mission scheitert? Sucht
er sich eine Neue? Er macht zunächst einen Scherz. Stegners Mund ist leicht
nach unten gebogen, deshalb sieht sein kantiges Gesicht unter der
Stirnlocke etwas missmutig aus. Jetzt rutschen die Mundwinkel einen halben
Zentimeter hoch.
„Ich komme weder aus NRW noch aus Niedersachsen und mein
Migrationshintergrund reicht von Rheinland-Pfalz nach Schleswig-Holstein.“
Es sei ja richtig, dass die SPD ihre Stellen nicht nur mit Kerlen besetze.
„Aber wir brauchen ein paar mehr Angriffsspieler im Team. Da versuche ich,
meinen Beitrag zu leisten.“
Die Antwort ist ein typischer Stegner. Ein bisschen ironisch, aber sie
trifft den Kern. Sie enthält eine kleine Unverschämtheit. Und sie
verschweigt die andere, für Stegner nicht so hübsche Hälfte der Wahrheit.
Denn: Ja, die nicht zu bestreitende Tatsache, dass Stegner ein Mann ist,
war nicht hilfreich. Aber SPD-Chef Sigmar Gabriel scheute auch davor
zurück, einen Unkontrollierbaren ins Regierungsgeschäft einzubinden.
## Dorfgastwirte aus der Vorderpfalz
Stegner wäre nicht Stegner, käme er damit nicht klar. Er hat sich sein
ganzes Leben lang durchgebissen. Seine Eltern waren Dorfgastwirte in der
Vorderpfalz, sie schmissen den Goldenen Pflug in Maxdorf, fünfzehn Jahre,
ohne Ruhetag. Stegner war das mittlere von fünf Kindern. Damals stellten
Gymnasien in Rheinland-Pfalz die Schulbücher nicht umsonst. Also fuhr der
Jugendliche mit der Bahn nach Mannheim, Baden-Württemberg. Sieben Jahre
lang, 20 Minuten hin, 20 zurück.
Aus der Pfalz schaffte er es zur Studienstiftung des deutschen Volkes, dann
nach Harvard. Mit 30 fing er als Pressereferent im Arbeitsministerium in
Schleswig-Holstein an, mit 36 war er Staatssekretär. Dann Finanz- und
Innenminister, heute ist er in Kiel Fraktions- und Landeschef.
Seitdem ihn die Partei als Generalsekretär verschmähte, ja nun, seitdem
leistet er eben seinen Beitrag im Angriffsspiel der SPD. Er tut das recht
erfolgreich. Kaum ein Tag vergeht ohne Stegner-Zitat in den Agenturen, ohne
Stegner-Interview im Radio, ohne Stegner-Einschätzung auf Twitter, wo er
seine 15.800 Follower täglich mit einem einem Musiktipp begrüßt. Ziemlich
viele Deutsche dürften inzwischen Stegners Mundwinkel und seine näselnde
Stimme kennen. Und ziemlich wenige Frau Fahimi.
Als das Land über Uli Hoeneß und Steuerbetrug diskutiert, nennt Stegner die
straffreie Selbstanzeige das „Relikt einer feudalen Gesinnung“. Als die
Schweizer beschließen, Zuwanderer auszusperren, twittert Stegner: „Die
spinnen, die Schweizer. Geistige Abschottung kann leicht zur Verblödung
führen.“ Als ihn der Parlamentsreporter der Leipziger Volkszeitung mal
wieder wegen Rot-Rot-Grün anruft, sagt Stegner, Angela Merkel müsse weg.
Erst 2017, natürlich.
## Die Langeweile aufmischen
Das Stegner-Prinzip lautet: Aufmerksamkeit durch kalkulierte Provokation.
Christdemokraten toben wegen solcher Sätze, weil sie Majestätsbeleidigung
wittern. Berliner SPDler sind genervt, weil sie Ruhe in der Koalition
wollen. Aber die Journalisten lieben ihn. Sie rufen ihn gerne an, wenn sie
eine Stimme aus dem linken Parteiflügel brauchen, um die gepflegte
GroKo-Langeweile aufzumischen.
Dabei fällt oft gar nicht auf, dass Stegner manchmal nur
Selbstverständlichkeiten formuliert. Wer wollte bestreiten, dass die Sozen
Merkel 2017 ablösen wollen? Aber bei Stegner klingt selbst das Normale
aufregend, weil er knackig formuliert. Er klingt ganz anders als die
Stanzen aus den Parteipressestellen.
