| # taz.de -- Getötete Journalistin in Ägypten: Wer hat Mayada Ashraf erschosse… | |
| > Waren es Scharfschützen, Polizisten, Muslimbrüder? Nach dem Tod der | |
| > Journalistin versuchen viele, ihr tragisches Ende für politische Zwecke | |
| > zu nutzen. | |
| Bild: Beerdigung von Mayada Ashraf. | |
| KAIRO taz | Selbstbewusst und freundlich lächelnd blickt die junge Frau mit | |
| dem roten Kopftuch von der Wand des ägyptischen Journalistenverbandes in | |
| Kairo. Wer hier an der Außenmauer des Verbandes als Porträtgemälde verewigt | |
| wird, der lebt nicht mehr. Es ist die Wand der Märtyrer, die in Ägypten mit | |
| Stift oder Kamera den Tod gefunden haben. Der Maler zieht gerade die | |
| letzten Pinselstriche, während seine Kollegen bereits beginnen, das | |
| Malergerüst abzubauen. | |
| Drunten auf den Stufen zum Eingang haben sich mehrere Dutzend Journalisten | |
| zu einem stillen Protest zusammengefunden. Ihre Münder mit Klebeband | |
| verschlossen, halten sie Fotos von Mayada Ashraf, der getöteten | |
| Journalistin, hoch. In den Fotos, die die 22-jährige Reporterin der | |
| ägyptischen Tageszeitung Al-Dustour mit Kopftuch und rot nachgezogenen | |
| Lippen zeigen, reflektieren sich die Widersprüche junger Ägypter, die das | |
| Leben noch vor sich haben und hoffen, in einer konservativen und politisch | |
| polarisierten Gesellschaft ihren neuen Platz zu finden. | |
| Tatsächlich beschreiben alle, die sie kannten, Mayada als ehrgeizig und | |
| mutig. Bei Demonstrationen während der Amtszeit von Präsident Mohammed | |
| Mursi berichtete sie immer von der vordersten Front. Nachdem Mursi | |
| vergangenen Sommer vom Militär aus dem Amt entfernt wurde, war sie wieder | |
| dabei, bei den Auseinandersetzungen zwischen Putschgegnern, Muslimbrüdern – | |
| von denen Mursi kam – und Sicherheitskräften. | |
| ## „Ich garantiere, dass die Polizei keine Schuld trägt“ | |
| Genau das wurde ihr am 28. März zum Verhängnis. Bei einer Demonstration von | |
| Putschgegnern im Armenviertel Ain Schams im Norden Kairos wurde die junge | |
| Reporterin erschossen. Auf YouTube kursiert ein Video, auf dem schreiende, | |
| entsetzte Demonstranten sie davontragen, ihre buntes Kopftuch voller Blut, | |
| ihr Körper leblos. | |
| Seitdem scheiden sich in Ägypten die Geister daran, wer für den Tod Mayadas | |
| verantwortlich ist. Die von den Militärs kontrollierten Medien verbreiteten | |
| sofort die Version, maskierte Anhänger der Muslimbrüder hätten die junge | |
| Frau auf der Demonstration erschossen. Immer wieder zitieren sie auch | |
| kritische Beiträge Mayadas aus Zeiten der Präsidentschaft Mursis und | |
| zeigen, dass die Journalistin eine glühende Anhängerin der Massenproteste | |
| gegen Mursi im Sommer 2013 war, die am Ende zum Militärputsch geführt | |
| hatten. | |
| Ägyptens Innenminister erklärte in einer eilig zusammengerufenen | |
| Pressekonferenz, an diesem Tag habe es gewalttätige Auseinandersetzungen | |
| zwischen Muslimbrüdern und Einwohnern des Viertels gegeben. Die | |
| Staatsanwaltschaft untersuche den Fall. „Ich garantiere Ihnen, dass die | |
| Polizei an Mayadas Tod keine Schuld trägt“, legt sich der Innenminister | |
| deutlich fest. | |
| In den sozialen Medien jedoch werden Zweifel an dieser Version laut: Vor | |
| allem Mayadas Freundeskreis macht die Polizei und deren Scharfschützen für | |
| ihren Tod verantwortlich. Außerdem, heißt es da, bedeutete Mayadas Kritik | |
| an Mursi nicht automatisch, dass die Journalistin den ehemaligen | |
| Militärchef und jetzigen Präsidentschaftskandidaten Abdel al-Fatah as-Sisi | |
| unterstützt hätte. | |
| ## „Unsere Menschlichkeit nicht aufgeben“ | |
| Auf Mayadas Facebook-Seiten finden sich auch sehr kritische Bemerkungen | |
| über Ägyptens neue Herrscher. Nachdem die Sicherheitskräfte die | |
| Protestlager der Putschgegner im vergangenen Sommer blutig aufgelöst | |
| hatten, postete Mayada: „Mursi ist es nicht wert, dass man für ihn stirbt. | |
| Aber as-Sisi ist es auch nicht wert, dass wir für ihn unsere Menschlichkeit | |
| aufgeben“. | |
| Sicher ist: In dem politisch gespaltenen Land versuchen die verschiedenen | |
| Lager, Mayadas tragisches Ende für ihre jeweiligen Zwecke zu nutzen. Die | |
| Wahrheit darüber, wer für ihren Tod verantwortlich ist, versteckt sich | |
| hinter diesem Streit. | |
| Die Suche nach dieser Wahrheit beginnt in Istanha, einem kleinen Dorf im | |
| Nildelta, eine Autostunde nördlich von Kairo. Draußen, vor dem Haus der | |
| Familie Mayadas, sind mehrere Bänke aufgebaut, für die Trauergäste, die vor | |
| allem in den Abendstunden kommen. | |
| An diesem Morgen sitzt Mayadas Vater dort, mit seinem Schmerz allein | |
| gelassen, und starrt in die Leere der staubigen Dorfgasse. „Das Feuer, das | |
| seit dem Tod meiner Tochter in mir brennt, lässt sich mit dem ganzen Wasser | |
| der Welt nicht löschen“, fasst er seine Trauer zusammen. Auf die Frage, wer | |
| für den Tod seiner Tochter verantwortlich ist, zuckt er mit den Schultern. | |
| „Das weiß nur Gott“, sagt er und bittet in sein bescheidenes Haus. | |
| ## „Wie eine Ratte im Loch verkrochen“ | |
| Im Fernsehen wird gerade der Koran rezitiert. Mayadas Bruder und Mutter | |
| sitzen davor, immer noch fassungslos. Als wollten sie damit über ihren Tod | |
| hinwegkommen, erzählen sie von Mayada, der Tochter und der Schwester, | |
| „seinen Engel“, wie der Vater sie beschreibt, „ermordet von einem Feiglin… | |
| der sich wie eine Ratte in seinem Loch verkrochen hat“. | |
| Ihre Mutter Azza sagt stolz: „Meine Tochter hatte das beste Abitur ihres | |
| Jahrgangs.“ Sie deutet auf das Zeugnis, das immer noch über dem | |
| Schreibtisch in Mayadas kleinem Zimmer hängt. Sie sei immer unglaublich | |
| tüchtig gewesen und habe oft nächtelang gelernt, erzählt sie. | |
| Mit einem Notendurchschnitt von 97 Punkten habe ihr die Welt | |
| offengestanden: „Wir wollten, dass sie einen Ingenieurstudiengang beginnt, | |
| aber sie wollte unbedingt Journalistin werden.“ Ihre Tochter habe auch für | |
| die Bräutigamvorschläge, die sie ihr machte, keinerlei Interesse gezeigt, | |
| sagt sie, und sich nur auf ihre Arbeit konzentriert. | |
| Mayadas Berufswahl hatte vielleicht auch mir ihren eigenen Erfahrungen | |
| während des Aufstands gegen Expräsident Mubarak im Jahr 2011 zu tun. Damals | |
| hatte es sie nicht bei den Eltern zu Hause gehalten, sie war zum | |
| Tahrirplatz in Kairo gefahren. | |
| Azza glaubt nicht, dass die Hintergründe des Todes ihrer Tochter jemals ans | |
| Tageslicht kommen werden. „Wir sind eine einfache Familie, ohne große | |
| Beziehungen“, sagt sie. Ihr Mann Ashraf widerspricht. „Wir werden die | |
| Wahrheit herauszufinden, mithilfe der Kollegen Mayadas und anderer | |
| Journalisten“, hofft er. Dann bricht er in Tränen aus. | |
| Zurück in Kairo, gestaltet sich die Suche nach Augenzeugen nicht einfach. | |
| Eine Kollegin Mayadas, die mit ihr auf der Demonstration war, hat angeblich | |
| Freunden erzählt, Mayada sei neben ihr gewesen und von der Polizei | |
| erschossen worden. Sie ist aber nicht zu einem Gespräch bereit. Ob sie, wie | |
| Freunde behaupten, eingeschüchtert wurde, damit sie nicht darüber spricht, | |
| bleibt unklar. | |
| ## „Zu diesen Zeitpunkt war sie bereits tot“ | |
| Dafür meldet sich der junge Journalist Abdel Latif Subh, der für die | |
| Tageszeitung Youm7 arbeitet. Er stand an dem Tag, an dem Mayada erschossen | |
| wurde, hinter den Polizeilinien. | |
| Zunächst habe es handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen den | |
| Demonstranten und Einwohnern des Viertels gegeben, sagt er. Die Polizei | |
| habe zuerst mit Tränengas in die Menge gezielt. Die Menschen seien | |
| auseinandergestoben, als die Polizei plötzlich wie wild mit scharfer | |
| Munition auf die Flüchtenden schoss. „Ich rief eine Kollegin an, die sich | |
| mit Mayada in der Demonstration aufhielt. Sie sagte, Mayada sei eben | |
| erschossen worden“, erinnert er sich. Erst dann hätten sich die | |
| Demonstranten wieder gruppiert, einige begannen nun selbst zu schießen. „Zu | |
| diesem Zeitpunkt“, erzählt Subh, „war Mayada bereits tot.“ | |
| Ob für den Tod Mayadas irgendwann einmal jemand zur Rechenschaft gezogen | |
| wird, bleibt fraglich. In der Statistik ist Mayada einfach nur eine weitere | |
| Journalistin, die während ihrer Arbeit in Ägypten ihr junges Leben gelassen | |
| hat. | |
| Mayadas Vater hatte es so formuliert: „Mit ihr“, sagte er, „ist nicht nur | |
| meine Tochter, sondern die Tochter aller Journalisten ermordet worden.“ | |
| 24 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
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