Stegner will die Menschen wieder erreichen, auch und gerade solche, die
wenig mit Politik anfangen können. Denn die Abgehängten, davon ist Stegner
überzeugt, müssen die SPD wählen, wenn Merkel irgendwann weg soll. Während
Gabriel die SPD als seriöse Regierungspartei präsentiert, sichert Stegner
auf eigene Faust die linke Flanke.
Er freue sich ja, wenn die Wirtschaftsverbände auf den Mindestlohn
schimpften, ruft er den Genossen in Lahr zu. „Dann merken die Leute, das
kommt von uns!“ Mit drei Jusos diskutiert er in Wyhl stundenlang über das
Wahlrecht ab 16.
## Aufbauarbeit im Kleinen
Eine 25-Jährige, frisch in die SPD eingetreten, hat sich extra auf einem
Zettel notiert, was sie ihm zur Integration behinderter Menschen sagen
will. Stegner nennt ein paar Argumente für Inklusion, aber entscheidend
ist, dass er ihr gleich drei Mal sagt, wie klasse er ihr Engagement findet.
Aufbauarbeit fängt im Kleinen an.
Ralf Stegner lehnt sich im IC-Bus nach Ravensburg zurück, stemmt das Knie
gegen den Sitz vor sich und jongliert darauf seinen Tablet-PC. Er wischt
mit dem Zeigefinger nach unten, checkt kurz den Bundesliga-Ticker des
Kicker, draußen, vor dem Fenster, die Hänge des Schwarzwaldes, Dörfer,
Felder.
Eines habe er damals als Pressesprecher gelernt. „Wer langweilig redet,
kommt nicht vor. So einfach ist das.“ In der Tagesschau bekommt ein
Politiker zwölf Sekunden, diese wenigen Sätze müssten sitzen. „Ich habe
Spaß an Sprache. Zuspitzung liegt mir, und sie ist notwendig. Die Leute
müssen merken, dass da ein Sozi mit ihnen spricht.“
Für Stegner ist Politik eine Art Vollkontaktsport, in dem man mal gewinnt,
mal verliert. Wie ein Boxer tänzelt er im Ring, täuscht an und schlägt
blitzschnell zu. Die große Koalition in Kiel unter Ministerpräsident Peter
Harry Carstensen scheiterte nicht wegen, aber auch an Stegners Sticheleien.
Noch heute nennen ihn CDUler dort „der rote Rambo“ oder „Rambo-Ralf“.
## Kein Kaninchen
Die Bundeskanzlerin soll Stegner während der Koalitionsverhandlungen mal
mit dem Satz begrüßt haben: „Ach, Sie sind der, der uns immer droht.“ Ihm
schmeichelt so etwas. Lust an der Auseinandersetzung gehört zur Demokratie,
findet Stegner, auch das unterscheidet ihn von Parteikarrieristen, die vor
jedem Streit Unterstützerstrichlisten führen. Stegner nimmt in dem IC-Bus
einen Schluck aus der Wasserflasche. „Die anderen müssen wissen: Wenn sie
die Käfigtür aufmachen, sitzt ein Raubtier dahinter, kein Kaninchen.“
Stegner verschränkt die Arme, er ist jetzt beim Grundsätzlichen angekommen.
Etwas nervt ihn wirklich. Dieses Selbstbewusstsein der Konservativen, die
auftreten, also gehöre ihnen das Land. „Mich ärgert, dass viele unserer
Leute geduckt durch die Gegend laufen. Sie schämen sich, Sozis zu sein.
Dieses Ängstliche, Gebremste.“ Die Mundwinkel weisen nach unten. „Mit mir
gibt es die SPD nur selbstbewusst.“
Selbstbewusstsein ist in der Sozialdemokratie ein rares Gut. Keine andere
Partei leidet so sehr an sich und der Welt wie die SPD. Die Genossen hadern
bis heute mit der Agenda 2010, mit der bösen Merkel und der
Ungerechtigkeit, dass das Wahlvolk ihre Erfolge nicht anerkennen mag. Ein
Antreiber wie Stegne kann da eine große Hilfe sein.
In Biberach, der letzten Station seiner Tour durch Baden-Württemberg,
stellt sich Stegner nach seinem Vortrag spätabends an einem Tisch. Er hat
ein paar Hände geschüttelt, die Band spielt etwas von den Beatles, jetzt
kann er durchatmen. Da tritt eine Dame heran, sie möchte noch etwas
loswerden. „Mensch Ralf“, sagt sie, „das war Balsam für die Seele.“ St…
lächelt.
25 Apr 2014
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
SPD
Ralf Stegner
Yasmin Fahimi
Große Koalition
Sozialdemokraten
Kiel
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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